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„Nie wieder ist jetzt“Hunderte Teilnehmer und mahnende Worte bei Pogrom-Gedenken in Rhein-Sieg

Lesezeit 5 Minuten
Gedenkstunde in einer Kirche.

Mit Zitaten Überlebender erinnerten Saskia Klemp, Claudia Arndt und Karl Schwerdtfeger an die Pogromnacht vor 85 Jahren.

An verschiedenen Orten im Rhein-Sieg-Kreis kamen Menschen zusammen, um den Novemberpogromen vor 85 Jahren zu gedenken.

An mehreren Orten im Rhein-Sieg-Kreis gedachten Menschen der Novemberpogrome gegen Jüdinnen und Juden vor 85 Jahren – ein Gedenken, das durch den Angriff der Hamas auf Israel beklemmende Aktualität hat.

Windeck-Rosbach

„Es ist beschämend, dass das gerade hier in Deutschland passiert . . .  Wir müssen alle zusammenstehen und das Stoppschild hochhalten: nie wieder, und nie wieder ist jetzt.“ Bei der zentralen Feier in Windeck-Rosbach zum Gedenken an die Novemberpogrome fand die stellvertretende Landrätin Notburga Kuhnert klare Worte. An die Schulen appellierte sie, zu erinnern und aufzuarbeiten, auch wenn es bald keine Zeitzeugen mehr für das grausame Geschehen vor 85 Jahren und in den Jahren danach gebe, sagte sie in der gut besetzten evangelischen Salvatorkirche.

Israel habe ein Existenz- und Verteidigungsrecht, unterstrich Elisabeth Winkelmeier-Becker in einer Grußbotschaft aus Berlin. Dort erlebe sie schon wieder, dass jüdische Geschäftsleute diffamiert würden. „Gegen alle Formen des Antisemitismus müssen wir vorgehen. Wir müssen ein klares Zeichen setzen, hörbar und sichtbar.“ Da habe wie schon in der Vergangenheit auch die Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg“ in Rosbach ihren Platz. Musikalisch umrahmten Bella Liebermann und Katya Kaschuba die Feier mit jiddischen Liedern und dem hebräisch vorgetragenen Psalm 126.

Eine Frau singt in einer Kirche.

Musikalisch umrahmten Bella Liebermann und Katya Kaschuba die Feier mit jiddischen Liedern und dem hebräisch vorgetragenen Psalm 126.

Mit Berichten Überlebender, Emigrierter wie in Deutschland mit dem Leben Davongekommener erinnerten Kreisarchivarin Dr. Claudia Arndt, Saskia Klemp M.A. von der Gedenkstätte und Dr. Karl Schwerdtfeger vom Förderverein an das Geschehen vor 85 Jahren. „Die ganze Sache war von langer Hand vorbereitet“, hieß es. Vorbereitet schon in den Jahren vor 1938, getragen von der deutschen Bevölkerung.

Im Herbst 1938 willkürlich nach Polen abgeschobene Menschen kamen in den Zitaten zu Wort und auch Max Seligmann aus Rosbach, der damals den Transport nach Dachau sogar noch selbst bezahlen musste. Von der Gewalt der Nachbarn Seligmanns war die Rede, vom zerstörten Textilgeschäft der Familie. Fotos zeugten von Terror und Brutalität in Deutschland, aber auch an Orten des heutigen Rhein-Sieg-Kreises. „Es sind nur Parteileute“, hatte ein Betroffener damals noch seine Familie beruhigt, bevor die betrunkene Meute das Haus stürmte. Und immer wieder sprachen Klemp, Arndt und Schwerdtfeger von der Angst jüdischer Menschen.

Troisdorf

In Troisdorf legte Bürgermeister Alexander Biber einen Kranz am Jahnplatz nieder, „als Zeichen des Erinnerns, als Mahnung und mit der Bitte um Versöhnung.“ Rund 80 Menschen aus Politik, Gesellschaft und Kirche nahmen an der Veranstaltung teil, bei der erstmals die Polizei mit zwei Streifenwagen den Treffpunkt absicherte. „Wir brauchen diese Tradition des Erinnerns und Gedenkens“, sagte Biber. Schließlich seien Verfolgung und Entrechtung auch in Troisdorf geschehen, „auch hier in unserer Stadt“. In den vergangenen Wochen sei, so der Bürgermeister, der Hass auf Menschen jüdischen Glaubens, auf Israelis, wieder offen zutage getreten. „Spätestens jetzt darf auch bei uns keiner mehr sagen: Ich wusste von nichts.“

Pogromgedenken in Troisdorf.

Einen Kranz legte Bürgermeister Alexander Biber am Jahnplatz in Troisdorf nieder.

Dem Regime Hitlers hätten viele nur ein paar Monate Bestand zugetraut, sagte Biber. Aber: „Auch aus dieser Erfahrung heraus müssen wir endlich anfangen, diejenigen ernst zu nehmen, die uns abschaffen wollen. Die unsere Freiheit hassen, unsere Zivilisation, unsere Kultur, unsere Religion hassen, für die Frauen nicht gleichwertig sind und für die Juden, ja für die Juden Ziele für Terror, Folter und Mord sind.“

Der Appell „Nie Wieder!“, das bedeute „hier und jetzt!“; das bedeute in diesen Tagen aber auch, „den Blick auf die gesamte Gesellschaft zu richten, auf das ganze Spektrum von Kräften, denen die Bundesrepublik Deutschland, denen unsere Verfassung und unser Rechtssystem ein Dorn im Auge ist.“ Wie das damals geschehen konnte, zeichneten im Anschluss an die Kranzniederlegung Historiker Norbert Flörken sowie Schülerinnen und Schüler in der Remise der Burg Wissem nach, die mit Zeitdokumenten aus Troisdorf berichteten.

Siegburg

Vom Platz der Siegburger Synagoge an der Brauhofpassage bis zum jüdischen Friedhof in der Heinrichstraße führte ein Marsch zum Gedenken an die Novemberpogrome durch die Kreisstadt: Rund 200 Teilnehmer waren der Einladung des evangelischen Pfarrers Matthias Lenz gefolgt, der im Namen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen zu den Teilnehmern sprach. Der Antisemitismus sei nie aus der Gesellschaft verschwunden, neu sei hingegen das Ausmaß des Hasses, sagte Lenz. „Die Angst ist wieder da.“

Ein Marsch zum Gedenken an die Novemberpogrome führte durch Siegburg.

Ein Marsch zum Gedenken an die Novemberpogrome führte durch Siegburg. 200 Menschen schlossen sich an.

An der Brauhofpassage erinnert ein Brunnen in Forma eines Davidsterns an die 1841 erbaute Synagoge Siegburgs, die Nazischergen am frühen Morgen des 10. Novembers in Brand gesetzt hatten. Das Gebäude, das auch als Gemeindezentrum diente, wurde zerstört, Reste wurden 1940 abgerissen.

Eine jüdische Gemeinde gab es bereits im Mittelalter in Siegburg, bis zu einer Vertreibung Mitte des 15. Jahrhunderts. Anfang des 17. Jahrhunderts folgte die Wiederbesiedlung, unter den Nationalsozialisten endete die jüdische Gemeinde in der Kreisstadt mit der Verschleppung und Ermordung. Der Friedhof, so Lenz, zeuge heute noch „von dem reichen jüdischen Leben, das Siegburg einmal hatte“.

Lohmar

Vor den eindringlichen Worten wurde erstmal gewischt: Jugendliche knieten nieder und polierten den Stolperstein, den Ort des Gedenkens an die Pogromnacht, an den Massenmord. Die Messingplatte im Gehweg an der Hauptstraße 105 erinnert an den Lohmarer Juden Ernst Hoffmann, 1944 nach Auschwitz deportiert. Die Oberstufenschüler von Gesamtschule und Gymnasium erinnerten an den 9. November vor 85 Jahren, als Menschen „angegriffen, misshandelt und gelyncht wurden“, nicht nur von hochrangigen Nazis, sondern „von der breiten Masse“.

Und sie verbanden es mit einem Appell „für Zivilcourage und gegen die Vergessenskultur“. Mit Bürgermeisterin Claudia Wieja legten sie weiße Rosen nieder, einen ganzen Korb voll hatte Ratsherr Rüdiger Ramme mitgebracht.

Jugendliche polierten einen Stolperstein.

Jugendliche polierten den Stolperstein für Ernst Hoffmann an der Lohmarer Hauptstraße und legten mit Bürgermeisterin Claudia Wieja weiße Rosen nieder.

Wieja betonte, dass das „Nie Wieder“ angesichts des jüngsten Terrorangriffs auf Israel erschreckende Aktualität bekommen habe. In Lohmar sei eine Hauswand besprüht worden, „es sah für die Besitzerin des Geschäfts aus wie ein Davidstern“. Die 80-Jährige habe Tränen in den Augen gehabt.

Der Künstler Herbert Döring-Spengler, der die Verlegung des Stolpersteins 2009 angeregt hatte, sprach die antisemitischen Demos von Israel-Gegnern in Deutschland an: „Wir lassen das geschehen und bleiben in unseren Häusern. Mir fehlt das Gedenken auf der Straße.“