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ProzessNachbar findet auf der Straße in Niederkassel handgeschriebenen Hilferuf

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Amtsgericht Siegburg

Vor dem Amtsgericht Siegburg steht eine Anti-Gewalt-Bank. (Symbolbild)

Den Hilferuf fand ein Niederkasseler vor einem Wohnhaus. Er rief die Polizei. Der vermeintliche Peiniger saß jetzt vor Gericht.

Die Frau schien in höchster Not zu sein, festgehalten in einer Wohnung, ohne Handy und misshandelt vom Ehemann. So las sich der Hilferuf auf einem Zettel, den ein Nachbar vor einem Haus in Niederkassel fand. Die 37-Jährige traf ihren mutmaßlichen Peiniger jetzt vor Gericht wieder. Der 40-Jährige saß wegen Freiheitsberaubung auf der Anklagebank – und verstand die Welt nicht mehr.

Dreimal habe ihn seine Frau schon angezeigt; weil deren Behauptungen haltlos und nicht zu belegen gewesen seien, seien die Verfahren jedes Mal eingestellt worden. Der Gastwirt und Vater von zwei kleinen Kindern schüttelte den Kopf. „Meine Frau will ständig Geld von mir, ich verstehe sie nicht.“ Er müsse hart arbeiten, wegen Corona hätten sich Schulden angesammelt.

Polizei brachte Frau aus Niederkassel mit Kindern im Frauenhaus unter

Dennoch wolle er den Kontakt zu ihr: „Ich liebe meine Kinder.“ Sie habe auch schon ihr Interesse gezeigt, wieder zu ihm zu ziehen. Die Familie machte unlängst gemeinsam Urlaub. „Zurzeit ist alles gut, weil das Kindergeld auf ihr Konto überwiesen wird.“

Seit dem Sommer vergangenen Jahres lebt sie mit den Kindern im Frauenhaus, wo die Polizei sie unterbrachte, um die Parteien zu trennen. Bei der Befragung vor Ort habe sie einige blaue Flecke gezeigt, Urheber: angeblich der Ehemann. Beim Arzt war sie aber nicht. Auf Nachfrage von Richter Hauke Rudat, warum nicht, sagte sie: „Es hat nicht geblutet.“

Niederkasselerin verwickelte sich im Zeugenstand in Widersprüche

Bei der Vernehmung auf der Wache hatte sie die Situation anders geschildert als vor Gericht. Mal habe ihr Mann sie mit der Faust gegen den Kopf geschlagen, mal mit der flachen Hand gegen einen Schrank gedrückt, mal will sie am Oberschenkel verletzt worden sein, mal am Rücken. Die Flecken seien immer noch da, beteuerte die Zeugin, auch acht Monate später.

Vor Ort hatte sie der Polizei erzählt, dass sie das Haus nicht verlassen dürfe, auf der Wache sprach sie von Spaziergängen mit den Kindern. Vor Gericht verneinte sie das wieder. Sie habe die Kinder auch nicht in den Kindergarten gebracht, diese seien allein mit dem Fahrrad gefahren, eines gerade mal vier Jahre alt. Der Ehemann widersprach, im Kindergarten hätten die Erzieherinnen ihn sogar angesprochen, weil ja offenbar etwas nicht stimme, und Hilfe der Familienberatung angeboten. Er aber habe seine Frau nicht anschwärzen wollen.

Frau aus Niederkassel schilderte Kletter-Szene wie im Film

Vor Gericht verwickelte sich die 37-Jährige weiter in Widersprüche, ihre Schilderungen ähnelten Filmszenen: Sie sei sogar aus dem Fenster im ersten Stock aufs Fensterbrett geklettert, um die Nachbarn zur Hilfe zu rufen. Davon war bei der Vernehmung auf der Wache ebenfalls nicht die Rede gewesen. Warum sie nicht einfach aus dem Fenster Passanten angesprochen habe, fragte der Richter. Antwort: „Da ist nie jemand.“ Der Strafverteidiger sagte kopfschüttelnd: „Das ist die Hauptstraße in dem Stadtteil.“

Auch wann sie den handgeschriebenen Zettel tatsächlich auf die Straße flattern ließ, blieb unklar. So sollen am Montag die Übergriffe stattgefunden haben, der Nachbar fand das Papier allerdings erst am Freitag danach, ohne Falten und Flecken, wie sie erwartbar gewesen wären, wenn es tagelang auf dem Bürgersteig gelegen hätte, wunderte sich der Richter.

Die Staatsanwältin plädierte für Freispruch, ebenso der Verteidiger. Dem folgte das Gericht. Aufgrund der widersprüchlichen Aussage der Ehefrau in den entscheidenden Tatvorwürfen könne dem Angeklagten eine Schuld nicht nachgewiesen werden. Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.