Welttag des Buches„Ich liebe den Geruch von neuen Büchern“
- Der 23. April ist seit vielen Jahren der Welttag des Buches. Die Corona-Krise bringt es mit sich, dass so mancher jetzt mehr Zeit zum Lesen hat.
- Annette Schroeder sprach mit der bekennenden Vielleserin Siggi Richter.
- Die Siegburgerin liest zur Zeit Camus' „Die Pest“ – aus gegebenem Anlass. Richter erzählt auch, welches Genre sie kalt lässt und zu welchem Klassiker sie einfach keinen Zugang fand.
Im Jahr 1995 hat die Unesco für den 23. April den Welttag des Buches ausgerufen, um an die Kultur des geschriebenen Wortes zu erinnern. Über Bücher und die Lust am Lesen sprach Annette Schroeder mit der Siegburger Vielleserin Siggi Richter.
Welches Buch lesen Sie zurzeit?
„Die Pest“ von Albert Camus. Der Roman fiel mir aus aktuellem Anlass wieder in die Hände. Ich hatte ihn schon als 16-Jährige gelesen, aber manches darin, etwa die intellektuelle Auseinandersetzung um den Glauben, hat sich mir erst jetzt erschlossen. So ist es interessant, wie die Corona-Krise mich zu einem neuen Leseabenteuer geführt hat.
Gibt es Lieblingsbücher und Lieblingsautoren, auf die Sie immer wieder zurückkommen?
Klassiker wie „Die Buddenbrooks“ oder „Der große Gatsby“ habe ich mehrfach gelesen. Ich liebe auch US-amerikanische Autoren wie Paul Auster, Richard Yates und Philipp Roth. An deren Romanen schätze ich die stilistische Eleganz. Die Bücher sind gut lesbar, ohne oberflächlich zu sein. Aber insgesamt bin ich mit Wiederholungen vorsichtig: Ich will die Aura des Buches nicht verletzen; ich fürchte Enttäuschungen, denn manchmal ist die Lektüre ja an bestimmte Lebensphasen gebunden.
Zur Person
Siggi Richter (Jahrgang 1944) wuchs in Niedersachsen auf und studierte Wirtschaftswissenschaften. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundeshaus Bonn und arbeitete 17 Jahre lang in Wiesbaden als Pressesprecherin im Landesministerium für Arbeit und Soziales.
Die Mutter von zwei Kindern und Großmutter von fünf Enkeln ist verheiratet mit dem SPD-Kreistagsabgeordneten Harald Eichner – ebenfalls ein Vielleser. (as)
Wer hat bei Ihnen die Lust am Lesen geweckt?
Ich bin in einer literaturbegeisterten Familie aufgewachsen, mein Großvater, der Lehrer war, hat mir abends immer vorgelesen.
Können Sich sich an Ihr erstes eigenes Buch erinnern?
Grimms Märchen! Das war für mich ein Schatz, meine allererste große Liebe. Den habe ich als Sechsjährige sogar auf die Straße geschleppt, wollte damit Freunde und Nachbarskinder begeistern. Aber die haben mir einen Vogel gezeigt.
Haben Sie einen Platz, an dem Sie gern lesen?
Im Sessel, aber am liebsten im Bett. Wenn ich dann meinen Kissenstapel aufgebaut habe und ganz frei von alltäglichen Gedanken in meine Lektüre versinken kann, kommt der schönste Teil des Tages.
Wie wichtig ist der erste Satz in einem Roman? Müssen Sie sofort gefesselt sein, oder sind Sie eine geduldige Leserin?
Ich bin ja Steinbock; ein Sternzeichen, das sich durch Beharrlichkeit auszeichnet. Aber ernsthaft: Der Mythos des ersten Satzes wird überschätzt. Die Grimmschen Märchen beginnen ja alle mit dem stereotypen Satz „Es war einmal“. Ein langweiliger Anfang schreckt mich nicht ab. So habe ich mit Begeisterung von Philip Roth „Amerikanisches Idyll“ gelesen. Die ersten 100 Seiten interessierten mich nicht. Aber dann machte ich Bekanntschaft mit einem tollen, einem begeisternden Roman.
Gibt es ein Genre, das Sie kalt lässt?
Kriminalromane. Ich habe keine Lust zu lesen, wie sich andere Leute gegenseitig umbringen.
Es gibt Literatur, die man angeblich unbedingt gelesen haben muss, zum Beispiel Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, um die man dann aber doch immer wieder einen Bogen macht. Geht Ihnen das auch so?
Ja, mit „Ulysses“ von James Joyce. Ich habe es versucht, aber nach 20 Seiten das Buch zugeklappt. Da lagen noch 1000 Seiten vor mir. Die Schilderung von Nichtigkeiten an einem einzigen Tag der Molly Bloom hat mich nicht gefesselt.
Was führt Sie zu Ihrer Lektüre – sind es Empfehlungen, Rezensionen oder Literaturpreise?
Ja, daran hangelt man sich entlang. Mein Mann und ich sind außerdem seit 2003 in einer Literaturrunde, und da lernt man auch ganz andere Bücher kennen. Etwa „Zone“ von Mathias Enard; ein Gedankenstrom von 600 Seiten, der ohne einen einzigen Punkt auskommt. Da muss man vorher ein ordentliches Butterbrot essen und sich ein Glas Rotwein zur Lektüre genehmigen. Denn die ist harte Arbeit. Bei diesem Buch, in dem es um Kriegsverbrechen geht, kann man nicht mehr von Lesevergnügen sprechen. Aber wir waren glücklich, dass uns die Runde diesen so sperrigen wie beeindruckenden Roman quasi aufgezwungen hat. Im übrigen führe ich selbst darüber Buch, was ich alles so lese. Und vergebe nach meinem eigenen System Bewertungen.
Wer hat da die höchsten bekommen?
In letzter Zeit der Roman „Ein wenig Leben“ der US-Amerikanerin Hanya Yanagihara.
Brauchen Sie Bücher physisch um sich, für Ihr Wohlbefinden?
Unbedingt. Ich liebe den Geruch von neuen Büchern und genieße es, die erste zu sein, die das Buch aufschlägt. Wenn sich zu viele Bücher ansammeln, verkaufe ich welche, gebe sie an die Stadtbibliothek oder lege ab und zu eines bei gutem Wetter auf eine Parkbank – und schon, schwupps, ist es weg.
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Wie geht dieser Satz für Sie weiter? Ein Leben ohne Bücher ist . . .
. . . undenkbar. Ich werde närrisch, wenn ich nichts zu lesen habe. Diese Situation ist mal eingetreten, als wir von einer Australienreise zurückkehrten und im Flugzeug saßen. Mein Mann las ein Buch, ich saß mit leeren Händen da. Die Stewardess hat auf meine Bitte hin das Buch in zwei Teile geschnitten, so dass ich die erste und mein Mann die zweite Hälfte lesen konnte.