AlleestraßeSiegburger Gymnasiasten begrüßen neue Schulkameraden aus der Ukraine
Siegburg – „Normalno“ ist die deutsche Sprache, mit anderen Worten ganz okay, also erlernbar – auch wenn die Buchstaben anders aussehen als die ukrainische Kyrillica, da sind sich die drei neuen Alleestraßen-Gymnasiasten einig. Die Aussprache sei aber schwierig – und die Lehrer seien netter als daheim. „Weil sie da nicht gut bezahlt werden“, mutmaßt einer der elf Jahre alten Jungen.
Insgesamt 16 Kinder aus der Ukraine besuchen seit Anfang vergangener Woche eine neu eingerichtete Klasse am Gymnasium Alleestraße, werden zunächst in Deutsch, Mathematik und Englisch unterrichtet. Klassenlehrer Kevin Hain ist von seinen aufgeweckten und fleißigen Schülern angetan: „Das ist schon toll, diese Lernprogression zu erleben“, findet der Deutschlehrer, der heute das Verb „sein“ durchnimmt und mit Gefühlsäußerungen kombiniert: „Ich bin glücklich“ oder „Ich bin traurig“ steht in Deutsch und Ukrainisch auf den Karten, die er im Internet gefunden und ausgedruckt hat.
Die Aufgabe macht ihm sichtbar Spaß, auch wenn er die Muttersprache seiner Schüler nicht beherrscht. „Ich hatte zwar Deutsch als Fremdsprache im Studium, aber auf diesen Fall wurden wir nicht vorbereitet.“ Zwei Frauen aus der Ukraine helfen im Unterricht und dolmetschen.
Empfangen wurden die neuen Schüler am Freitag mit einem kleinen Fest und kleinen Schultüten mit Geschenken. „Genauso, wie wir das mit unseren fünften Klassen machen“, sagt Schulleiterin Sabine Trautwein.
Die Stadt stellte Geld für eine Grundausrüstung mit Schulmaterialien zur Verfügung. Was den Kenntnisstand der zehn- bis 13-jährigen Schüler angeht, gehe die Schere doch relativ weit auseinander, hat sie beobachtet, etwa bei der Beherrschung der römischen Schriftzeichen.
Deutschunterricht steht im Fokus
Unglaublich bemüht und lernwillig nennt Iris Gust, Leiterin der Realschule Siegburg, ihre derzeit acht Schüler im Alter von 13 bis 17 Jahren. Einige andere waren zuvor bereits mit ihren Familien in andere Städten gezogen. Die Schülervertretung hatte sie mit einem gelben Röschen mit blauem Band begrüßt, dann wurden gemeinsam Schulsachen gekauft, und im Café Faßbender am Markt frühstückten alle. Für die Schüler, die kein Englisch können, steht der Deutschunterricht im Vordergrund. Ziel sei es auch, dass diese den Eltern später bei Behördengängen helfen könnten.
Tolle Kinder sind nach Einschätzung von Schulleiter Sebastian Kaas am Anno-Gymnasium aufgenommen worden, allerdings einzeln in Klassen. Sie können insbesondere am bilingualen Unterricht auf Englisch teilnehmen. Kaas berichtet von einer Schülerin, die ihren Vater an der Front anrief, um ihm zu berichten, dass sie gut aufgenommen worden sei. „Die machen sich gegenseitig Mut. Unsere Probleme wirken dagegen ganz klein. Wir sind glücklich, helfen dürfen.“
Vorbereitet ist auch Jochen Schütz, Leiter der Gesamtschule am Michaelsberg, auf neue Schüler aus der Ukraine. „Leider ist aber kein Raum für eine Vorbereitungsklasse frei.“ Denkbar ist etwa, dass Kinder vom Gymnasium Alleestraße noch an die Gesamtschule wechseln. Unterricht bekämen sie dann, wie auch am Anno-Gymnasium, nach dem Prinzip der Einzelintegration.
Nach zwei bis drei Wochen werde versucht, die Kinder in Regelklassen aufzunehmen, für Kunst, Musik und Sport. „Irgendwann läuft das auf 30 Stunden in der Woche hinaus.“ Den jungen Ukrainerinnen und Ukrainern stehe auch die „Summer School“ zur Verfügung, mit Förderunterricht und Freizeitangeboten wie Rudern, Tanzen, Golf und Tennis.
Sabine Trautwein versucht, sich in die schwierige Situation der Kinder und ihrer Eltern – vor allem Mütter kamen nach Deutschland – hineinzuversetzen. „Noch vor kurzem haben sie ein ganz normales modernes Leben geführt, aus dem sie durch den Krieg herausgerissen wurden“, das habe sie vor allem Gesprächen mit den Müttern entnommen.
Denen sei es meist unangenehm, jetzt auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Eine schöne Möglichkeit an der Schule, sich kennenzulernen, sei die „Multikulti-Kochgruppe“ – und da werde wohl bei nächster Gelegenheit ukrainisch gekocht.
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Die Kinder vermissten natürlich ihre Freunde und wünschten sich nichts mehr, als zu Hause zu sein. „Aber die Situation wird nicht mehr so sein wie zu dem Zeitpunkt, als sie gegangen sind.“ Mögliche Traumata durch Krieg oder Flucht seien bislang noch kein Thema. „Aber wir haben das auf dem Schirm“, betont die Schulleiterin.
Jetzt gehe es erst einmal darum, alle so gut wie möglich zu integrieren. „Es reicht nicht, eine Friedenstaube aufzuhängen und sonst nichts zu machen.