Zum Prozessauftakt schweigen die Angeklagten, die Überfallene erkannte sie aber an ihren Stimmen.
LandgerichtEhepaar soll Nachbarin in Siegburg überfallen haben
In den frühen Morgenstunden des 20. April 2024 ging bei der Einsatzleitung der Siegburger Polizei ein Notruf ein: bewaffneter Raubüberfall in einem Mehrfamilienhaus im Stadtteil Zange. Am Tatort öffnete der ersten Streife eine 84-jährige Seniorin im Schlafanzug: Ihr Haar wirr, die Augen rot unterlaufen, blutende Wunde im Gesicht, an der Wange noch Reste eines Klebebandes, mit dem sie geknebelt worden war. „Sie war ansprechbar, aber wirkte völlig aufgelöst“, erzählte ein junger Polizeibeamter nun im Bonner Prozess gegen die mutmaßlichen Täter.
Erste Anklage in Bonn lautete auf Mordversuch
Aber trotz ihrer furchtbaren Lage hatte sie das bewaffnete Pärchen, das maskiert gewesen war, problemlos erkannt - an ihren Stimmen: Es waren ihre Nachbarn, die direkt gegenüber auf ihrer Etage wohnen. Vor dem Bonner Landgericht muss sich das Ehepaar, 39 und 46 Jahre alt, seit Mittwoch wegen besonders schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten.
Ursprünglich hatten die Ermittler den Raubüberfall als versuchten Mord angeklagt, da der 39-Jährige dem gefesselten Opfer – womöglich, um die Raubtat zu verdecken – minutenlang den Hals zugedrückt, dann aber wieder davon abgelassen haben soll. Das Bonner Schwurgericht jedoch, das über die Kapitalfälle befindet, hat das angeklagte Verfahren nicht eröffnet, da es „einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich des versuchten Mordes“ nicht zu erkennen vermochte. Entsprechend wurde die Strafakte an eine allgemeine Kammer abgegeben.
Zum Prozessauftakt vor der 7. Großen Strafkammer unter dem Vorsitz von Isabel Köhne schwiegen beide Angeklagten zu dem Raubüberfall. Die Anklage wirft ihnen vor, in der Nacht zwischen 3.20 und 5 Uhr an der Wohnungstür ihrer Nachbarin geklingelt und die 84-Jährige sofort mit einer Schreckschuss-Pistole bedroht zu haben. Zunächst habe sich die Überfallene geweigert, ihnen das geforderte Geld zu geben, aber in ihrer wachsenden Todesangst gab sie ihnen schließlich 550 Euro.
Anschließend wurde sie mit Klebeband an einen Küchenstuhl gefesselt, und ihr Mund wurde zugeklebt. Die Täter steckten auch noch Handy, Festnetztelefon, Wohnungsschlüssel und EC-Karte der Überfallenen ein und würgten die Frau bis zur Bewusstlosigkeit. Dann flüchteten sie.
Siegburger Seniorin schwebte in Lebensgefahr
Durch die Strangulation erlitt die Seniorin Einblutungen im Augenlid, Gesichtsprellungen und eine Hüftgelenksdistorsion, erst viel später entdeckt wurde noch ein Wirbelbruch. Sie habe in Lebensgefahr geschwebt, heißt es in der Anklage.
Der 39-Jährige wurde noch an dem Morgen in der gegenüberliegenden Wohnung festgenommen, seine Frau, die bei einem Freund unterschlüpfte („ich musste mich vor meinem Mann verstecken“), sieben Tage später. Zum Prozessauftakt erzählten beide ihre Lebensläufe: Die drogenabhängigen Eltern des 39-Jährigen versorgten ihn schon mit Rauschgift, als er gerade 13 Jahre alt war, und betrieben ein Bordell, in dem er mitarbeiten musste, statt eine Lehre zu machen.
Angeklagte haben eine lange Geschichte mit Alkohol und Drogen
Die Mitangeklagte landete mit 32 Jahren bei den harten Drogen, nachdem sie ihre vier Kinder von zwei Männern ihrer Mutter zur Pflege gegeben hatte, da sie den Nachwuchs nicht vor den gewalttätigen Vätern habe schützen können. „Danach bin ich in ein Loch gefallen. Ich habe meine Kinder so vermisst.“
Nachdem das Paar sich 2018 kennengelernt hatte, hatte es einen „Neustart“ versucht: Umzug nach Siegburg, Drogenentzug, Paartherapie. Drei weitere Kinder wurden geboren. Aber nachdem die Mutter des Angeklagten gegen den Willen der Familie in deren Wohnung einzog, stürzten sie beide wieder ab. Nach der Geburt der dritten Tochter vor einem Jahr waren sie voll auf Drogen und Alkohol, er trank drei Flaschen Wodka am Tag, sie konsumierte zehn Dosen Bier täglich. Geld hatten sie lange schon nicht mehr.
Für die 84-Jährige sei das Verbrechen eine „späte Lebenskatastrophe“, so die Nebenklage-Anwältin Dagmar Schorn, ihrer Mandantin gehe es „sehr, sehr schlecht“. In ihre alte Wohnung habe sie nicht mehr zurückgekonnt. Verletzt und traumatisiert habe sie zunächst eine Bleibe bei ihren Kindern gefunden, jetzt lebe sie - für ihre Umstände viel zu früh - in einem Seniorenheim.
„Ich finde es schlimm, dass meiner Mandantin in ihren letzten Jahren das Leben in den eigenen Wänden so grausam genommen wurde.“ Durch die minutenlange Strangulation habe sie zudem permanent „das Bild vor Augen, dass sie getötet werden soll“. Für das erlittene Leid hat die Anwältin einen Antrag auf 13 000 Euro Schmerzensgeld gestellt.