Die Idee klingt gut: Mit einer App kann man Essen vor der Tonne retten. Wie funktioniert das? Wir machten den Selbsttest im Rhein-Sieg-Kreis.
App im SelbsttestEssen retten mit „Too Good To Go“ – so funktioniert es im Rhein-Sieg-Kreis
Lebensmittelretter, das hört sich gut an. Die App „To good to go“ hat mir diesen schmeichelhaften Titel verliehen. Ich möchte für kleines Geld Essen kaufen, das sonst im Müll landet, obwohl es noch verzehrbar ist. Hotels und Restaurants, Einzelhändler, Bäckereien und Tankstellen in der Region machen mit. Ist das sinnnvoll, oder nehmen wir Retter den wirklich Bedürftigen, wie den Tafelkunden, nicht sozusagen die Butter vom Brot?
Tag 1. Ich melde mich namentlich an in der App, teile mit, zu welcher Uhrzeit ich Lebensmittel abholen möchte (egal), ob ich nur vegetarisch oder vegan lebe (nein), und in welchem Umkreis die Abgabestellen liegen sollen. Siegburg plus 25 Kilometer, so sind auch die Gemeinden an der Oberen Sieg und im Bröltal mit drin.
Erste Erkenntnis: Die meisten Anbieter befinden sich in den Städten, auf dem Land wird es mager. Etliche Rettertüten sind schon vergeben, ich reserviere eine Portion vom Büfett eines Hotels, abzuholen am Folgetag. Vier Euro sind sofort fällig, digital, per Bezahlapp.
Tag 2. Es gibt Frühstück. Die Glasbehälter mit dem Klickverschluss klappern im Baumwollbeutel, die App hat mich ermahnt, Müll zu vermeiden. Das Hotel Holiday Inn Express liegt im Gewerbegebiet von Troisdorf-Spich, mein Zeitfenster ist klein, von 10 Uhr, wenn der letzte Gast satt ist, bis 10.15 Uhr, dann räumt das Personal alles ab - und in den Abfall, so sind die Vorschriften. Sie böten pro Tag nur drei Portionen an, verrät die Hotelmanagerin, „damit für jeden genug da ist“.
Sie schaut auf mein Handy-Display, ich muss über den grünen Abholbutton der App zur Seite streichen, dann darf ich ran an Brot und Butter, Brötchen, Baguette, Aufschnitt, Oliven, gefüllte Weinblätter, Weintrauben, Joghurt, Tomaten, Gürkchen und die gekochten, noch warmen Eier. Zwei Männer, die in der Nachbarschaft arbeiten und gerade Pause haben, füllen ebenfalls ihre Behälter. Es bleibt reichlich übrig.
Tag 3. Im Unverpacktladen in Seelscheid landen große Gläser mit gehackten Mandeln, mit Rosinen und mit Schokonibs im Beutel, zu Hause wiege ich den Inhalt. 800, 650, 700 Gramm, eine gute Menge für 12 Euro. Die Ware stamme nicht von ihr, hat Inhaberin Lea Bockem mitgeteilt, sondern von einer Geschäftspartnerin, die bei ihnen im Laden ihre Marmeladen verkauft. Die Idee sei zwar lobenswert, für sie lohne sich die App aber nicht, neben der Gebühr von 39 Euro müsse sie einen Mindestumsatz erbringen, so Bockem: „Dafür sind wir zu klein.“
Obst und Gemüse, nicht mehr taufrisch, aber noch essbar, gibt es im Troisdorfer Lebensmittelmarkt
Tag 4. Endlich ein Mittagssnack. Die Mitarbeiterin von Le Cro Bag im Bahnhof Siegburg reicht mir um 13 Uhr eine schon gepackte Papiertüte über die Theke. Überraschung gelungen. Für 3,99 gibt es ein Ficelle, ein dünnes, krosses Baguette mit würzigem Käse und Salami; dazu eine Käse-Brezel, ein Marzipan-Croissant und ein Quarktörtchen. Davon werden zwei satt. Ich mümmele am Schreibtisch.
Tag 5. Im Troisdorfer Ankara-Markt hole ich für vier Euro eine große Obst- und Gemüsetüte ab. Äpfel, Apfelsinen und Auberginen, Topinambur und Tomaten, Paprika, dicke Bohnen, sogar Granatäpfel, nicht mehr taufrisch, zum Teil mit Flecken und Druckstellen, also fürs Regal nicht mehr geeignet, aber noch essbar. Bis auf die vier Mini-Zucchini, die am nächsten Morgen weich sind und in meiner Tonne landen.
Was mache ich mit Topinambur? Das Kochbuch hilft. Kaufen würde ich die Knollen nicht. Das Preis-Leistungs-Verhältnis hat sich offenbar herumgesprochen, bis zu zehn Tüten, Warenwert zehn Euro, seien immer ruckzuck weg, erzählt Enra Namekiza.
Tag 7. Heute Abend gibt es Fisch. Bin schon gespannt. Es ist mein zweiter Anlauf, die erste Reservierung gestern wurde storniert - ausverkauft -, das Geld zum Glück nicht abgebucht. Der Mitarbeiter der Siegburger Nordsee legt kurz vor Ladenschluss ein paniertes Schollenfilet in eine Pfandverpackung, mitgebrachte Behältnisse dürfe er leider nicht füllen.
Reichlich Kartoffeln (noch warm) und Remouladensoße kommen dazu. 4,50 Euro, der reguläre Preis wäre 9,90 gewesen. „Wir dürfen das nicht mitnehmen“, bedauert der Beschäftigte.
Tue ich wirklich Gutes, oder nehmen die Lebensmittelretter per Klick anderen etwas weg? Nachfrage bei Manfred Kauschke von der Lohmarer Tafel, der kein Problem mit der vermeintlichen Konkurrenz hat. „Wir dürfen keine gekochten Speisen an die Bedürftigen weitergeben“, sagt der Koordinator der Bedürftigenhilfe.
Sie erhielten von den Lebensmittelmärkten Frisches und Haltbares und über das Kölner-Tafellager auch mal Tiefkühlpizzen. Von Geldspenden kauften sie Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker, Öl. Die Siegburgerin Claudia Müller von der Umweltorganisation Food Sharing sieht To good to go ebenfalls als Ergänzung ihrer ehrenamtlichen Arbeit: „Dass Lebensmittel als Müll entsorgt werden, das wollen auch wir verhindern.“