Tatiana Klimenko floh mit Sohn Mark aus dem ukrainischen Charkiw, Kristina Korniienko kam aus Kropywnyzky in der Zentralukraine – und landeten in Siegburg. Zum Jahreswechsel blicken sie zurück auf bewegende Monate.
Jahreswechsel nach der FluchtSo blicken Ukrainerinnen in Siegburg auf bewegende Monate zurück
Was bringt das neue Jahr? Fast 2500 Kilometer von Zuhause entfernt, bekommt die Frage noch einmal eine ganz andere Bedeutung: Aus dem ukrainischen Charkiw hat es Tatiana Klimenko nach Siegburg verschlagen, schon nach der berüchtigten Ansprache Wladimir Putins am 24. Februar hatte sie begonnen, Sachen für sich und ihren elfjährigen Sohn Mark zu packen.
Es folgten endlose Stunden im Keller. Im Freien konnte sich niemand sicher fühlen, Sirenenalarme gehörten zum Alltag. „Am Himmel konnten wir den Widerschein von Geschützfeuer und Explosionen sehen.“ Einfach zu fliehen schien zunächst keine Option zu sein. „Immer wieder sahen wir Bilder von Autos, die auf der Flucht beschossen und zerstört worden waren.“
Doch Anfang März saßen Tatiana, Mark und Chihuahua-Rüde Maxim mit Freunden im Auto, und sie sah die Wracks am Straßenrand mit eigenen Augen, auf dem Weg Deutschland. „Ich hatte mir nie vorstellen können, mein Land zu verlassen, meine Freunde, meine Eltern.“
Dankbar für Neuanfang in Siegburg
„Ich bin dankbar, dass mir hier eine neue Chance gegeben wird“, sagt die 34-Jährige heute, die zunächst in der großen Flüchtlingsunterkunft am Siegdamm wohnte, dann in der großen Anlage mit Sozialwohnungen, die vor kurzem Wolfgang Overath an der Händelstraße baute. Etwas Deutsch spricht sie bereits, aber das soll schnell mehr werden: Nachdem sie anfangs noch im Homeoffice weiterarbeitete – in der Ukraine war sie Finanzbuchhalterin für eine Handelskette für Tierbedarf – ist sie fest entschlossen, sich voll auf den Integrationskurs zu konzentrieren.
„Ich fühle mich wieder wie eine Studentin, das ist schon seltsam. Und ich liebe meine Arbeit wirklich sehr.“ Sohn Mark ist am Gymnasium Alleestraße in einer Integrationsklasse untergekommen. „Es gefällt mir dort“, sagt er, und seine Mutter lobt: „Er hat in der Ukraine gut gelernt, und er lernt in Deutschland gut.“
Nicht minder hat es Mark das Taekwondo-Training angetan, das er in Bonn begonnen hat. Die letzten Tage in der Ukraine aber lassen Tatiana nicht los. Einen Riesenschrecken jagte ihr unlängst der bundesweite Probealarm ein, und auch der rege Luftverkehr über Siegburg macht ihr zu schaffen.
Fernsehbilder machten sie fassungslos
„In Charkiw waren zu Kriegsbeginn viele Flugzeuge in der Luft“, erinnert sie sich. „Immer wieder habe ich versucht, meine Eltern zu überreden, nach Deutschland zu kommen, aber sie sind dagegen.“ Dafür fand sie in Siegburg eine neue Freundin. Kristina Korniienko kam aus Kropywnyzky (früher Kirowohrad) in der Zentralukraine nach Deutschland. Sie schildert, wie in den ersten Tagen nach und nach die Infrastruktur in der Stadt zusammenbrach, wie Waren zunehmend aus den Geschäften verschwanden und sich vor den Banken lange Schlangen bilden. Am Anfang habe sie gar nicht verstanden, was los sei, dann sei sie nur noch geschockt gewesen.
Die Fernsehbilder vom Krieg habe sie kaum glauben wollen. Die Situation wurde zunehmend hoffnungslos. „Ich arbeitete als Managerin für einen Mineralwasservertrieb, und mir war klar, dass ich über kurz oder lang arbeitslos werden würde.“
Den Anstoß gab ein Freund aus der Schweiz, der sich große Sorgen um sie machte und ihr zuredete, die Ukraine zu verlassen – was sie schließlich auch tat und auf der letzten Etappe in Siegburg landete. Kurz vor Weihnachten erst bekam sie den Zuschlag für eine kleine Wohnung an der Ludwigstraße, in die sie aus der Flüchtlingsunterkunft wechseln kann, und auch ein Platz im Integrationskurs ist in Sicht.
Ukrainer optimistischer als Deutsche
„Das wird schon alles, ich bin keine Pessimistin“, sagt die 33-Jährige. Die Freundinnen bedauern allerdings, dass es zu wenig Gelegenheit gebe, mit Deutschen sich auf Deutsch zu unterhalten. Tatiana beeindruckt die Einstellung ihrer Landsleute in den schrecklichen Kriegszeiten. „Ich habe das Gefühl, die Leute sind optimistischer als hier, auch wenn sie bei Kerzenlicht und ohne Heizung in ihren Wohnungen sitzen. Alle warten auf den Frühling.“
Hilfsbereitschaft untereinander und Solidarität seien ungeheuer, gerade gegenüber alleinstehenden und alten Menschen. Kristina Korniienko gibt eine Frau aus dem zerstörten Mariupol zu denken, die sie in Siegburg kennenlernte. Deren Mann sei in ihren Armen gestorben, tödlich verletzt, wahrscheinlich durch einen Granatsplitter. „Aber sie will wieder zurück“, auch wenn um ihr Haus herum alles zerstört sei. Zweifel an einem Sieg über Putin habe niemand, erzählen die Frauen.
Begeistert von Weihnachtsbaum in Metro in Charkiw
Tatiana freut sich über Bilder aus dem weihnachtlichen Charkiw. „Dort haben sie jetzt sogar in der Metro, die als Luftschutzbunker genutzt wird, einen Weihnachtsbaum aufgestellt. Eine großartige Idee.“ Auch Kristina ist dankbar über die Unterbringung und die Möglichkeiten, die ihr in Deutschland gegeben werden. Sie will so schnell wie möglich arbeiten. „Ich will Deutschland etwas zurückgeben, und sei es, indem ich Steuern zahle.“