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Aus HonrathWarum Anja Zimmer im 19. Jahrhundert eine Influencerin entdeckt hat

Lesezeit 5 Minuten

Der Küchentisch dient auch als Schreibtisch. Dort hat Anja Zimmer ihren jüngsten Roman verfasst.

  1. Anja Zimmer aus Lohmar-Honrath hat ein Buch über die deutsche Revolutionärin Louise Otto-Peters geschrieben.
  2. Sie forderte schon vor 200 Jahren Lohngleichheit von Männern und Frauen.
  3. Im Interview verrät sie, warum sie Gefallen an biographischen Romanen gefunden hat.

Lohmar-Honrath – Ihren jüngsten biografischen Roman widmet Anja Zimmer aus Lohmar der Autorin Louise Otto-Peters, die vor 200 Jahren geboren wurde.

Wie kamen Sie auf die Person Louise Otto-Peters als ihre neue Protagonistin?

Die deutsche Revolution hat mich schon lange interessiert, und ich war auf der Suche nach einem geeigneten Stoff, um diese Zeit in einem Roman darzustellen. Umfragen ergaben, dass viele es gar nicht mehr wichtig finden, in einer Demokratie zu leben. Diese Politikverdrossenheit fand ich entsetzlich und wollte unbedingt einen Roman schreiben, in dem ich den mutigen und sehr leidenschaftlich geführten Kampf unserer Vorfahren für die Demokratie meiner heutigen Leserschaft nahebringen kann. Dabei stieß ich auf Louise Otto-Peters. Die aus Meißen stammende Revolutionärin war eine der bekanntesten Autorinnen des 19. Jahrhunderts und wurde als „Lerche des Völkerfrühlings“ bezeichnet, weil sie mit ihren politischen Gedichten und sozialkritischen Romanen auf die soziale Ungerechtigkeit aufmerksam machte.

Welche Leistungen von Otto-Peters waren für Sie bedeutend?

Sie forderte schon vor 200 Jahren Lohngleichheit von Männern und Frauen, Zugang zu Kultur und gleiche Bildungschancen für alle Menschen. Sie hatte erkannt, dass man einem Volk die Demokratie nicht verordnen kann, sondern ein Volk nach und nach durch Kultur, Bildung und Wohlstand für alle demokratisiert werden muss. Ihr Fokus richtete sich vor allem auf Frauen, die damals vor dem Gesetz unmündig waren wie Kinder. Arbeitende Frauen aus der Unterschicht wurden so schlecht bezahlt, dass viele sich gezwungen sahen, sich zu prostituieren. Gerade das klagte Louise immer wieder deutlich an und löste bei den Verantwortlichen Entsetzen aus. Allerdings waren die Herren nicht entsetzt über die Zustände, sondern darüber, dass Louise diese Zustände ansprach.

Zur Person

Anja Zimmer (50) ist im oberhessischen Lich geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre studierte sie in Gießen Germanistik und Theologie. Sie verlegt im eigenen Verlag „Frauenzimmer“ ihre Bücher und die anderer Schriftsteller. In ihren Romanen beschäftigte sie sich mit Anna von Hessen (von 1485 bis 1525) und Elisabeth zu Sachsen (von 1504 bis 1557).

Unter dem Pseudonym Imelda Arran schreibt Zimmer Liebesromane, die um 1800 im englischen Huntington spielen. Sie singt im Chor La Voce, macht Lesereisen und tritt mit dem Ensemble Tempus Manet mit einem Renaissance-Programm oder irischer Musik auf, in dem ihr Ehemann Frank Glabian mitspielt. Im neuen Projekt widmet sich Tempus Manet unter dem Titel „Heiratsanträge und andere Katastrophen“ der Autorin Jane Austen. Dazu wird Portwein verkostet.

Sie schildern das schnelle Bekanntwerden Ihrer Hauptperson. Woran lag das?

Sie erkannte damals schon, dass Solidarität, Vernetzung und das Wissen, dass eine Frau nicht alleine ist mit ihrer Not, enorm wichtig sind, um Gesetzesänderungen zu erwirken. Mit ihrer Frauenzeitung, die in ganz Deutschland verkauft wurde, schuf sie praktisch ein Netzwerk, über das sich Frauen austauschen konnten. Außerdem traf sie mit ihren politischen Gedichten und sozialkritischen Romanen den Nerv der Zeit und sprach den demokratisch gesinnten Menschen aus der Seele.

Wie bewerten Sie ihre politische Relevanz?

Louise stand in regem Briefwechsel mit Gleichgesinnten, darunter namhafte Menschen wie Robert Blum, der als Abgeordneter ins Parlament der Frankfurter Paulskirche einzog. Immer war Louise auf dem Laufenden, setzte sich ein, organisierte und schrieb bis zur Erschöpfung. Als das Parlament und damit die Revolution von 1848/49 scheiterte, musste sie Haussuchungen über sich ergehen lassen, wurde bespitzelt und verhört. Was durchaus lebensbedrohlich war, wie die Hinrichtung Blums zeigte.

Die Biografie hält den Spannungsbogen bis zur letzten Seite. Wie kommen Sie an diese Informationsdichte?

Drei Jahre lang habe ich mich mit ihrem Leben beschäftigt, recherchiert, dabei übrigens festgestellt, wie schmerzhaft aktuell die Aussagen und Forderungen dieser Frau sind. Ich habe fast alles, was zu finden war, gelesen und war mit meinem Mann in Meißen, Leipzig, Dresden und Freiberg auf Spurensuche nach dieser Frau.

Bisher sind ihre Hauptpersonen Frauen. Vernachlässigen Sie damit nicht die historisch wichtigen Männer ?

(Sie lacht) Keineswegs. Robert Blum spielt eine wichtige Rolle und in meiner Sachsen-Trilogie würdige ich hinreichend Landgraf Philipp von Hessen, der ja die Marburger Uni gründete, die auch nach ihm benannt ist. Außerdem kennen wir aus der Geschichte in erster Linie die bedeutenden Männer. Frauen werden bei der Geschichtsschreibung oft vergessen, obwohl sie oft viel beigetragen haben. Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, gerade Frauen in den Fokus zu rücken.

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Wo würde Otto-Peters heute den Hebel für eine bessere Welt ansetzen?

Sie hätte bestimmt erkannt, dass unsere Demokratie zur Lobbykratie und Wirtschaftsdiktatur verkommt. Sie hätte den Rechtsruck erkannt und die freie Lehre heute wieder gefährdet gesehen. Und sie würde heute aufgreifen, was sie vor zwei Jahrhunderten schon kritisierte. Denn Lohngleichheit und harmonische Solidarität zwischen Geschlechtern und Schichten und politischen Gruppen gibt es immer noch nicht.

Was hätte ihr an der heutigen Zeit gefallen?

Dass eine Frau heute ganz selbstverständlich alleine reisen, studieren und arbeiten kann, und sogar hohe politische Ämter bekleiden kann.

Welchem Frauentyp der Gegenwart ordnen Sie Louise Otto-Peters zu?

Der modernen, selbstbewussten Frau, die in Politik, Journalismus, Medien zu Hause ist. Ich sehe sie als Influencerin, Networkerin, Bloggerin. Von ihrer ersten Reise, die sie skandalöserweise als Frau alleine unternahm, schrieb sie übrigens ihren ersten „Blog“, natürlich analog. Ihre Reiseberichte schickte sie von unterwegs an einen befreundeten Redakteur, der sie veröffentlichte. Das steigerte die Auflage erheblich, weil alle wissen wollten, wie es der Reisenden erging.