Schriftstellerin Nanna Neßhöver wuchs in Sankt Augustin auf und lebt in Erpel. Ihre Bücher wurden bislang in 16 Sprachen übersetzt.
Kinderbuchautorin Nanna NeßhöverLangweilig wird es mit der kleinen Fledermaus Wegda nie
„Ich bin keine Vielschreiberin“, sagt Nanna Neßhöver, und das ist auch gut so: Denn die Kinderbuchautorin hat unübersehbar ein Talent für die kurze, prägnante Form, die mittlerweile eine Reihe von Büchern prägt. Der richtige Stoff, um gemütlich und gemeinsam auf der Couch oder vor dem Einschlafen am Bett zu schmökern.
Tiere sind ihre Heldinnen und Helden. Wie jetzt in der Neuerscheinung „Schlaf gut, kleine Fledermaus Wegda“, die ihren ungewöhnlichen Namen ihren riesigen Flügeln, aber auch zu groß geratenen Füßen verdankt, mit denen sie ständig irgendwo anstößt – manchmal hat sie gerade noch Zeit, „weg da“ zu rufen.
Nächtlicher Aktivismus ist einfach nicht das Ding der kleinen Fledermaus aus Erpel
Vor allem aber ist sie in einer ganz entscheidenden Hinsicht anders als ihre Artgenossen. Um 5 Uhr am Nachmittag muss sie gähnen, zieht schon einmal den geringelten Schlafanzug an und schlüpft in flauschige Kuschelsocken. Um 6 Uhr fallen ihr die Augen zu, um 7 Uhr gibt es einen Gutenachtkuss von den Eltern. Der nächtliche Aktivismus der anderen Fledermäuse ist einfach nicht ihr Ding. In einem anderen Buch lernt Wegda Radfahren oder schlüpft zu einem Känguru in den Beutel.
Die Autorin hat es erkennbar nicht darauf angelegt, eine zoologische Studie über die Säugetiergruppe Microchiroptera vorzulegen, sondern ein Buch, das sich perfekt als Gutenachtgeschichte eignet. Wegda ist ein von vielen Figuren, die sie entwickelt hat: Auch Siebenschläfer, Wolfsmädchen, Eichhörnchen, Tiger und Affen sind keine Nullachtfünfzehn-, sondern echte Charaktertiere. „Verrückte Figuren, die nicht so sind wie die anderen und sich ihren Weg suchen müssen“, so beschreibt sie es selbst. Man ahnt: Langweilig wird es mit Wegda und Co. nie.
Am liebsten arbeitet die gebürtige Siegburgerin ihre Ideen am Rheinufer aus
Nanna Neßhöver wurde 1981 in Siegburg geboren, wuchs in Birlinghoven auf und lebt heute mit ihrem Mann und zwei Söhnen (7 und elf Jahre) in Erpel. Inspiration zu ihren Tierkindern findet sie im Beruf als Lehrerin an der CJD-Realschule in Königswinter. Erlebnisse und vor allem Gefühle, die die Kinder mit in die Schule bringen, beschäftigen sie im Unterricht und auch noch Abends und am Wochenende bei der Arbeit an den Büchern. Am liebsten arbeitet sie ihre Ideen am nahe gelegen Rheinufer aus.
„Ich frage immer, was los ist“, schildert sie, denn für ein Verhalten gebe es immer einen Grund, auch für nervige Störer, die drohten, den Unterricht kaputtzumachen. Wenn die Eltern einfach zu viel arbeiteten und nur Zeit fürs Smartphone hätten, werde das zur Belastung. „Mir ist das einfach alles zu viel“, habe ihr ein Junge einmal offen eingestanden, und solche Bekenntnisse sind ihr wichtig. „Dann kann die Beziehungsarbeit beginnen.“
Oft seien es Kleinigkeiten, die einen Schritt weiterhelfen, ein Gespräch, eine kleine Pause, ein heißer Kakao, ein paar Schritte durch die frische Luft. Eines will sie vermeiden: „Dass Kinder stumm werden und alles hin sich hineinfressen.“ Viele Kinder seien allein, hat sie beobachtet. „Ich weiß nicht, wie viele Gespräche ich schon geführt habe, die eigentlich die Eltern führen müssten.“ Besonders schwer sei für viele die Einsamkeit in den Tagen der Corona-Pandemie gewesen, in die aber auch eine Buchreihe fiel, die in diese Zeit passte.
Wegda und Fühlinchen unter einem Dach mit Harry Potter, Tim und Struppi, Petzi, Conni
Hanna Neßhöver schreibt aktuell für den Carlsen Verlag, wo sich Wegda und Fühlinchen unter einem Dach mit Harry Potter, Tim und Struppi, Petzi, Conni und den Peanuts finden. Mit dem Verlag hat sie auch eine Buchreihe über Gefühle umgesetzt, mit durchschlagendem Erfolg. Die Titel „Wenn ich ängstlich bin“, „Wenn ich traurig bin“ oder „Wenn ich wütend bin“ wurden bis dato in insgesamt 16 Sprachen übersetzt, auch in arabische Versionen, die von hinten nach vorn gelesen werden, und ins Chinesische, Koreanische und Japanische.
Auf den letzten Seiten finden sich praktische Anregungen für Eltern, wie sie den Kindern über das Buch hinaus im Umgang mit Wut, Trauer und Angst helfen können. Brüllen, so wie es ein Tigermädchen dem Helden eines der Bücher, dem Äffchen Wim, empfiehlt, ist dabei durchaus ein Weg. Aber eben auch nur einer von vielen.
Der Ländervergleich zeitigt mitunter Erstaunliches: Nanna Neßhövers erstes Buch „Fühlinchen“ über ein Schaf, das je nach Stimmung die Farbe seiner Wolle wechseln kann, ist heute nicht mehr auf Deutsch erhältlich. Wohl aber auf Türkisch, wo das Buch erfolgreich in Lizenz gedruckt wurde. Dass ihr Erstling im eigenen Land nach der ersten Auflage nicht mehr gedruckt wird – wenn es auch noch als E-Book erhältlich ist –, habe ihr aber auch gezeigt, wie hart der Markt für Kinderbücher sein könne, die Konkurrenz sei groß.
Umso mehr freut sie sich, wenn das Wutbuch jetzt für das Kinderfernsehen verfilmt werden soll. Insgesamt 14 Bücher hat sie seit 2019 geschrieben, darunter auch kleine Formate wie Pixi-Bücher. Großes Glück habe sie bei Carlsen immer mit den Illustratorinnen gehabt, mit Wiebke Rauers und Petra Eimer etwa für die Fledermaus-Wegda-Bücher, mit Eleanor Sommer für „Wenn ich ängstlich bin“ oder „Wenn ich traurig bin“.
Thomas Nikolai war offensichtlich von „Die kleine Fledermaus Wedga“, dem ersten Abenteuer des eigenwilligen Tierchens, besonders angetan und produzierte eine Hörbuchfassung. Graffiti-Künstler Simon Wölfl sorgt ein paar Schritte von Nanna Neßhövers Haus entfernt für zusätzliche Popularität: Er hat auf einer Betonmauer Wegda verewigt. Flügel und Füße sind ganz schön groß.