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Alte SortenBibliotheken im Rhein-Sieg-Kreis haben Saatguttütchen im Ausleihregal

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann steht an einem Regal in einer Bibliothek. Aus einem hölzernen Kasten hält er eine kleine Papiertüte hoch.

In der Troisdorfer Stadtbibliothek kann man Saatgut leihen. Mitarbeiter Frank Barion weiß, wie es geht.

Mit dem Angebot unterstützen die Bibliotheken den Erhalt einer biologischen Vielfalt, aus samenfesten Sorten wird neues Saatgut gewonnen.

„Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen“, hat einst der römische Schriftsteller und Politiker Marcus Tullius Cicero geschrieben. Damit es den Menschen in Oberpleis weder am einen noch am anderen mangelt, hat sich das Team der dortigen Bibliothek der Initiative „Saatgut leihen, Vielfalt ernten“ angeschlossen. Gerade hat der Saatgutverleih für 2025 begonnen.

„Tomaten warten“ in Königswinter

„Tomaten warten“, heißt es auf der Homepage, aber auch Bohnen, Erbsen, Salat und Melde sind zu haben. Bis zu fünf Tütchen darf jeder der Leserinnen und Leser entleihen. Im Frühjahr 2022 hatte der Freundeskreis, Träger der Bücherei seit 1996, das Projekt gestartet. Erbsen, Salat und Bohnen, Tomaten und Gartenmelde waren von Anfang an dabei, aber auch Johannisbeertomaten und „Blauschwokker-Erbsen“, eine alte Sorte der Kapuzinererbsen.

Schon diese kleine Auswahl macht deutlich, welche Ziele die Bibliothekare verfolgen, die sich dem Projekt Saatgutbibliothek verschrieben haben: Während im Baumarkt oder Gartencenter erworbenes Saatgut in der Regel für nur eine einzige Ernte taugt und Jahr für Jahr neu gekauft werden muss, sind „samenfeste“ Sorten in der Lage, neues Saatgut hervorzubringen. Außerdem sind alte Sorten meist anspruchsloser – vorausgesetzt, sie werden am richtigen Standort ausgesät. 

Das ist ja fast schon ein politisches Thema
Peter Schulte-Nölken, Leiter der Stadtbibliothek Sankt Augustin

Das wird auch Peter Schulte-Nölken ausprobieren, der Leiter der Sankt Augustiner Stadtbibliothek, die in diesem Jahr erstmals auch Saatgut „verleiht“. Im letzten Jahr habe das Team auf Vorschlag einer Kollegin beschlossen, das Projekt zu starten, „aber es braucht ja Vorlauf“. 250 Euro hat die Stadt investiert, dafür vom Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) 250 Tütchen mit Saatgut bekommen.

Bislang habe er immer fertige Pflanzen wie Gurken oder Salat ins Hochbeet gesetzt. Ermutigt vom Einführungsvortrag, will Schulte-Nölken nun auch mal selbst aussäen. Auch einen Newsletter des Vereins gibt es, der nicht nur zeigt, wie man die Pflanzen zum Wachsen bringt, sondern auch, wie man die Samen erntet. „Das ist ja fast schon ein politisches Thema“, so Schulte-Nölken, schließlich zwingen moderne Hochleistungszüchtungen Jahr für Jahr zum Kauf von neuem Saatgut.

„Es ist ein Experiment“, sagt der Bibliotheksleiter. „Ich denke, das muss man mal drei Jahre ausprobieren“, um zu wissen, ob und in welchem Umfang es angenommen wird. Zwischen 50 und 70 Prozent Rücklaufquote stellten die Fachleute des Vereins den Sankt Augustinern in Aussicht.

Eine Quote, die in Lohmar bei weitem nicht erreicht wird. „Wir müssen immer daran erinnern, dass es ja eine Bibliothek ist“, weiß Petra Hammes aus der Naturschule Aggerbogen in Lohmar-Wahlscheid. „Das ist unser ganz großes Problem“, bestätigt auch ihre Kollegin Petra Roßberg: „Es kommen immer ganz viele, die sich etwas holen“, zurück aber komme „nur ganz wenig“.

Zwei Frauen sitzen in der Hocke in einem Garten.

An der Lohmarer Naturschule Aggerbogen wurde eine Saatgutbibliothek vor drei Jahren eingerichtet. Die Umweltbeauftragte Sigrun Jungwirth und Naturpädagogin Anne Rosenthal betreuen das Projekt (Archivbild)

Gleichwohl ist der Bestand dieser besonderen Bibliothek seit der Gründung vor drei Jahren erheblich gewachsen. Mit etwa 20 Sorten ging das Projekt im März 2022 an den Start, inzwischen zählt Petra Roßberg zwischen 50 und 60 Sorten, für die aktuell Saatgut in der Naturschule lagert. Und auch der vor drei Jahren geäußerte Wunsch, alte Tomatensorten anbieten zu können, ging mittlerweile in Erfüllung.

In Lohmar lässt sich bunter Mais „ausleihen“

15 unterschiedliche Sorten sind derzeit zu haben, kleine schwarze Früchte ebenso wie birnenförmige gelbe. Überraschend farbig sind auch der Erdbeermais und der bunte Zuckermais. Eine weitere Besonderheit brachte zu Jahresbeginn eine Nutzerin in die Naturschule: Samen für „Tomatillo“, eine Physalis-Art, aus der sich Salsa herstellen lässt. 

Denn zum Glück gibt es auch Nutzerinnen und Nutzer, die selbst gezogenes Saatgut teilen möchten. „Das sind dann Leute, die schöne Tütchen machen, mit viel Mühe“, erzählt Petra Roßberg. 

Rücklaufquote in Troisdorf liegt bei etwa zehn Prozent

Auch in Troisdorf hat man schon einige Jahre Erfahrung mit der Saatgutbibliothek: „Das vierte Jahr in Folge“, so gibt Bibliothekar Frank Barion Auskunft. Auch in Troisdorf ist der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) Partner der Bibliothek, bei Mitgliedern des Vereins werden vor Saisonbeginn jährlich um die 200 Samentütchen eingekauft. In der Kölner Straße wie auch in Sieglar gibt es das Angebot.

Bücher über Gartenthemen stehen im Regal einer Leihbücherei.

Fachliteratur steht gleich daneben, damit die Saat auch aufgeht.

Bis zu fünf Tütchen pro Person können „geliehen“ werden, die Rücklaufquote beziffert Frank Barion auf etwa zehn Prozent. „Die gehen dann auch wieder in die Ausleihe“, es werde aber auch jedes Jahr neues Saatgut zugekauft. Sonst wären die schmucken Holzkästchen zu schnell leer. „Und es sind ja auch immer neue Sorten“, sagt Frank Barion. 

Etwa 15 Nutzerinnen und Nutzer der Bibliothek haben seit dem Saisonbeginn nach Karneval Samentütchen mitgenommen. Damit der Anbau erfolgreich ist und dann auch wieder Saatgut geerntet für die Ausleihe geerntet werden kann, hat das Team in Troisdorf zudem Ratgeberliteratur ins Regal gleich darunter gestellt.