Am Kirmesmontag herrscht Ausnahmezustand im Lohmarer Ortsteil Wahlscheid: Geschäfte haben geschlossen und die Kinder haben schulfrei.
Kirmes-KorsoIn Lohmar-Wahlscheid geht der Karnevalszoch im Sommer
Natürlich mussten die Nachbarn wieder einen mitkriegen. Das ist Tradition beim Wahlscheider Kirmeskorso, wo man die Ablehnung der 1969 erfolgten Eingemeindung nach Lohmar wie ein liebgewordenes Hobby pflegt.
Diesmal führte der Separatismus („Wir werden uns von Lohmar trennen!“) sogar in royale Höhen. Wahlscheid solle ein „eigenes Königreich“ werden, skandierte ein Möchtegern-Monarch auf seinem Wagen. Dazu erklang, frei nach Rio Reiser: „Das alles und noch viel mehr, würde ich machen, wenn ich König von Wahlscheid wär.“
Zoch in Wahlscheid: Schließung von zehn Läden im Ort ist Thema einer Fußgruppe
Mit Krone, roter Schärpe und Herrscherinsignien empfahl sich Christian Balthazar als künftiger König mit dem Versprechen auf Steuerfreiheit und andere Wohltaten. Derzeit arbeitet der 53-jährige Balthazar übrigens als Tierarzt in dem Aggertalort.
Der von den Wahlscheidern so hochgeschätzte Heimatort ist dennoch kein Hort der Glückseligen. Das zeigte die Interessengemeinschaft Aggerbusch als Fußgruppe. Die Frauen und Männer machten tanzend und mit vorgeschnalltem Bauchladen nicht nur die im Mai erfolgte Schließung des örtlichen Edeka zu ihrem Thema.
Insgesamt zählten sie zehn Läden auf, die der Ort über die Jahre verloren hat, von der Gaststätte Aggerufer über Haushaltswaren Schaub, Café Schmidt bis hin zum Unverpackt-Laden. Wenn das so weitergehe, müsse künftig aus dem Bauchladen heraus auf der Straße verkauft werden, hieß es.
Größte Fußgruppe war die Grundschule Neuhonrath mit 900 Teilnehmern
Die längste Fußgruppe unter den 900 Teilnehmern stellte die Grundschule Neuhonrath. Mit 440 Kindern ist sie ohnehin die größte ihrer Art im Rhein-Sieg-Kreis. Die Pänz hatten allesamt Doktorhüte auf dem Kopf, um zu zeigen, wie „hochgebildet“ im Aggertal schon die Jüngsten sind. Die hatten am Kirmesmontag ebenso schulfrei wie die Beschäftigten der meisten Geschäfte und Büros in Wahlscheid arbeitsfrei.
In Wahlscheid lässt man es lange nach der Karnevalssession krachen
Auf Fahrradrikschas fuhren auch Senioren aus dem evangelischen Altenheim mit. Es wurden Kamelle, Schokolädcher und bunte Fruchtgummis unters Volk geworfen. Schließlich gibt es im evangelisch dominierten Aggertal keinen Karnevalszug. Deshalb lässt man es lange nach der Session halt beim Kirmesumzug krachen.
Singen und tanzen tun sie alle gern im Zoch. Aber keiner macht das so laut und mit so wummernden Beats wie die Fußballer des Wahlscheider Sportvereins auf ihrem riesigen Wagen. Außer der Beschallung gehörten bei ihnen auch noch gelb rauchende Bengalos dazu. Weißer Disco-Nebel stieg über einem mit Tanzfläche ausgestatteten Wagen in die Höhe, Aufschrift: „Der Dancefloor ist kein Ponyhof“.
Darauf tanzten die „Karnevalsfründe Reloaded“ (deutsch: neu geladen). Die kölsch-englische Wortschöpfung ist zwar furchtbar, aber treffend. Die Karnevalsfründe um Anja Schwarz hatten sich nämlich aufgelöst, wie Maik Siebertz erzählte. Deren Tochter Chiara Schwarz hatte daraufhin die Karnevalsfründe dann mit anderen jungen Leuten wiedergegründet. „Und die Mutter kommt gleich auch dazu“, sagte Maik Siebertz.
Seit der 900-Jahr-Feier weiß man, dass Wahlscheid nicht nur viele Geschichten, sondern auch viel Geschichte hat. Darunter die Kupfer- und Erzlagerstätte Grube Pilot, die 1850 erschlossen wurde. In all dem Trubel nahmen sich die Moderatoren Daniel Wuttke und Peer Wasser gern auch des Erzählens von Hintergründen an.
Früher wurde die Wahlscheider Kirmes auf dem Höhenrücken neben St. Bartholomäus auf dem Berge gefeiert. 1926 verlegte man das bunte Treiben hinunter ins Aggertal. Grund dafür war ein tragischer Unfall: Ein Schausteller war tödlich verunglückt, als sein Kirmeswagen auf dem Weg bergauf ins Rutschen geriet. Die Pferde konnten den Wagen nicht mehr halten, der Schausteller wurde erdrückt.
Seit 1983 findet die Kirmes am Forum (Mehrzweckhalle) statt, das damals mit dem Platz davor als zentrale Begegnungsstätte im Ort gebaut wurde.