„Steampunk“ Gerald KurzMit Dampfkraft in fantastische Welten
- Auf den Spuren von Kult-Autor Jules Verne - weltweit gibt es eine Steampunk-Szene, die sich mit der fantastischen Welt beschäftigt.
- Auch der Siegburger Gerald Kurz gibt sich seiner Leidenschaft hin und bastelt skurrile Kostüme und Apparate.
- In seinem Kostüm nahm der 59-Jährige auch am Veedelszug teil. Wir haben ihn besucht und uns in die Steampunk-Welt entführen lassen.
Siegburg – Nicht die Kernenergie, auch nicht Internet, Laser und Verbrennungsmotor haben sich durchgesetzt, sondern die Dampfkraft: Sie treibt Zeppeline und Raumschiffe an, hochhausgroße Lokomotiven fauchen vor kilometerlangen Zügen, alles zischt und dampft, setzt kraftvoll Kolben in Schwung und bewegt über Zahnräder Mechanismen aller Art. So sieht sie aus, die Science-Fiction-Welt der „Steampunks“, die in viktorianisch anmutenden Outfits auf den Spuren von Jules Verne und H.G. Wells wandeln.
Auch der Siegburger Gerald Kurz pflegt den Stil, im Karneval und auf Ausstellungen, wo er seine Kreationen zeigt: Antike Gewehre baut er durch Zahnräder, Trichter, Leitungen und Messuhren zu fantastischen Apparaten um, denen er Namen wie „Peacemaker“ oder „Eindrückler“ gibt. „Ich entmilitarisiere die Waffen“ betont er, er selbst und die meisten Steampunks seien Pazifisten, auch wenn ihre Accessoires manchmal eine etwas martialische Anmutung haben. So auch bei Kurz, zu dessen Outfit ein Marinemantel und eine Matrosenmütze der sowjetischen Pazifikflotte zählen.
Mit viel Humor - und Zeitreisestab!
Goggles, abenteuerlich verzierte Schutzbrillen, sind ein besonders wichtiges Utensil und eine Art Erkennungszeichen der „Steampunks“. Kurz baut sie beispielsweise aus alten Messingferngläsern, die er mit farbigen Filtergläsern und Zahnrädern zu skurrilen Instrumenten macht. In der Szene werden solcher Technik unglaubliche Eigenschaften zugeschrieben: Der „Eindrückler“ macht viele Kilometer Entferntes hörbar, der „Peacemaker“ kann heilsame Strahlen verschießen. Mit dem „Zeitreisestab“ lässt sich gar in die Zukunft blicken.
Humor sei wichtig in der Szene: „Man bringt die Leute zum Lachen.“ Ihm gelingt das besonders gut mittels eines alten Helms mit Hupe, in die er über ein Mundstück und einen Schlauch hineinbläst. An eine kleine Dampfmaschine für öffentliche Vorführungen kann er eine einfache Orgel anschließen und darauf einfache Melodien spielen.
Was es genau es mit der Retro-Mode auf sich hat, darüber gibt es dem 59-Jährigen zufolge mindestens fünf Auffassungen. „1840 bis 1925, in dieser Zeit bewegt man sich etwa“, schildert er, und vor allem mache man das gemeinsam mit Gleichgesinnten. Er selbst und eine Gruppe von Freunden kamen vor rund zehn Jahren auf die Idee, sich dem „Steampunk“ zu widmen und in nostalgischen Outfits an Karnevalszügen teilzunehmen. Zuvor hatte er sich in der Mittelalterszene umgetan, aber festgestellt, dass es dort mitunter bierernst zuging . „Da wurde ich einmal gefragt, ob ich auch eine handgenähte Unterhose trage.“
Unmenge an Kuriositäten
Unübersehbar kommt Steampunk zudem der Technikbegeisterung von Kurz entgegen: In seinem Fachwerkhaus bringt er das Kunststück fertig, eine Unmenge an historischen, originellen und kuriosen Dingen zu versammeln, ohne dass die Räume vollgestopft wirken. Neben alten Emailleschildern und Fotos finden sich ein alter Spielautomat mit Uhrwerkantrieb, alte Sicherungskästen, eine russische Butterkiste, Modelleisenbahnen, Scheinwerfer, Uhren, Messgeräte, Rechenmaschinen und natürlich viele selbstgebaute Gerätschaften wie der Zeitreisestab, die Goggles und mehrere Tischlampen. Die stellt Kurz aus verschiedenen Einzelteilen her, Zifferblättern, Zahnrädern, alten Telefonen oder Gasbrennern. Zum nostalgischen Design passen die großen Glühbirnen, die allerdings voll auf der Höhe der Zeit sind: Sie umhüllen aktuelle LEDs. Um die Lampen zu verkaufen, meldete er ein Kleingewerbe an.
Vorbilder
Steampunk-Accessoires für den Karneval sind in der aktuellen Session problemlos im Fachhandel erhältlich. Der Stil geht aber bereits auf die 1980er Jahre zurück und ist durch Literatur und viele Filme inspiriert, vor allem durch die Schriftsteller H.G. Wells und Jules Verne sowie Fritz Langs monumentales Filmwerk Metropolis von 1927.
Jule Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“ gilt als wichtiger Einfluss, ebenso die Verfilmung von 1954. Vernes mysteriöser Held Kapitän Nemo spielt auch in „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ eine Rolle, der 2003 Steampunk-Elemente zeigte. Ein aktuelles Beispiel ist die Fantasyserie „Carnival Row“ mit Orlando Bloom in einer Hauptrolle. (ah)
Kurz ist von Beruf Installateurmeister und fertigt seine „Steampunk“-Artefakte in einer kleinen Werkstatt, in der eine einfache Lötausrüstung besonders wichtig ist: Mit einem handelsüblichen Crème-brûlée-Brenner aus dem Discounter bringt er Lötzinn zum Schmelzen und fügt die mit einem Flussmittel präparierten Werkteile im richtigen Zeitpunkt aneinander, auch die winzigen Zahnräder für die Goggels.
„Früher habe ich vieles geklebt, aber die Lötverbindungen halten viel besser.“ Auf Materialsuche geht er bevorzugt in den Niederlanden, da finde man auf Trödelmärkten ganz andere Sachen als in Deutschland – wie etwa Teile aus einem alten Lancasterbomber, der im Zweiten Weltkrieg abgeschossen wurde. Kurz hortet ein großes Motorteil aus dem Flugzeug, das der weiteren Verwendung harrt.
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Zu schätzen weiß er auch die Internationalität der Szene, „Steampunks“ gebe es in ganz Europa. Zudem: „Vom Straßenbauer bis zum Professor lernt man alle möglichen Leute kennen.“ Bei einem Bekannten aus der Szene war der Beruf allerdings ziemlich naheliegend: Der Steampunk arbeitet als Prüfingenieur für Dampfanlagen.