Tagebuch der FlutnachtWie unser Reporter den Kampf gegen die Wassermassen erlebte
Rhein-Sieg-Kreis – Der 14. Juli 2021 wird in die Geschichte eingehen, die Flut nach dem Starkregen veränderte so viel. Auch wenn der rechtsrheinische Rhein-Sieg-Kreis bei weitem nicht so schlimm getroffen wurde wie etwa Rheinbach, Swisttal oder noch schlimmer das Ahrtal. Doch es war knapp in jener Nacht, insbesondere Lohmar schrammte nur nah an einer Katastrophe vorbei. Ein Rückblick von Ralf Rohrmoser-von Glasow.
Der Regen pladdert, die Einsatzkräfte warten
Mittwoch, 14. Juli, 12.45 UhrDie wenigen Meter vom Parkplatz in die Halle des Wasserverbandes in Siegburg reichen aus, um die Kleidung bis auf die Haut zu durchnässen, trotz Funktionsmembran. Es pladdert unaufhörlich, die angekündigten Niederschläge haben den Kreis erreicht. Geschäftsführerin Martina Nöthen hat ihre Mitarbeiter rausgeschickt, alle Rechen an den Wasserläufen zu überprüfen.
13.10 UhrAuf dem Weg zum Wolfsbach, der am 4. Juni bei der ersten Flut zu einem reißenden Strom geworden war, geht es durch Hennef-Stoßdorf. Die Frankfurter Straße ist halbseitig überschwemmt, die Autos spritzen Gischtfontänen zur Seite. Fußgänger sind kaum noch unterwegs.
13.20 UhrNoah Yildirim, Auszubildender beim Wasserverband, befreit mit einer Forke das Überlaufbauwerk eines Rückhaltebeckens von Ästen. Der Pegel des Wolfsbach in Hennef-Geistingen steigt so schnell an, dass es mit bloßem Auge zu erkennen ist.
Wenige Wochen zuvor war eine Flutwelle über den Damm geflossen, die große Teile Geistingens unter Wasser setzte. Die Vorkehrungen greifen, Hennef bleibt weitgehend verschont. Am Rosentaler Bach hat die Feuerwehr vier Leitungen als Bypässe verlegt, damit der enge Durchfluss unter der Landstraße 125 nicht zum Problem wird.
17.15 UhrDie Stunden sind zäh dahin geronnen, Warten auf das große Einsatzaufkommen. Die Feuerwehren sind in Bereitschaft. Gegen 17 Uhr geht es Schlag auf Schlag los. In Troisdorf wird die Larstraße zum Fluss, das Wasser ergießt sich in die leicht tiefer liegenden Gebiete zu Sieg und Autobahn hin. Keller und Garagen laufen voll. Feuerwehr und Polizei sperren Straßen ab. Die Pumpen kommen nicht mehr hinterher.
18.10 UhrIn Troisdorf-Spich droht eine große Baugrube vollzulaufen. Aus Rohren strömt das Oberflächenwasser, es regnet weiter wie aus Eimern. Ein Stück weiter drücken die Mengen aus den Kanälen, es sprudelt aus den Gullydeckeln, Straßen sind überflutet.
18.30 UhrLohmar droht überflutet zu werden. An vielen Stellen laufen bereits die Pumpen. Der Auelsbach ist an einigen Stellen schon aus seinem Bett herausgetreten. Bürger schützen ihre Häuser mit Sandsäcken.
19.00 UhrDie Freiwillige Feuerwehr baut den Beaver auf, ein mobiles Hochwasserschutzsystem. Die Einsatzkräfte blasen die langen, orangefarbenen Wülste zunächst mit Luft auf, um sie dann an die Ufer zu tragen. Dort werden sie mit Wasser befüllt, tatsächlich halten sie, wie gewünscht, dem Druck stand.
19.30 UhrDie Gaststätte „Zur alten Fähre“ scheint in der immer weiter ansteigenden Agger zu versinken. Die Terrasse steht kniehoch unter Wasser, noch ist kein Ende abzusehen. Zahlreiche Wege entlang des Flusses sind gesperrt, wie die Fußgängerbrücke in Donrath.
20.30 UhrDas Regenrückhaltebecken für den Jabach in Lohmar-Donrath hat ausreichend Kapazitäten, es erledigt seine Aufgabe gut. Der Überlauf funktioniert, es besteht keine Gefahr für die Siedlung, die in den Jahren zuvor so häufig überschwemmt worden ist.
Das DRK fürchtet, dass der Damm in Donrath bricht
Donnerstag, 15. Juli, 1 UhrIn Lohmar heulen die Sirenen. Sie rufen nicht die Feuerwehr, es ist Katastrophenschutzalarm. In Donrath am Karpenbachweg droht der Deich zu brechen. An seinem Fuß drückt bereits das Wasser durch. Noch immer steigt der Pegel der Agger. Mit Lautsprecherdurchsagen werden die Bewohner aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und in die Jabachhalle zu gehen, die ausreichend hoch liegt. Nicht viele folgen diesen Ansagen.
Zahlreiche Menschen stehen hinter dem Damm, ahnen nicht, welche immensen Kräfte dagegen drücken. Hartmut Kreutz, in der Einsatzleitung für das Deutsche Rote Kreuz, fürchtet das Schlimmste und glaubt, der Damm sei nicht zu halten.
1.45 UhrWährend Feuerwehrleute immer mehr Menschen wegschicken, breiten Mitarbeiter des Bauhofs Planen auf dem Deich aus. Zunächst mit Sandsäcken, später mit Schotter versuchen sie die Leckagen abzudecken und den Fuß des Dammes zu beschweren, damit er nicht weggedrückt wird.
So einfach die Maßnahme erscheint, sie hat am Ende Erfolg – es kommt nicht zum befürchteten Deichbruch, der wohl katastrophale Folgen gehabt hätte. Das sehen die Bewohner am Morgen darauf genauso. „Der wäre gebrochen, wenn der Bauhof ihn nicht so schnell mit Folien und Sand stabilisiert hätte“, war sich Anwohner Jörg Slopek sicher.
1.45 UhrParallel dazu kämpfen Feuerwehrleute in Lohmar-Kreuznaaf gegen die Fluten des Naafbachs. Mit tausenden Sandsäcken schützen sie einen Betrieb mit Galvanikbecken. Würden sie überlaufen, wären die Umweltfolgen kaum absehbar. Um 2.45 Uhr ist das Schlimmste abgewendet, die Lage entspannt sich.
2.45 UhrDafür spitzt sich die Lage auf einem Campingplatz nahe der Aggerbrücke in Lohmar zu. Dort stehen zahlreiche Mobilheime, mehr als 20 Menschen harren dort aus. Sie haben das Wasser bis zu einem halben Meter in ihren Räumen stehen. Gegen 3 Uhr erreicht die Agger mit 4,72 Meter den höchsten jemals gemessenen Pegelstand. Es hat inzwischen aufgehört zu regnen.
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Lohmars Feuerwehrchef Peter Völkerath denkt an den Einsatz eines Hubschraubers, um die Menschen zu retten. Doch wegen vieler Oberleitungen ist das Risiko zu groß. Völkerath fordert von der Feuer- und Rettungsleitstelle weitere Unterstützung an, kommt mit seinen Kräften nicht mehr aus.
Doch seine Bitten laufen ins Leere, noch weiß niemand so genau, wie dramatisch die Situation auf der anderen Rheinseite ist. Nur hin und wieder sind Funksprüche zu hören, die ahnen lassen, dass es dort zur Katastrophe kommt.
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4.30 UhrIm Osten ist am Horizont ein Leuchten zu sehen, ein neuer Tag zieht herauf. Die Luft ist feucht, Nebel steigt über den Aggerauen auf – ein Bild des Friedens. Erst im Laufe des Tages werden die Ausmaße der Zerstörungen deutlich. Und es kommen die Meldungen aus Rheinbach, Swisttal und der Ahr, von Toten und weggeschwemmten Häusern. Der rechtsrheinische Rhein-Sieg-Kreis hat, bei allem Leid für Einzelne, Glück gehabt.