Kriegsende in Siegburg 1945Die Zeit der Wut und des Hungers war vorbei
- Am 10. April 1945 endete der Zweite Weltkrieg für die Siegburger mit dem Einmarsch der Amerikaner.
- Der Krieg hatte die Siegburger Bewohner zuvor praktisch zu Höhlenmenschen gemacht, die sich nicht mehr vor das Haus trauten.
- Ein Blick ins Archiv verrät zeitgeschichtliche Details.
Siegburg – Endlich. Wochenlang konnte sich niemand auf die Straße wagen, doch am 10. April sind die Geschütze verstummt. Durch die Fensterschlitze ihrer Keller sehen die Siegburger Stiefel über das Pflaster stapfen, keine deutschen Knobelbecher, amerikanische Kampfstiefel. So muss es für viele ausgesehen haben, das Ende der NS-Zeit in der Kreisstadt, zumindest ist sich dessen Stadtarchivar Jan Gerull ziemlich sicher. „Spätestens seit dem 6. März 1945 hatten die Siegburger in Kellern und den Stollen des Michaelsbergs gelebt. Der Krieg hatte sie praktisch zu Höhlenmenschen gemacht.“
Gerull sieht darin einen großen Kontrast zu der Glorifizierung des Kriegs und seiner Opfer, die die Nazis noch im Mai 1941 mit großen Pomp in Siegburg betrieben. So wurden bei der Bombardierung der Rheinischen Zellwolle, der späteren Phrix, zwei Angestellte getötet. Schwarz verhangen und mit riesigen Hakenkreuzen wurde das Siegesdenkmal am Markt geschmückt, bevor sich ein Trauerzug mit zwei mit Pferden bespannten Leichenwagen auf den Weg machte, zu Heil-Hitler-Rufen und dem Horst-Wessel-Lied.
Letzte Gegenwehr
Zu den Zeitzeugen, die in den 65er-Nachrichten zu Wort kamen, zählt der Siegburger Architekt und Städteplaner Hartmut de Corné, der unter anderem die Marktpassage, den ICE-Bahnhof und das S-Carré entwarf.
Das Kriegsende erlebte er als knapp Sechsjähriger und erinnert sich: Der Artilleriebeschuss von der Siegseite/Mülldorf habe irgendwann aufgehört, dann dröhnten haushohe Panzer durch die Aulgasse. Ein GI habe gewarnt: „Nicht auf die Straße gehen, Deutsche schießen.“
Tatsächlich hätten „verrückte Selbstmörder“ vom Volkssturm auf die Amerikaner gefeuert. Der Hauswirt des Hauses Aulgasse Nummer 11 habe noch einem Jugendlichen, der die „Zugehörigkeit zur Hitlerjugend mit dem Gewehr demonstrierte“, die Waffe aus der Hand geschlagen und links und rechts ein paar um die Ohren gehauen. „Der Krieg ist vorbei, dummer Junge“, habe er dabei gerufen.
Die Soldaten der 97. Infanteriedivision hätten noch ein „Resthäuflein“ des Volkssturms zusammengetrieben und bereits ein Erschießungskommando zusammengestellt. Dann aber habe sich ein „human denkender Offizier eingemischt“. Spontane Vergeltung wurde nicht zugelassen, die Erschießung abgeblasen. (ah)
Knapp vier Jahre später, als die Stadt unter Beschuss der US-Artillerie lag, sah das anders aus. „Die Siegburger erlebten einen Zivilisationsbruch“, schildert Gerull, es gab keinen Strom, kein fließendes Wasser, das Fernmeldewesen war zusammengebrochen, Häuser waren zerstört. Hunger machte sich breit.
Der Archivar geht davon aus, dass damals Wut weit verbreitet war, auf verschiedenen Seiten. Der Siegburger Hermann Roggendorf berichtet in den städtischen 65er-Nachrichten von einer Demonstration mutiger Frauen in Siegburg. Diese waren am 30. März vor die Stadtkommandantur gezogen, um die Niederlegung der Waffen und die Kapitulation zu fordern – die Episode schaffte es sogar in die Tagebücher von Joseph Goebbels. Ein Arzt notiert später, dass die Sprecherin der rund 200 Frauen sich vor einem Oberst rechtfertigen sollte: „Das Recht geben mir acht tote Familienangehörige, das Recht gibt mir mein im Kriege gefallener Mann.“ Der Kommandant entließ sie „ohne ein Wort der Hoffnung oder des Entgegenkommens“. Die Frauen kehrten zurück in die nassen Stollen im Michaelsberg, die den durch die Luftangriffe obdachlos Gewordenen wenigstens ein wenig Schutz boten.
Gleichzeitig begann der Unrechtsstaat, wütend um sich zu schlagen. Noch in den ersten Apriltagen forderte die Parteibereichsleitung, im Siegburger Gefängnis 1300 „gemeingefährliche und politische Häftlinge“ hinzurichten. Durch eine „Hinhaltetaktik“ habe man den Massenmord abwenden können, hieß es später seitens der Gefängnisleitung. Dass es auch anders hätte kommen können, verdeutlicht Gerull mit einem Hinweis auf Vorgänge im Kölner Klingelpütz: Als dort Insassen nach Buchenwald abtransportiert werden sollten, wurden 80 politische Häftlinge erdrosselt und erschlagen, die Leichen im Hof verscharrt und erst im Oktober 1945 gefunden. Doch auch ohne Massaker wurde das Zuchthaus in der Kreisstadt für viele zur tödlichen Falle: Im Januar 1945 brach eine Fleckfieber-Epidemie aus und kostete rund 300 Häftlinge das Leben. Der humanitären Katastrophe widmete Gerull vor kurzem eine Ausgabe der Siegburger Blätter.
Nach Ansicht des Archivars müsste die Gedenktafel am Uhlrather Hof um weitere Namen ergänzt werden. Er geht davon aus, das die Nationalsozialisten auf dem Schießplatz am 23. August 1944 nicht nur die Luxemburger Camille Koerner, Jean Bück und Marcel Charpantier ermordeten, sondern noch am 18. Januar 1945 die vier Widerstandskämpfer Jean Pierre May, Martha und Karl Heublein sowie Eugenio Boschian aus Köln. Martha Heublein war wegen „hochverräterischer Betätigung, bewaffneter Bandenbildung und Abhören und Verbreiten feindlicher Nachrichtensendungen“ zum Tode verurteilt worden.
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Auf einem Wurfzettel, den sie geschrieben hatte, hieß es: „Genug des Elends! Wir wollen keine Terrorangriffe mehr. Wir wollen nicht für die Nazis sterben, sondern für Deutschland leben!“