Waschbären werden zur Plage in NRWTiere wehren sich mit Tricks gegen ihre Jäger
- In Kassel laufen schon lange Waschbären herum und durchwühlen Mülleimer. Nun werden die Tiere auch in NRW immer mehr heimisch.
- Die EU will die niedlich aussehenden Allesfresser ausrotten lassen. Die Jäger sind dafür, Tierschützer dagegen. Was sind ihre Argumente?
- Fest steht eins: Die Ausbreitung der Waschbären ist nur schwer zu stoppen. Denn die Tiere haben bestimmte Tricks auf Lager.
Als Karl-Peter Turck vor sechs Wochen von seinem Haus zum Stall der Meerschweinchen ging, traute er seinen Augen kaum. Der Stall war zerstört. Die Gitter zum Schutz gegen Marder waren aufgebogen. Von den drei Meerschweinchen, die er für seinen kleinen Enkel hütete, fehlte jede Spur.
„Es war alles auseinandergenommen“, sagt Turck. Die Trauer beim Enkel war groß. Am Abend zuvor hatte Turck nach Mitternacht eine Mischung aus Jaulen und Bellen auf der Schafswiese nahe seinem Haus in der ländlichen Ortschaft Niederlangenberg im Oberbergischen Kreis gehört. Seine Hunde schlugen an. Mit der Taschenlampe sah er zwei leuchtende Augenpaare.
Er ging zum zuständigen Revierjäger. Der sichtete die Spuren, ließ sich die Geräusche beschreiben, spielte ein Tonband mit gleichen Tierklängen ab, die Turck sofort erkannte. Keine Frage: Es war ein Waschbär. Der Waschbär ist ein Allesfresser, für den Meerschweinchen im Käfig eine leichte Beute sind.
Doch nicht nur Tiere in Gefangenschaft stehen auf dem Speiseplan des Kleinbären, auch viele wilde Tiere. „Besonders auf die Gelege von Bodenbrütern wie Bekassine, Rebhuhn oder Kiebitz hat er es abgesehen, alle stehen sie auf der Roten Liste oder sind bedroht“, sagt Sebastian Renke vom „Deutschen Niederwild-Verein. Auch Junghasen verschmähe der Waschbär nicht.
Und für Artenschützer noch besorgniserregender: „Weil der Waschbär ein perfekter Kletterer ist, sind auch Nester der vom Aussterben bedrohten Schwarzstörche in Gefahr, geplündert zu werden“, sagt Gregor Klar vom Landesjagdverband NRW. An Krötenzäunen, die vor einem Überfahren schützen sollen, hat er schon Waschbären beobachtet, die sich die Amphibien zur Mahlzeit machten.
Auch Naturschützer, sonst nicht gerade häufig einer Meinung mit den Jägern, sehen den Waschbär als Gefahr für die heimische Fauna. „So kann der Waschbär örtlich ein Problem für den bodenbrütenden Kiebitz, Amphibien oder auch den Rotmilan darstellen“, heißt es vom Naturschutzbund. Auch Magnus Wessel, Leiter Naturschutz beim Umweltverband BUND kennt das. „In Ostdeutschland sind Waschbären in die Bäume einer Kormoran-Kolonie geklettert und haben diese radikal dezimiert“, sagt Wessel.
Dass Beutegreifer wie Fuchs, Marder, Dachs und Iltis Haus- wie Wildtieren nachstellen, ist nicht neu. Der Waschbär schon. Er stammt aus Nordamerika und auch keine natürlichen Feind. In den 1930er Jahren war er am Edersee im Norden Hessens ausgesetzt worden. Seitdem verbreitet er sich in Deutschland kontinuierlich. In der Gegend um Kassel nahe der Keimzelle ist der Waschbär heute eine regelrechte Plage. In dem mittelhessischen Dörfchen Roth etwa haben die Bewohner große Wagenräder auf einem Pfahl vor der Haustür aufgestellt. Darauf werden die Müllsäcke gelagert. Mülltonnen haben Vorhängeschlösser. Mit Vorliebe plündert der Waschbär den Müll auf der Suche nach Essbarem.
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Im Osten des Südwestfälischen Berglandes tauchten die ersten Waschbären bereits 1945 auf, von dort breitete sich die Art nach Westen aus. Um 1968 hatten Waschbären das Sauerland bis auf den westlichen Teil besiedelt und Nachweise reichten bis in die Kreise Soest, Beckum, Gütersloh, Paderborn und Höxter. Seit den 80er-Jahren gibt es auch in den übrigen Landesteilen NRWs Waschbären . Die Jagdstrecken in NRW lassen einen ausgeprägtes Häufigkeitsgefälle der Art von Ost nach West erkennen. Bereits vor 20 Jahren wurde der Waschbär durch erste überfahrene Exemplare im Oberbergischen nachgewiesen. Heute ist er fast flächendeckend vertreten, vor allem in der Nähe der zahlreichen Bergischen Talsperren. Deutschlandweit wurden 1995 gut 3000 Waschbären erlegt oder überfahren, im Jahr 2015 waren es mehr als 116.000.
Die EU hat den Waschbär in die Liste invasiver Arten aufgenommen. De facto heißt das, dass er ausgerottet werden soll. Nur hat die EU nicht festgelegt wie.
Für den Landesjagdverband ist die Fallenjagd die effektivste Methode. Mehr als 16.000 Waschbären haben die NRW-Jäger im vergangen Jagdjahr erlegt, 4400 mehr als im Vorjahr. 60 Prozent wurden in Fallen gefangen, der Rest vom Hochsitz. Naturschützer lehnen die Jagd der Waschbären nicht grundsätzlich ab. „Lokal kann das Erleichterung bringen“, sagt Naturschützer Wessel. Doch die Jagd auf den Waschbären ist schwierig. Bislang konnte sie seine Ausbreitung nicht annähernd stoppen. Waschbären sind nachtaktiv und haben außerdem bestimmte Tricks: Sie stellen sich beispielsweise tot, und es kann vorkommen, dass sie einen Jagdhund nah ranlassen und ihm dann in die Kehle beißen.
Jagdverbot in Siedlungen
Ein weiteres Problem mit der Jagd: Die meisten Tiere leben nicht in Feld und Flur, sondern an Häusern in der Nähe des Menschen. Jäger-Sprecher Klar schätzt, dass es in der Wildbahn zwölf bis 14 Waschbären je Hektar gibt, in besiedelten Außenbezirken aber bis zu 40. Doch in Siedlungen ist die Jagd verboten.
Tierschützer erkennen die Gefahr, lehnen die Tötung der invasiven Waschbären ab. „Der Waschbär bedroht heimische Arten, doch statt sie zu töten, sollten sie gefangen, kastriert und wieder freigelassen werden“, fordert Ralf Unna, Tierarzt aus Köln und Vizepräsident des Landestierschutzverbandes. Die Kosten dafür sollen ihm zufolge die Jäger tragen. „Sie haben ihn einst wegen seines Pelzes ausgewildert und können es auch bezahlen, da die meisten von ihnen nicht als Sozialhilfeempfänger gelten“, sagt der Tierschützer.
Naturschützer Wessel hält das aber für unrealistisch. „Das scheitert schlicht an der Masse, es dürfte Millionen Tiere geben“, sagt der BUND-Experte. Ein Ende der Waschbärplage ist nicht in Sicht.