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Konflikte, Respektlosigkeit, PräventionNimmt die Gewalt an Schulen in Rhein-Sieg zu?

Lesezeit 4 Minuten
Eine Lehrerin schreibt an eine Tafel.

Steigen Gewaltvorfälle an Schulen im Rhein-Sieg-Kreis? (Symbolbild)

Häufen sich auch im Rhein-Sieg-Kreis Gewaltvorfälle unter Schülern und gegenüber Lehrkräften? Wir haben bei Schulen nachgefragt. Zwei gaben Auskunft.

Gewaltvorfälle an Schulen nehmen zu, in Nordrhein-Westfalen noch stärker als in anderen Bundesländern – das hat eine Umfrage des Forschungsinstituts Forsa im vergangenen Jahr ergeben. Nehmen auch die Verantwortlichen an Schulen im Rhein-Sieg-Kreis eine solche Entwicklung wahr?

2023 seien im Rhein-Sieg-Kreis 31 Fälle der Gewaltkriminalität an Schulen erfasst worden, teilt die Polizei des Kreises mit. In diese Statistik fallen allerdings ausschließlich schwere Delikte wie Vergewaltigung und besonders schwere Fälle der sexuellen Nötigung, Mord, Totschlag oder gefährliche und schwere Körperverletzung. 2022 waren es 28, 2021 gab es 21 solche Fälle in Rhein-Sieg.

GHS Niederpleis verzeichnet keinen Anstieg an Gewaltfällen, aber mehr Respektlosigkeit gegenüber Lehrern

Die Gemeinschaftshauptschule Niederpleis in Sankt Augustin beobachte keinen Anstieg an Gewaltfällen, teilt Schulleiterin Susanne Schleebaum mit. Jedoch: „Leider beobachten wir einen Anstieg an Respektlosigkeiten“ gegenüber Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern, „schon ab Jahrgang fünf“, so Schleebaum.

Gegenüber der Lehrerschaft kämen solche Respektlosigkeiten seltener vor und seien vor allem verbaler Natur. „Schülerinnen und Schüler beleidigen sich hauptsächlich, gerne auch aus Spaß, verbal, manchmal wird getreten oder es gibt eine Backpfeife“, sagt Schleebaum. Da die Schule stark präventiv arbeite, seien Ausschreitungen eher selten. „Unsere Aufsichten achten sehr auf Ordnung, die Pausen sind gestaffelt. Bei Vorfällen reagieren wir sofort.“

Meiner Meinung nach ist die Verpflichtung des Elternhauses, ein Kind zu erziehen, wenig im Fokus der Eltern.
Susanne Schleebaum, Schulleiterin GHS Niederpleis

Zum einen arbeitete das Lehrerpersonal in Niederpleis in festen Teams, „Lernfamilie“ genannt. Pro Lernfamilie gebe es ein bis zwei ausgebildete Anti-Gewalt-Trainer. „Die meisten Kolleginnen und Kollegen verfügen über ein ‚sozialpädagogisches Gen‘. Darauf achte ich ganz besonders bei der Einstellung, die tiergestützte Pädagogik unterstreicht das“, so Schleebaum. So bestehe die Arbeit mit den beiden ausgebildeten Schulhunden von der Hundeschule Jacobs fort.

Außerdem arbeite man mit der Familienberatungsstelle Sankt Augustin und dem Quartiersmanagement Niederpleis beratend zusammen. Die schulinterne Gruppe „Klappe auf“ gehe durch Informationen und Gespräche mit Beteiligten gegen Mobbing vor.

Die Schulleiterin ist skeptisch, wenn die Zunahme an Respektlosigkeiten auf die Corona-Zeit zurückgeführt wird. „Meiner Meinung nach ist die Verpflichtung des Elternhauses, ein Kind zu erziehen, wenig im Fokus der Eltern“, so Schleebaum, „Eltern sind oft nicht mehr die Chefs in ihren Wohnzimmern, keine Vorbilder mehr. Kinder setzen sich durch.“

Siegburger Schulleiter beobachtet Zunahme an falschen Gerüchten über Gewaltfälle

Weit mehr als einen Anstieg der Gewaltfälle an der Städtischen Gesamtschule am Michaelsberg in Siegburg beobachtet Schulleiter Jochen Schütz „eine höchst problematische Dauererregung der Öffentlichkeit, hervorgerufen durch die Flut an diesbezüglichen Posts in den sogenannten sozialen Netzwerken“.

So würden extreme, jedoch seltene Gewaltfälle vervielfältigt dargestellt und eher harmlose Fälle dramatisiert. „Es hat hier auf dem Schulgelände keine Messervorfälle gegeben“, betont der Schulleiter. Dennoch gebe es immer wieder Gerüchte diesbezüglich. Er habe noch niemanden getroffen, der solche Vorfälle aus erster Hand beobachtet habe.

Viele Erziehungsberechtigte erstatten sehr schnell Anzeige gegen die Kinder anderer Eltern – woraus allerdings fast immer nichts erwächst.
Schulleiter Jochen Schütz

Schütz beobachtet außerdem eine Veränderung des Verhaltens vieler Eltern: „Viele Erziehungsberechtigte erstatten sehr schnell Anzeige gegen die Kinder anderer Eltern – woraus allerdings fast immer nichts erwächst – und das entschieden nicht nur, weil die Kinder noch strafunmündig sind.“

Worum es in diesen Anzeigen meistens gehe, könne er nicht sagen; die Polizei kontaktiere die Schule in der Regel, um nach Personalien zu fragen. „Das passiert auch gerne in Wellen. Manchmal kommen drei, vier Anzeigen in wenigen Wochen.“ Auch hier gehe es nicht selten um Posts im Internet: „Gerade da bleibt es in der Regel völlig undurchsichtig, ob es nun einen Täter und ein Opfer gibt und wie das angefangen hat.“

Gesamtschule am Michaelsberg in Siegburg: Gewalt steigt nicht, aber die Mittel ändern sich

Er behaupte nicht, dass es keine Gewaltfälle an Schulen gebe, betont Jochen Schütz. „Kinder und Jugendliche versuchen seit Menschengedenken, ihre Konflikte primär mit verschiedenen Formen von Gewalt zu lösen“, so der Schulleiter, „eine zentrale Aufgabe von Erziehung ist es, ihnen andere Werkzeuge an die Hand zu geben und dafür zu sorgen, dass die Betroffenen diese Werkzeuge auch einsetzen.“

Vor allem im Alter von zehn bis zwölf Jahren beobachte die Schule eine eher hohe Anzahl von Konflikten, was bei 13-Jährigen langsam sinke. Die Form, wie jene Konflikte ablaufen, verändere sich, wobei soziale Medien eine zunehmende Rolle spielten, sagt Schütz. „In sozialen Netzwerken richten Jugendliche Dinge an, die sie selbst nicht überblicken können. Das hat auf die Betroffenen natürlich extreme Auswirkungen.“ Er wolle aber betonen: „Nicht die Kinder haben sich verändert, was Konflikte und Gewalt angeht, sondern die Möglichkeiten“, so der Schulleiter.

Das Vermitteln von Techniken, wie so entstehende Konflikte gewaltfrei gelöst werden können, sei ein Schwerpunkt der Arbeit der Gesamtschule am Michaelsberg. Verschiedene Formen von Sozialtrainings seien vor allem in den unteren Klassen fest in der Schullaufbahn verankert. In akuten Konfliktfällen führe man mit den Beteiligten Einzel- und Kleingruppengespräche. Vor allem letztere Maßnahme sei sehr erfolgreich.

Der Schulleiter würde die Maßnahme begrüßen, den Zugang zu sozialen Medien für unter 16-Jährige zu sperren: „Pubertierende sind hirnphysiologisch nicht in der Lage, die Folgen ihres Tuns zu überblicken – ein Umstand, dem wir auch durch Präventivmaßnahmen aller Art nicht erfolgreich begegnen können.“