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„Inakzeptable Probleme“E-Rezept verursacht Chaos in Rhein-Sieg – Ärzte setzen morgens auf Papier

Lesezeit 5 Minuten
Eine App, die das E-Rezept anzeigen kann, wird in einer Apotheke vor einem Bildschirm gehalten, der Hinweise zu den E-Rezepten anzeigt.

Immer wieder gibt es Softwareprobleme beim E-Rezept. (Symbolbild)

Apotheker und Ärzte berichten von teils massiven Problemen beim E-Rezept. Viele Ärzte stellen deshalb morgens wieder Papierrezepte aus.

Zum Jahresstart sollte durch das neue E-Rezept für Patienten, Ärzte und auch Apotheker vieles einfacher werden. Per Krankenkassenkarte oder Smartphone-App werden die Medikamentenverordnungen übermittelt. Ein Papierausdruck erfolgt nur noch im Notfall. Von der anfänglichen Euphorie ist rund zehn Wochen nach der Einführung allerdings nicht mehr viel übrig geblieben.

Jetzt ziehen Ärzte und Apotheken die Reißleine, werden ab sofort täglich bis 10 Uhr nur noch rosa Papierrezepte ausstellen. Das kündigte das „Aktionsbündnis Patientenversorgung“ am Montag an, in dem Hausärzte, Zahnärzte und Apothekerverband zusammengeschlossen sind.

Hausärztin aus Troisdorf weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll

Mit lautem Lachen reagiert Elke Cremer auf die Frage nach ihren Erfahrungen mit dem E-Rezept. „Oder soll ich weinen?“, fragt die Troisdorferin, die mit ihrem Mann eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis führt und Vorstandsmitglied im Hausärzteverband Nordrhein ist. „Es funktioniert leider nicht“, offenbar sei das System auf die Menge an Vorgängen nicht vorbereitet.

„Inakzeptabel“ sei es, in einer hausärztlichen Akutsprechstunde mit derartigen Problemen konfrontiert zu sein. „Ich brauche ein System in meiner Praxis, das läuft“ – gerade am Morgen: Dann kommen die akut erkrankten Patienten, dann sind die über Nacht per E-Mail oder auf dem Anrufbeantworter eingegangenen Rezeptwünsche zu bearbeiten. „Augenfällig“ ist für Elke Cremer, dass genau dann das System in die Knie geht.

Dabei sei es gut gestartet: Nach der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im vergangenen Jahr – „das lief nach anfänglichen Ruckeleien sehr gut“ – hatten die Cremers das E-Rezept noch vor dem Jahreswechsel eingeführt. „Frohgemut“, wie sie erzählt, seien sie gestartet. Seit Mitte Februar aber hätten sich die Probleme gehäuft. „Wahrscheinlich haben immer mehr Praxen die technischen Voraussetzungen geschaffen“, vermutet die Hausärztin. Und griffen nun auf dieselben Server zu.

Auch die Apotheken im Rhein-Sieg-Kreis haben Probleme mit dem E-Rezept

Auf der Apothekenseite gebe es die gleichen Probleme, sagt die Medizinerin. „Die können teilweise Rezepte nicht abrufen“, obwohl die Praxis eine Versandbestätigung erhalten habe. Das könne allerdings auch dauern, klagt Elke Cremer. Wenn die Patienten dann zurück in die Praxis kämen, sei das schon ärgerlich. Und erst recht, wenn das den Patienten am Wohnort widerfahre.

„Ich habe keine Zeit, das zehnmal zu probieren“, ist das Fazit der Ärztin. „Gerade, wenn es morgens zügig rausmuss.“ Schließlich sei das Papierrezept ja auch noch erlaubt.

Auch Dr. Jacqueline Hiepler, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Rhein-Sieg-Kreis, hat am vergangenen Montag einen Ausfall der Server miterleben müssen. „Wir haben dann kurzfristig reagiert und die Rezepte in Papierform ausgedruckt“, sagt die Hennefer Ärztin. Grundsätzlich sei die Einführung des E-Rezepts ein Fortschritt. Die Patienten hätten es gut angenommen, in den allermeisten Fällen laufe das System in ihrer Praxis. Serverprobleme seien aber „natürlich alles andere als hilfreich“.

Einführung des E-Rezeptes sorgt in Altenheimen für zusätzliche Arbeit

Wenig hilfreich sei die Umstellung auch für die Altenheime. Vor der Einführung seien die „rosa Zettel“ in den Heimen gesammelt und in die Apotheke gebracht worden. Nun müsse sich das Altenheim darum kümmern, die Rezepte auf den Krankenkassenkarten zur Apotheke zu bekommen. „Da gibt es schon noch Koordinationsprobleme“, konstatiert die KV-Vorsitzende.

„Dass es hakt“, hat auch Julia Hasenberg erlebt, angestellte Apothekerin in der Siegburger Easy-Apotheke an der Neuen Poststraße. „Letzte Woche war es so, dass es morgens nicht ging.“ Größere Probleme sehe sie allerdings nicht, sagte sie der Redaktion. „Zehn Prozent haken, 90 Prozent laufen glatt durch“; das seien wohl Anfangsschwierigkeiten und Serverprobleme.

Ein Apotheker im weißen Arztkittel vor der Ladentür. Er steht neben einem roten Fahrrad.

Jan Möller-Holtkamp führt zwei Apotheken in Sankt Augustin; auch er nennt die Erfahrungen mit dem E-Rezept 'frustrierend'

Zwei Apotheken betreibt Jan Möller-Holtkamp in Sankt Augustin. Als „frustrierend“ beschreibt der Kölner die aktuelle Situation. „Bei einem ist immer irgendwas“: Mal seien es die Server der Gematik, an der das Bundesgesundheitsministerium 51 Prozent hält, mal die Systeme der Anbieter der sogenannten SMCB-Karten, die man braucht, um sich im System anzumelden. „Und dann kommt es zu Ausfällen.“

Apotheker in Rhein-Sieg finden trotz der Probleme immer eine Lösung für die Patienten

Hinter der Einführung des E-Rezepts stehe eine politische Entscheidung, sagt der Apotheker. „Es ist eine Kopfgeburt und das Fußvolk, Arztpraxen und Apotheken mit ihren Beschäftigten, wird verheizt.“ Ein „Fußvolk“, das schon seit zwei Jahren bezahlt, wie der 54-Jährige berichtet. Für Hardware wie Terminals nämlich oder auch für Software-Dienstleistungen.

„Die Idee dahinter ist gut“, betont Möller-Holtkamp. Doch hätten die Verantwortlichen im Ministerium das System „blauäugig“ an den Start gebracht. „Und statt mal in anderen Ländern zu schauen, hat man ein eigenes System entwickeln wollen.“ Dabei gebe es in Österreich beispielsweise ein funktionierendes System.

„Leidtragende sind die Patienten“, sagt der Apotheker, „die ihre Rezepte nicht eingelöst bekommen.“ Da erlebten seine mehr als 50 Beschäftigten an zwei Standorten oft Unverständnis. Aber: „Trotz dieser ganzen Ausfälle schaffen wir es immer, für alle Kunden eine Lösung zu finden“, versichert Jan Möller-Holtkamp. Und wenn ein Bote dafür im Laufe des Tages 20 oder 30 Kunden beliefere.

Das könnten aber beileibe nicht alle Apotheken, weiß er. Und nicht immer ist auch sicher, dass die Apotheke Geld von der Krankenkasse bekommt. „Völlig unflexibel“ sei das elektronische System; Formfehler, die beim Erstellen des Rezepts in der Praxis passieren – zum Beispiel ein Fehlen der Dosierung -, könnten nicht oder nur mit enormem Aufwand korrigiert werden. Im schlimmsten Fall werde das Rezept auf null „retaxiert“. Dann geht die Apotheke leer aus, die das Medikament schon abgegeben hat.