Luisa Stamm weiß aus eigener Erfahrung, welche Hürden eingeschränkten Menschen in den Weg gestellt werden. Dagegen will sie angehen.
Hürden im AlltagHalbseitig gelähmte Siegburgerin kämpft um Traumjob

Die Bachelor-Sozialarbeiterin Luisa Stamm ist trotz körperlicher Einschränkungen mobil.
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Luisa Stamm kam mit der chronischen Erkrankung Neurofibromatose auf die Welt. Seit ihrer Jugend ist sie halbseitig links gelähmt. Solange sie sich erinnern kann, will sie anderen Menschen mit Einschränkungen helfen. Die Erfüllung ihres Traums, sich sozial einzusetzen, scheint für die 28-jährige Siegburgerin nach einer Vielzahl von Absagen jedoch weit entfernt.
Im Juni 2024 begann sie, sich auf verschiedene Stellen zu bewerben, häufig ohne Antwort. Trotz vieler Hürden, Operationen und wachsender Frustration hält Stamm an ihrem Wunsch fest. „Ich habe immer gekämpft für das, was ich erreichen will“, sagt Stamm. Auf dem Weg zu ihrem Bachelor-Abschluss musste sie einige Probleme überwinden. „Dabei hatte ich sehr viel Unterstützung durch meine Familie.“
Sie wuchs mit zwei Schwestern in Eckenhagen bei Gummersbach auf. Ob die Lähmung auf ihre Grunderkrankung Neurofibromatose zurückgeht, konnte noch nicht geklärt werden. Die Erkrankung äußert sich von Patientin zu Patientin unterschiedlich. Bei Stamm bedingt sie unter anderem Tumorbildungen in den Knochen und auf der Haut.
Möchte Menschen mit Einschränkungen helfen: Bachelor-Sozialarbeiterin Luisa Stamm
An einer weiterführenden Schule sei sie „schlimm gemobbt“ worden. Aufgrund ihrer chronischen Erkrankung hatte sie viele Operationen in Hamburg, fehlte im Unterricht, das habe sie zu jemand „Besonderem“ gemacht. „Ich habe mich klein gefühlt“, erinnert sich Stamm.

Die Siegburgerin Luisa Stamm lässt sich von ihrer chronischen Erkrankung nicht entmutigen.
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Nach den Operationen – mittlerweile sind es zwölf – saß sie jeweils für sechs Wochen im Rollstuhl. Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler hätten sie einmal einfach im Musikraum stehen lassen. Der Musiklehrer soll die Jugendlichen danach zurechtgewiesen haben, berichtet Stamm und lobt seinen Einsatz für sie.
Nachdem sie trotz der Probleme ihren Schulabschluss gemacht hatte, probierte sie verschiedene Berufe aus: „Ich wollte gucken, was ich körperlich schaffe. Ich wollte weiterhin in die soziale Richtung.“ Ihr Traumberuf: Ergotherapeutin. Das Problem: „Viele feinmotorischen Übungen kann ich wegen meiner Halbseitenlähmung nicht ausführen. Es ging leider nicht.“ Doch Stamm ließ sich davon nicht entmutigen.
Internatszeit in Bad Honnef-Rhöndorf war für Luisa Stamm ein Meilenstein
Im Internat Haus Rheinfrieden des Nell-Breuning-Berufskollegs in Bad Honnef-Rhöndorf machte sie ihr Fachabitur. „Ich bin von der Hölle in den Himmel gekommen. Ich war da nicht mehr die Schwächste und konnte Menschen helfen.“ So hat sie zum Beispiel für andere Schüler mitgeschrieben oder Unterlagen kopiert.
An diese Zeit denkt sie gern: „Es war ein Meilenstein in meinem Leben! Ich durfte dort so viel lernen und konnte Freundschaften knüpfen, die bis heute bestehen.“ Hier verstärkte sich der Wunsch, andere Menschen mit Einschränkungen zu unterstützen.
Mit einem Studium standen mir die meisten Optionen offen
Wie ging es danach weiter? „Mit einem Studium standen mir die meisten Optionen offen“, erläutert sie ihren nächsten Schritt in Richtung Berufsleben. „Meine Schwestern haben mich bei Härtefallanträgen unterstützt.“ An der Fachhochschule in Münster hat es schließlich geklappt. „Auch wenn das eine ganze Ecke entfernt ist, wollte ich unbedingt Soziale Arbeit studieren.“
Dann kam die Corona-Pandemie und die WG-Suche per Videokonferenzen. In der WG in Münster war es schwierig. Sie sei dafür kritisiert worden, dass ihr Dinge herunterfielen. Das schaffe Unordnung. Die Probleme gipfelten darin, dass eine Rückenstütze ihres Rollators weggeworfen wurde. Die Begründung seitens der WG-Mitglieder: „Wir wollen den Rollator hier nicht herumstehen haben, sonst sieht es aus, als würde hier eine alte Frau wohnen.“
Barrieren erschweren den Alltag – Negative Begegnungen hängen nach
Alltägliche Hürden sind Menschen ohne körperliche Einschränkung oft nicht bewusst. Stamm schildert das am Beispiel ÖPNV. Zwischen der WG in Münster und ihren Eltern in Eckenhagen pendelte sie mit der Bahn. Ein spontaner Gleiswechsel konnte sie die Fahrt kosten. „Heute von Gleis 5“, hieß es aus dem Lautsprecher: „Gleis 5 liegt aber am anderen Ende des Bahnhofs“, gibt Stamm zu bedenken. „Da musste ich in zwei Minuten hin, aber der Aufzug funktionierte nicht.“ Generell fehle es an barrierefreien Zugangsmöglichkeiten.
Außer unter strukturellen Missständen leidet sie auch unter gesellschaftlicher Ausgrenzung. Eine ihr unangenehme Begegnung hängt ihr besonders nach: „Ich habe einmal eine Jugendliche gebeten, den Platz für Menschen mit Einschränkungen freizumachen. Daraufhin hat sie gesagt: ‚Schmeiß dich vor die Bahn, dann geht es dir besser.‘“
Auf der anderen Seite erlebt Stamm auch, „dass Leute freundlich sind und von sich aus helfen“. Das Positive überwiege, aber die negativen Begegnungen blieben stärker hängen. Die Unterstützung ihrer Familie und Freundinnen hilft ihr dagegen sehr: „Es ist wichtig, dass ich Menschen um mich habe, die entweder ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder mich einfach ‚normal‘ behandeln. So fühle ich mich akzeptiert und verstanden.“
Trotz vieler Hürden im eigenen Leben möchte Luisa Stamm andere Menschen unterstützen
Aufgrund der belastenden WG-Situation in Münster schlug ihre Schwester Theresa vor, dass sie bei ihr wohnen könne, bis sie eine eigene Wohnung gefunden habe. Die Suche nach der Wohnung verlief schleppend. Stamm führt das darauf zurück, dass sie einen Stellplatz für ihr spezielles Fahrrad brauchte. Sie machte notgedrungen Abstriche bei der Wohnungsauswahl. Mittlerweile lebt sie in Siegburg. Ihre Wohnung liegt im zweiten (!) Stock. Es klappt, irgendwie.
Im sozialen Berufsfeld arbeitete Stamm kurzzeitig als Schulbegleiterin. Das betreute Kind geriet mit anderen Kindern körperlich aneinander. Stamm konnte nur bedingt eingreifen. „Ich möchte gerne im Beratungsbereich für eingeschränkte Menschen arbeiten“, zieht Stamm Konsequenz: „Das liegt mir. Ich kann meine Erfahrungen einbringen und mich gut in die Menschen hineinversetzen.“
Doch der Bewerbungsprozess zieht sich. „Bei mir kommen manchmal Selbstzweifel auf“, gesteht sie: „Nach gewissen Absagen bin ich richtig geknickt.“ Aber statt zu resignieren, schreibt sie haufenweise Initialbewerbungen. Der Integrationsfachdienst Bonn/Rhein-Sieg unterstützt sie mittlerweile, leitet ihr geeignete freie Stellen weiter. Für Stamm ist es einer der wenigen Lichtblicke in einem größtenteils abweisenden System.