Hennef – Von einer außergewöhnlichen, bislang noch nie dagewesenen Lage spricht auch Martina Noethen vom Wasserverband Rhein-Sieg-Kreis nach dem schweren Unwetter vom Wochenende. Die Geschäftsführerin hatte in der Hennefer Unglücksnacht gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk verschiedene Einsatzstellen in Augenschein genommen, Rückhaltebecken und Durchlässe überprüft. Andrea Hauser sprach mit ihr über Grenzen und Chancen beim Hochwasserschutz.
Wie schätzen Sie dieses Unwetter ein?
Martina Noethen: Wir hatten es mit einem extremen Starkregenereignis zu tun. Nach bisherigen Meldungen fielen innerhalb von zwei Stunden 100 Liter pro Quadratmeter. Es ist die extrem kurze Zeit, in der diese große Menge an Wasser kleinräumig auf den Bergrücken zwischen Hennef und Königswinter traf.
Die Gewittersäule über Söven, zu viel Wasser in kleinen Bachläufen in kurzer Zeit. Gibt es weitere Gründe für die Ausmaße des Starkregens?
Es sind nicht nur die Bäche, die diese Mengen nicht mehr aufnehmen konnten, sondern auch Entwässerungssysteme und die Flächen. Niederschlagswasser dringt nicht mehr in den verdichteten oder versiegelten Boden ein, sondern fließt größtenteils oberflächlich mit extrem hohen Mengen an Sediment ab. Das ist auch der Grund, warum beispielsweise die Neubauten an der Bergstraße in Geistingen sehr stark betroffen waren.
Die Schäden sind enorm und dürften in die Millionen gehen. Gibt es geeignete Maßnahmen, die dieses Desaster hätten verhindern oder abmildern können?
Ereignissen mit solchen Ausmaßen ist mit technischen Mitteln allein nicht mehr beizukommen. Die Größe der Entwässerungssysteme ist dafür nicht ausgelegt. Der Wasserverband Rhein-Sieg-Kreis macht sich seit fünf Jahren für ein Frühwarnsystem bei Starkregenereignissen stark. Das Forschungsprojekt haben wir dem NRW-Umweltministerium vorgestellt, drei Förderanträge bei Bund und Land wurden abgelehnt. Alle Kommunen im Verbandsgebiet haben uns dabei unterstützt, aber auch ihnen sind Grenzen gesetzt. Auch die Regionale 2025 versucht seit Jahren geeignete Förderprogramme für ein solches Projekt zu finden. Inzwischen sind wir bei EU-Förderaufrufen angekommen, doch die erfordern enorme Kapazitäten.
Heißt das, es ist eine Frage der Personaldecke?
Der Wasserverband Rhein-Sieg-Kreis gehört zu den kleinsten seiner Art in Nordrhein-Westfalen und ist nicht vergleichbar mit den großen sondergesetzlichen Verbänden wie zum Beispiel dem Agger- oder dem Erftverband. Unsere Hauptaufgabe liegt in der Gewässerunterhaltung von insgesamt und kumuliert rund 1600 Kilometer langen Bachläufen. Ausgenommen Agger, Sieg und Rhein.
Wie könnte künftig also vorzeitig gewarnt werden?
Es geht um sehr kleinräumige, fast punktuell auftretende Starkregenereignisse in kleinen Einzugsgebieten. Nach Auskunft von Wissenschaftlern der TH Köln wäre es möglich, belastbare Warnzeiten von bis zu einer halben Stunde vor dem lokal auftretendem Starkregen zu analysieren.
Für Feuerwehren, das Technische Hilfswerk und beteiligte Behörden und Betroffene wäre das hilfreich. Sie gewinnen kostbare Zeit, können Maßnahmen planen und einleiten.
Ist der Finanzbedarf für ein Frühwarnprojekt definierbar?
Um ein solches System zu installieren, mit dem wir Erfahrungen sammeln können, sind mindestens bis zu eine Million Euro erforderlich. Projektpartner sind ein national wie international agierendes Fachbüro mit entsprechender Expertise, die Technische Hochschule Köln sowie Fachbehörden und weitere Wasserverbände. Zwar bewegen wir uns technisch gesehen auf Neuland, aber wir wollen es realisieren. Trotz der bestehenden Herausforderungen und knapper personeller Ressourcen.
Wer ist zuständig für den Hochwasserschutz?
Als Gewässerunterhalter sind wir auch gewässerausbaupflichtig. Grundsätzlich ist Hochwasserschutz eine kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge. Wir unterstützen unsere Mitglieder – also auch die Stadt Hennef – dabei. Insgesamt betreiben wir fünf Hochwasserrückhaltebecken. Für Gewässerausbauprojekte, wo auch der Hochwasserschutz berücksichtigt wird, steht den elf Mitgliedskommunen lediglich ein Ingenieur im Verband zur Verfügung.
Was schlagen Sie vor?
Politik, staatliche Behörden und Kommunen müssen diese Aufgabe stärker in den Fokus nehmen. Hochwasserschutz, neu gedacht, sollte sich stärker in der Struktur der Verwaltung wiederfinden. Wir benötigen Fachkräfte in allen Fachbereichen, die das zu ihrer Handlungsmaxime machen. Der Städte- und Gemeindebund NRW hat eine entsprechende Leitlinie formuliert. Hochwasser ist von elementarer Kraft, das muss allen Akteuren mehr als bisher bewusst sein.
Wie meinen Sie das?
Die meisten Gewässerverrohrungen stammen noch aus den 50er und 60er Jahren. Damals wurde der Hochwasserschutz kaum beachtet, viele Rohre sind zu klein bemessen. Die massive Gefahr, die von kleinen Bächen ausgehen kann, wurde damals nicht ausreichend berücksichtigt. In Hennef wie andernorts sehen wir, was das bedeuten kann. Neben den kommunalen Verrohrungen haben auch viele Privatleute Gewässer, die über ihre Grundstücke führen, unterirdisch verlegt. All diese Bauwerke halten einem 100-jährigen Ereignis nicht stand.
Woher kommt die Erkenntnis?
Bei unseren Kontrollfahrten sehen wir häufig, wie Gewässer eingeengt werden, Brückenbauwerke errichtet wurden oder Gabionen die Ausdehnung begrenzen. Fünf Meter müssen frei bleiben. In eng und dicht bebauten Arealen wird das wenig eingehalten.
Die Bilder und Videos aus der Hennefer Schreckensnacht zeigen deutlich: Das Hochwasser spült sämtliche Gegenstände in die Durchlässe, sie verstopfen. Das hat die Situation leider verschärft. Grundsätzlich gehören bewegliche Gegenstände, aber auch kleine Bauten wie Gartenhäuser, Garagen oder Baumhäuser nicht in die Gewässerrand-streifen.
Wie können wir uns persönlich und insgesamt besser vor solchen Ereignissen schützen?
Einen absoluten, 100-prozentigen Schutz gibt es nicht. Wir können dennoch eine Menge tun, um Schlimmes zu mildern. Das beginnt schon bei der Planung von Wohngebieten, aber auch beim Neubau oder Kauf eines Hauses. Ich muss mich fragen, wo liegt das Haus? In Hanglagen – was ist oberhalb, kann von dort wild abfließendes Wasser kommen? Immobilieneigentümer sollten diese Aspekte beachten. Viele Keller liefen wegen fehlender oder defekter Rückschlagklappen voll. Ich muss mich auch fragen, wie schütze ich mich, wo kann das Wasser eindringen, wenn es 20 oder 30 Zentimeter ums Haus steht?
Was kommt jetzt?
Unser Bauhof wird mit acht Mitarbeitern bis Ende des Jahres mit der Beseitigung der Schäden beschäftigt sein. Wir brauchen Lagerflächen für den Abraum sowie die Abfälle aus den Durchlässen und aus den Gewässern. Wir werden Firmen beauftragen müssen, die Sedimente aus den Rohren spülen, Gehölze müssen beseitigt werden, Schwemmgut vor der Vielzahl an Durchlässen und Verrohrungen muss entnommen werden, ein Schreitbagger an der Hanfbachmündung muss die Böschungen sichern und wieder herstellen. Mit der Stadt Hennef werden wir uns zusammensetzen und das weitere Vorgehen abstimmen, ich befürworte eine gemeinsame Strategie und ein Bündeln unserer Kräfte.
Eine letzte Frage. Haben wir es hier mit den Folgen des Klimawandels zu tun?
Wissenschaftlich ist der Zusammenhang zwischen lokalen Ereignissen noch nicht eindeutig belegt. Die Erfahrungen in Hennef und Königswinter, Lohmar, Much, Bad Honnef, Wachtberg – in der gesamten Region – zeigen uns, dass wir uns der Erkenntnis nicht mehr verschließen können und dürfen. Jedoch, neben all den kommunalen Maßnahmen zum Klimaschutz, gehört auch der Hochwasserschutz. Und hier ist der Finanzbedarf extrem hoch. Derzeit werden die Kosten der Gewässerunterhaltung aus den jeweiligen Haushalten der Mitgliedskommunen finanziert.