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75 Jahre nach dem AngriffGedenkstunde erinnert an die vergessenen Opfer von Kaldauen

Lesezeit 4 Minuten

In Ittenbach wurden die Zwangsarbeiter 1949 beigesetzt. Zuerst waren sie in einem Massengrab bestattet worden.

Siegburg/Königswinter – Knochenarbeit bis hin zu völligen Erschöpfung, Hunger, Verzweiflung, Demütigungen und völlige Rechtlosigkeit Tausende Kilometer von Heimat und Familie entfernt: So sah das Schicksal von Millionen von Zwangsarbeitern aus, die das Überleben des „Tausendjährigen Reichs“ sichern sollten – und dafür oft selbst mit dem Leben bezahlten.

So auch 19 Männer und Frauen, die am 23. März 1945, von deutschen Soldaten angetrieben, über die Hauptstraße in Kaldauen marschierten und von Granaten der US-Truppen zerfetzt wurden. Die meisten Opfer sind namentlich nicht bekannt, doch vergessen sind sie nicht: Auf der Kriegsgräberstätte in Königswinter-Ittenbach fand jetzt 75 Jahre danach eine Gedenkstunde statt, mit vielen Besuchern aus Kaldauen.

Auch die Kreisstadt zeigte sich den Toten verbunden, Bürgermeister Franz Huhn hatte die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen, die vom ökumenischen Gesprächskreis Kaldauen unterstützt und von dessen Mitglied Ulrich Tondar initiiert wurde.

Ulrich Tondar fasste Geschichte zusammen

Mit Stücken von Johann Sebastian Bach und Bartók schufen Rostik Kezhnikov (Violine) und Justyna Sliwa (Viola) den gebotenen Rahmen für die Feier. Texte und Gedichte zur Geschichte der Zwangsarbeiter steuerte der Theologe Michaela Schwinge bei, Initiator des Projekts „Klassikmobil“. Annette Hirzel, Schulpfarrerin am Siegburger Anno- Gymnasium, zeigte Schülerarbeiten aus einem Projekt zum Thema – eine Plastik mit Händen, die ein buntes Herz umfassen, und eine Zeichnung, die den Marsch durch Kaldauen zeigt.

Mit klassischer Musik und Texten gedachten die Besucher der Gedenkstunde den Zwangsarbeitern.

Ulrich Tondar hatte die Geschehnisse für einen Vortragstext schon im Jahr 2015 gründlich aufgearbeitet und rekonstruiert. Bereits früh am Morgen waren insgesamt 40 Zwangsarbeiter auf dem Weg von Köln nach Neunkirchen, wo sie beim Bau von Panzersperren eingesetzt werden sollten.

Anwohner versuchten, die Verletzten zu retten

Doch in der Dämmerung gab es, so berichtete Tondar, „ein fürchterliches Missverständnis“: Die US-Truppen am anderen Ufer der Sieg mussten von deutschen Truppenbewegungen ausgehen und eröffneten das Artilleriefeuer.

Vogelfrei nach Bombenangriff

Ulrich Tondar geht davon aus, dass zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mehr als zwölf Millionen Menschen Zwangsarbeit leisteten, eine Zahl, die auch das Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“ in Berlin nennt.

Allein in Siegburg seien es 3048 gewesen, von denen 2864 in der Zellulosefabrik Phrix arbeiteten. Als die dortigen Werkstätten am 9. März 1945 durch einen Bombenangriff zerstört wurden, seien die Zwangsarbeiter „vogelfrei“ geworden.

Einige fanden Zuflucht in Kaldauen bei der Familie Braun, wurden aber von der SS vertrieben. Auch die Familie Hochgeschurz half zwei Zwangsarbeiterinnen. Die Flucht zurück endete für viele im Lager, in der sie als Kollaborateure behandelt wurden. (ah)

Mindestens eine Granate schlug in Höhe Hauptstraße/Paul-Moog-Straße ein. 18 Menschen waren sofort tot. Anwohner versuchten trotz Beschuss, den vielen Schwerverletzten so gut wie möglich zu helfen, die Schule und Privathäuser wurden als Lazarette eingerichtet. „Die hilfsbereiten Menschen waren überfordert“, schildert Tondar, der selbst in Kaldauen lebt und mit Anwohnerin Käthe Heck sprach, die ihr Haus zur Verfügung stellte.

Später wurden die Toten auf einen Ehrenfriedhof verlegt

Medizin oder Verbandsmaterial habe es nicht gegeben. „Die Nerven lagen blank, und mittendrin die Kinder, die dieses fürchterliche Leid mit ansehen mussten.“ Einige Verletzte konnten auf Pferdewagen ins Mucher Krankenhaus gebracht werden, doch auf die Unversehrten wartete der nächste Schlag. Sie wurden mit anderen Zwangsarbeitern im Neunkirchener Saal Küpper untergebracht, der in der Osternacht auf den 1. April fünf Stunden lang beschossen wurde. Tondar berichtet von 120 Granaten, die in das mit Menschen „vollgestopfte“ Gebäude einschlugen.

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Die Opfer von Kaldauen wurden unter Lebensgefahr zunächst neben der Hauptstraße in einem Massengrab bestattet, zwischen Kaldauen und Mönchshecke. Später wurden die Toten exhumiert und auf einen Ehrenfriedhof am Ortseingang von Allner verlegt. Im Oktober 1949 schließlich fanden sie in Ittenbach ihre endgültige letzte Ruhe.

Ulrich Tondar hätte sich, sagte er, schon zuvor einen würdigen Umgang mit den Opfern und die Beisetzung auf dem Friedhof in Seligenthal gewünscht. Von einem Gebet am Grab oder einem Gottesdienst in der Seligenthaler Kirche sei damals nichts bekannt geworden: „Die Fremden waren zu ihren Lebzeiten wenig geachtetes Arbeitsmaterial, eine christliche Bestattung war in den letzten Kriegstagen mit all den damit verbunden erheblichen Gefahren nicht möglich.“