Unsere ukrainische Autorin lebt als Studentin in Köln und kam als Hospitantin zum „Kölner Stadt-Anzeiger“ - wenige Tage, bevor der Krieg in ihrer Heimat ausbrach.
Ukrainerin in Köln„Ich wusste, dass meine Eltern nicht aus den Bussen aussteigen werden“
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich dieses Jahr ein neues, zusätzliches Leben bekommen habe. Das Leben als Journalistin. Anfang Februar fing ich mein erstes Lokalpraktikum in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ an. Damals gab es bereits Gerüchte über einen möglichen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Doch keiner konnte sich das wirklich vorstellen.
Einen Tag vor Kriegsbeginn glaubte niemand an eine russische Invasion
An meinem zweiten Tag in der Lokalredaktion habe ich vorgeschlagen, Ukrainer in Köln zu befragen, ob sie glauben, dass die Ukraine von Russland angegriffen wird. Ich habe drei Protagonistinnen befragt und sie hatten alle die gleiche Meinung – es wird nicht zu einem Krieg kommen. Der Artikel wurde am 23. Februar veröffentlicht, einen Tag vor Kriegsbeginn. Am nächsten hat die ganze Welt darüber berichtet, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist.
In diesem Jahr gab es viele spannende, und oft relativ traurige Termine bezüglich des Krieges. Zusammen mit einem meiner Arbeitskolleginnen und -kollegen aus der Lokalredaktion wartete ich auf die ersten Busse mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Sie waren alle erschöpft, manche hatten dreckige und kaputte Kleidung an. Ich sah die einfahrenden Busse und spürte einen starken Schmerz in mir, weil ich wusste, dass meine Eltern nicht aus den Bussen aussteigen werden. Genau da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass die nächsten Monate nicht einfach für mich sein werden und dass es allein meine Entscheidung ist, wie ich damit umgehe. Mir wurde bewusst, dass ich meinen Eltern nicht aus der Ferne helfen kann und dass ich meine Großeltern nicht aus Mariupol wegbringen kann.
Daher ist für mich sehr schnell klar geworden, dass ich mein Bestes tun werde, um den geflüchteten Menschen, die besonders bedürftig sind, hier vor Ort zu helfen.Ich stelle mir vor, wie einige der jetzt Flüchtenden im Jahr 2014 meinen Mitbürgern geholfen haben, die vom Krieg in der Ost-Ukraine in andere Teile des Landes geflohen sind.Nach verschiedenen Interviews mit Geflüchteten haben wir viele E-Mails erhalten: mit Wohnungs-, Arbeits- und allgemeinen Hilfsangeboten.
Je näher der Sommer kam, desto schlimmer wurde es. Immer mehr Menschen sind nach Köln gekommen, die die Besatzung der Russen überlebt haben. Die von Leid geprägten Lebensgeschichten waren sehr bewegend. Daher habe ich mir viele der Interviews zu Herzen genommen. Mein eigener Schmerz hat sich mit dem Schmerz der anderen vermischt.
Kein Zeichen aus der Heimat
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich eine Frau aus der Ukraine am Hauptbahnhof getroffen habe, als ich für eine Reportage über die Anlaufstellen unterwegs war. Sie war erschöpft und wollte eigentlich nicht mit mir sprechen. Sie hat mir sehr deutlich gesagt: „Wenn du mir helfen willst, dann finde meine Mutter in Mariupol, die sich schon seit drei Wochen nicht mehr bei mir meldet.“ Genau zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch seit eineinhalb Monaten nichts von meinen Großeltern in Mariupol gehört. Das tat sehr weh – wir alle waren hilflos. Die Idee mit der Willkommenszeitung und die anschließende digitale Willkommens-Webseite für die Geflüchteten – ksta.de/willkommen – haben mir in den vergangenen Monaten oft geholfen, mit diesem Schmerz umzugehen.
Ich habe Menschen getroffen, die das Magazin in den Flüchtlingsunterkünften gelesen haben und ich habe gesehen, wie Kölner Familien es für ukrainische Geflüchtete mitgenommen haben, die sie in ihrem Haus untergebracht haben. Menschen, die für eine ungewisse Zeit ihre Heimat verlassen mussten, haben viele Fragen. Und wir haben versucht, auf alle diese Fragen zu antworten, um die ersten Schritte in Deutschland einfacher zu machen. Jetzt, zehn Monate später, treffe ich in Köln ganz andere Ukrainer. Sie können sich etwas auf Deutsch bestellen und sich mit anderen in deutscher Sprache unterhalten. Sie haben sich ein temporäres Zuhause eingerichtet und ein neues Umfeld gefunden.
Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht mehr an ihr Heimatland, die Ukraine, denken. Das bedeutet aber, dass sie auf dem richtigen Weg sind, um sich in Deutschland zurechtzufinden. Und ich bin mir sicher, dass unser Willkommensprojekt und die anderen Unterstützungsangebote ihren Beitrag dazu geleistet haben.
Eva Bobchenko, 21, ist in der ukrainischen Stadt Donezk geboren. Seit 2018 lebt sie in Köln. Sie zog für ihr Studium nach Deutschland, ihre Studienfächer sind BWL und Journalismus. Seit ihrem Praktikum in der Kölner Lokalredaktion im Februar arbeitet sie neben ihrem Studium als freie Journalistin für den „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Das Projekt „Willkommen“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“
Kurz nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine überlegt die Redaktion - auf Anregung und gemeinsam mit dem Kölner Verein Blau-Gelbes Kreuz - , wie man den vielen in Köln und der Region ankommenden Geflüchteten helfen kann. Innerhalb von vier Tagen entsteht das in einer Auflage von mehr als 10 000 Exemplaren gedruckte Magazin „Willkommen in Köln“ in ukrainischer Sprache mit nützlichen Informationen über die Region. Es wird unter anderem in Notunterkünften verteilt. Auf der Internetseite ksta.de/willkommen veröffentlicht die Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ seit dem Frühjahr regelmäßig Artikel über die Situation der Geflüchteten aus der Ukraine in der Region und über lokale Hilfsangebote - auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch. Es wurde ein halbes Jahr lang von der Landesanstalt für Medien gefördert. (sbs)