Im Dezember 2024 sprang ein Angusrind in Nümbrecht über eine Umzäunung und entkam dem Schlachter. Sechs Wochen lebte sie im Wald bei Much.
Kuh büxte ausWie die wilde Hilde vor dem Schlachter floh und am Ende ihr Glück fand
![Erneute Flucht von Kuh Hilde](https://static.ksta.de/__images/2025/01/22/24392e10-1880-4be1-8635-498e20f566ed.jpeg?q=75&q=70&rect=0,100,2133,1200&w=2000&h=1304&fm=jpeg&s=b8ddce5bd6c6136dc9f727567c0b41a0)
Kuh Hilde übersprang eine hohe Umzäunung und entkam.
Copyright: Nina Mühletaler
Ihr großes Springtalent rettete ihr das Leben: Kuh Hilde aus Nümbrecht sollte zum Schlachter transportiert werden, zusammen mit ihren Artgenossinnen aus der Herde eines Landwirts im Oberbergischen Kreis. Doch Hilde wehrte sich: Sie machte kurz vor der Verladerampe des Viehtransporters kehrt, sprang über eine hohe Abgrenzung und rannte davon. Ihren Häschern entkam sie in ein Waldgebiet jenseits der Grenze zum Rhein-Sieg-Kreis. In einem abgelegenen und einsamen Gebiet der Gemeinde Much tauchte Hilde ab.
Der Landwirt suchte sie. Tierschützer suchten sie. Privatpersonen suchten sie. Immerhin war Winter: Anfang Dezember hatte die Kuh ihre Flucht angetreten, es begann zu schneien, die Temperaturen sanken unter Null. Tierfreunde sorgten sich: Ob die Kuh friert? Hunger hat? Gar einsam ist?
Mit Wildkameras wurde Hilde im Waldgebiet bei Much ausfindig gemacht
Doch Hilde trotzte allen Widrigkeiten. Mehr als sechs Wochen streifte sie zwischen den Mucher Ortschaften Leuscherath und Herfterath umher. Packen konnte sie keiner. Aus Hilde wurde allmählich eine Wilde: Das Rind wurde immer menschenscheuer, tauchte immer tiefer ins Waldgebiet ab, nicht willens, sich einfangen zu lassen. Was sie fraß, wo sie war, blieb ihr Geheimnis.
![Eine dunkle Kuh steht auf einer verschneiten Lichtung.](https://static.ksta.de/__images/2025/01/11/2c144934-8285-4026-92c4-faa1bc5a112e.jpeg?q=75&q=70&rect=0,1229,3000,1687&w=2000&h=2666&fm=jpeg&s=804762515676593683790d7b269a730c)
Die entlaufene Kuh Hilde hielt sich sechs Wochen lang in einem Waldgebiet von Much auf.
Copyright: Tiersuchhilfe Rhein-Sieg-Oberberg
Mit Wildkameras schließlich gelang es der Tiersuchhilfe Rhein-Sieg/Oberberg die Kuh im tief verschneiten Waldgebiet ausfindig zu machen. Mit Futter sollte sie angelockt und an einen festen Ort gewöhnt werden. Tierschützerin Astrid Rath füllte täglich eine Futterstelle mit Heu auf und konnte so Hildes Vertrauen gewinnen.
In der zweiten Januarwoche fassten die Tierschützer schließlich den Entschluss, einen Einfangversuch zu wagen. Längst war die Idee gereift, die wilde Hilde ihrem Besitzer abzukaufen und ihr eine Lebensstellung auf einem Schutzhof zu ermöglichen.
Nach gut fünf Kilometern endete Hildes erneute Flucht mit einem Schuss aus einem Narkosegewehr
Am Samstag, 11. Januar, war der große Tag da: Drei Tierschutzorganisationen trafen sich im Waldgebiet, um das die Jäger - um Hilde nicht zu verschrecken - einen großen Bogen gemacht hatten. Die Helfer pirschten sich in der Nähe der Futterstelle an die Kuh heran, schossen ihr einen Betäubungspfeil ins Hinterteil und brachten sie auf den Hof der Tara-Tierhilfe in Lohmar. Dort konnte Hilde im weichen Stroh einer Pferdebox erst einmal ausschlafen.
![Menschen stehen mit ausgebreiteten Armen um eine Kuh herum. Es liegt Schnee.](https://static.ksta.de/__images/2025/01/11/9d9cddf0-a68f-4661-b5df-fff7e631475a.jpeg?q=75&q=70&rect=0,1140,3000,1687&w=2000&h=2666&fm=jpeg&s=5f3c783a7062fce21965df47b994a37e)
Die entlaufene Kuh Hilde wurde von der Tiersuchhilfe Rhein-Sieg eingefangen
Copyright: Tiersuchhilfe Rhein-Sieg-Oberberg
Eine Dauerlösung war das nicht: Ulla Fiebig von der Tara-Tierhilfe hat zwar 40 Pferden, Schweinen, Schafen und Ziegen eine Heimat geboten, aber Hornvieh hält sie nicht. Hilde war offenbar einsam. Und beschloss, nicht länger zu bleiben. Zehn Tage nach ihrer Rettung brach die freiheitsliebende Kuh erneut aus: „Als sie am Nachmittag gefüttert werden sollte, drängte sie sich plötzlich ungestüm an der Tierpflegerin vorbei, als diese vorsichtig die Boxentüre öffnete“, berichtete Jenny Seidt von der Tiersuchhilfe Rhein-Sieg-Oberberg. Hilde sprang aus dem Stand über zwei Zäune und lief in den Wald.
![Eine dunkle Kuh von hinten.](https://static.ksta.de/__images/2025/01/22/c63672d4-bd16-470f-b27b-957711f6ffc1.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=2666&fm=jpeg&s=0a56dbfe42f553f1f41d31e5e5a40c24)
Die Wilde Hilde: Die freiheitsliebende Kuh floh nicht nur vor dem Schlachter, sondern sprang auch auf dem Gnadenhof gleich über mehrere Zäune und machte sich davon.
Copyright: Nina Mühletaler
Weit kam sie diesmal nicht: Nach gut fünf Kilometern endete ihre Flucht mit einem erneuten Schuss aus einem Narkosegewehr. Mithilfe der Feuerwehr aus dem benachbarten Ort Neunkirchen-Seelscheid und eines Landwirts wurde das Tier mit einem Schwerlasttuch auf einen Anhänger gehoben und zurück auf den Hof gebracht. Nur: Wohin mit der wilden Hilde? Bleiben konnte - und wollte - die Kuh auf dem Hof nicht.
Auf dem Gnadenhof angekommen, sprang die wilde Hilde erst einmal über die Stallgitter
Einen Tag nach der erneuten Flucht Tierschützer schließlich auf einen Gnadenhof für Nutztiere in Niedersachsen, der kaum geeigneter hätte sein können: der Hof „Wilde Hilde“ des als gemeinnützig anerkannten Vereins „White Paw Organisation“. Hofleiterin Melanie Vogelei erklärte sich spontan bereit, Hilde aufzunehmen.
Mit vereinten Kräften wurde das abenteuerlustige Angusrind in Much also auf einen Anhänger verladen, eine Stallwand auf der einen und hoch aufgestapelte Strohballen auf der anderen Seite, damit die Kuh, an der Paul Schockemöhle seine Freude gehabt hätte, nicht erneut vom Transporter in die Freiheit springen konnte. Die Reise ins neue Leben konnte beginnen.
Doch was machte Hilde, kaum abgeladen und im Stall bei ihren neuen Artgenossinnen angekommen? Hüpfte über die Trennwände. „Wir haben einige Rinder mit Special Effects“, sagt Hofleiterin Melanie Vogelei und lacht. „Sie springt aus dem Stand über die 1,50 Meter hohen Gitter - aber bei uns kommt sie nicht raus, sie kann nur von Abteil zu Abteil.“ Und das machte Hilde dann auch, solange, bis sie in einem der voneinander abgetrennten Ställe 16 Artgenossinnen fand, bei denen sie bleiben wollte.
![Die ausgebüxte Kuh Hilde zieht um auf den Gnadenhof Wilde Hilde nach Niedersachsen](https://static.ksta.de/__images/2025/02/04/0e269f64-ec3a-4f4b-ad5d-53f3f6cf8633.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=2666&fm=jpeg&s=5ce6bf42b2d73c9cb722098a4b680360)
Klappe zu: Sorgfältig gegen Ausbruch gesichert, wurde die Kuh Hilde in Lohmar verladen und auf den Gnadenhof „Wilde Hilde“ nach Niedersachsen gebracht.
Copyright: Tiersuchhilfe Rhein-Sieg/Oberberg
Jetzt wolle sie die Mucher Kuh erst einmal ordentlich füttern, sagt die Hofleiterin, dann springe sie vielleicht auch nicht mehr so viel. Freundschaft mit dem so menschenscheuen Rind habe sie schon geschlossen: „Am Anfang hat sie mir einmal gedroht. Aber jetzt kommt sie schon, schnüffelt an meiner Hand“, erzählt Vogelei, die ihren Hof nach einer der ersten Kühe benannte, die sie vor dem Schlachter rettete und die trotz ihrer 14 Jahre immer noch auf dem Hof lebe und Neuankömmlingen bei der Integration helfe. „Es kann nur eine Wilde Hilde geben“, sagt Vogelei. Und so heißt die Mucher Hilde jetzt Astrid - nach ihrer Retterin Astrid Rath, die sie im Wald fütterte.
Und wer weiß, vielleicht wird ja aus der wilden Hilde jetzt die anschmiegsame Astrid, die nicht mehr über Zäune springt und Menschen in einer Staubwolke zurücklässt. Dann stünden die Chancen gut, dass das Angusrind im Sommer mit den anderen 192 Kühen die großen Weiden des Gnadenhofs in Niedersachsen genießen könne, so Vogelei: „Unsere Weiden haben endlos viel Wald, da darf sie nicht abzischen, die finden wir nie wieder!“