Weißes GoldPauline Wißbrock ist die Spargelkönigin von NRW
- Es gibt viele Spargel-Königinnen, aber nur Pauline Wißbrock aus Bielefeld-Senne wurde vom NRW-Landwirtschaftsminister gekrönt.
- Die junge Frau ist jetzt zwei Jahre lang als Werbebotschafterin unterwegs.
Die Königin trägt an diesem Morgen zivil statt Diadem und Schärpe: Jeans, feste Schuhe, Sweatshirt. Vier Piercings im linken Ohr, eines im rechten. Die Haare glatt, doch das war bei ihrer Inthronisation nicht anders.
Eiskalter Regen fällt herunter auf das flache Land hinter Bielefeld, wo ihre Hoheit vor 20 Jahren als Pauline Wißbrock, zweites von drei Kindern des Landwirts Siegfried Wißbrock, geboren wurde. Es riecht nach Stall und feuchter Erde. Hühner gackern, die beiden Hunde sind weggesperrt. Im Hofladen, der eigentlich die Diele der Familie Wißbrock ist, stehen Kisten mit frischem Spargel: erste, zweite und dritte Klasse, Bruchspargel, geschälter und ungeschälter Spargel.
Seit 1853 ist der Hof Wißbrock in Bielefeld-Senne in Familienbesitz: 4,5 Hektar Spargel. Erdbeeren, Mais, Getreide. Siegfried Wißbrock züchtet außerdem Schweine und betreibt auf dem Gelände eine Abfallentsorgungsanlage für Speisereste. Der älteste Sohn, der den Betrieb übernehmen soll, setzt auf Puten, Gänse, Enten. Üppige Blumenbouquets schmücken die Vitrine neben dem Eingang, in der gekochter Schinken aus der Region, Eier vom Nachbarn und selbst gemachtes Bärlauch-Pesto angeboten werden.
Pauline hat die bunten Sträuße von ihrem ersten offiziellen Auftritt in Herten mitgebracht. Dazwischen liegt ein Stapel Autogrammkarten mit ihrem Konterfei, druckfrisch und mit dem Umriss von Nordrhein-Westfalen auf der Rückseite: „Spargelkönigin NRW 2016/2017 Pauline I.“ steht darauf.
„Gratulation“, sagt ein betagter Nachbar, der gekommen ist, um ein paar Eier zu kaufen. Er deutet auf die Königin. „Die hat früher auf meinem Schoß gesessen.“ Tja, und jetzt so was. Ganz schön aufregend sei das alles, sagt die Königin.
Sat1, WDR Lokalzeit und Google-Einträge
Der plötzliche Medienrummel. Die Fototermine. Die Begeisterung in der Grundschule, in der sie gerade ein Praktikum macht, als ihr Bild in der Lokalpresse erschien. Vater Siegfried nickt. Eben hat er stoisch, das grüne Käppi fest auf den Kopf gedrückt, mit der Tochter für ein Foto vor dem roten Traktor im Hof posiert.
„Mit der Presse hatten wir ja nie was zu tun. Das sind wir gar nicht gewohnt. Und jetzt ist die Pauline sogar im Fernsehen.“ Sat 1, WDR Lokalzeit, 148 Google-Einträge in 0,47 Sekunden für „Pauline Wiß-brock Spargelkönigin“ . Artikel in „Fokus“, im „Westfalen-Blatt“ und wer weiß, wo sonst noch.
„Sie wird auf jeden Fall viel Lebenserfahrung sammeln in dieser Zeit“, sagt die Mutter. Hastig deckt sie in der Küche den Tisch: große Teller, Salatteller, Wasser und Saft in Flaschen. Zeit zum Kochen bleibt nicht, sobald der Spargel schießt. Auch polnische Saisonarbeiter sitzen mit am Familientisch. Bis zu 30 Leute sind auf dem Hof beschäftigt, wenn sich Spargel- und Erdbeerernte überschneiden.
Zwei Jahre wird Pauline I., Lehramtsstudentin im zweiten Semester, amtieren. Ihr Job als Königin? „Spargel, Spargel, Spargel.“ Sie ist bereits die Sechste, der die „Spargelstraße NRW“, ein Zusammenschluss von 140 Betrieben, zu royalen Ehren verhalf. 2006, ein Jahr nach der Gründung der Initiative, bestieg als erste Katharina aus Olfen bei Coesfeld den Thron von NRW, um zwei Jahre lang für Deutschlands begehrtestes Feldgemüse zu werben. Rund 114.000 Tonnen verspeisen die Deutschen Jahr für Jahr – mit Schinken und Lachs, Butter und Sauce Béarnaise, die Köpfchen am liebsten sahnig weiß statt giftig violett, wie es die Franzosen bevorzugen.
„Die Spargelkönigin ist unsere sympathische Botschafterin“, definiert Christiane James von der „Spargelstraße NRW“ die Aufgabe der Repräsentantin. „Wir brauchen jemanden, der unser Produkt in Politik und Medien mit einem frischen, freundlichen Gesicht präsentiert. Dazu ist eine junge Frau wesentlich besser geeignet als ein Mann.“
Grundvoraussetzung für die Lobbyarbeit auf Bauernhöfen, Volksfesten und im NRW-Landwirtschaftsministerium: „Fachfrau. Keine Angst vor Kameras und großen Tieren.“ Sprich: Die Königin müsse etwas vom Spargelgeschäft verstehen, die entsprechenden „Basics“ draufhaben und generell Menschen mögen.
Neu ist die Vermarktungsidee der Spargelstraßler nicht. Mindestens drei lokale Spargelköniginnen amtieren in NRW, muss Christiane James zugeben. „Allerdings vertreten sie immer nur einen Ort, nicht ganz NRW wie Pauline.“ Bundesweit mögen es sogar mehr als ein Dutzend Hoheiten im Dienste des Spargels sein.
Auf Pauline fiel der Blick der NRW-Juroren erstmals vor zwei Jahren. Da war die Bauerntochter aus Bielefeld-Senne 18 Jahre alt und steckte mitten im Abiturstress. Dankend lehnte sie ab. Stattdessen ging Helene I. mit Krönchen und Gemüsekorb auf Werbetour. In diesem Jahr sprachen die Juroren erneut auf dem Wißbrock’schen Hof vor. Und Pauline sagte „Ja“ zu Titel, Schärpe und Leihwagen. Ob es auch eine Apanage gibt für die Zeit ihrer Regentschaft, darüber möchte sie nicht reden. NRW-Landwirtschaftsminister Johannes Remmel jedenfalls steckte ihr zur Eröffnung der Spargelsaison – am Rande eines Kölner Spargelfelds – das Diadem ins Haar, sprach nette Worte und stach vier Stangen Spargel mit der Königin.
Pauline hat vor ihrem Amtsantritt noch einmal mit ihrem Bruder geübt. „Erde beiseite räumen, gucken, dass nichts herunter fällt. Spargelmesser bis zur Markierung an der Stange entlangführen, Stange abstechen. Nachhebeln. Rausziehen.“ Nicht, dass der Testlauf auf dem elterlichen Feld nötig gewesen wäre. Im Familienbetrieb der Wißbrocks musste jedes Kind von klein auf mit ran.
„Es ist selbstverständlich, dass alle mitarbeiten“, sagt Pauline. „Nicht nur neben der Schule und an den Wochenenden. Freitagabend feiern, das geht einfach nicht während der Saison. Um halb sieben muss man wieder auf der Matte stehen.“ Mit acht oder neun hat sie ihren ersten Spargel verkauft, im vergangenen Jahr zusammen mit einer Freundin „Fulltime“ an der Spargelschälmaschine gestanden. „Die Saison ist kurz, da zählt jede Bestellung.“
Wir sitzen inzwischen im Wohnzimmer. An der Wand ein Foto der Urgroßeltern, ein Kinderbild des Vaters mit den Geschwistern. An der Anrichte hängt eines der drei Königinnenkleider, die Pauline sich im Internet bestellt hat: das blaue mit den Strasssteinen. Das beige, das sie bei der Krönung trug, ist bereits in der Wäsche.
Jedes Wochenende bis zum Saisonende wird Pauline I. im Einsatz sein. Sie freue sich schon darauf, sagt sie. „Man kommt mit so vielen interessanten Menschen in Kontakt.“ Und verrät zum Schluss ihr Lieblingsrezept: gebratener grüner Spargel mit Spaghetti und Bärlauch-Pesto. „Spargel in etwa drei Zentimeter lange Stücke schneiden, Pflanzenöl in der Pfanne erhitzen, den Spargel rund zehn Minuten braten, am Ende mit Pfeffer, Salz und Zucker würzen.“ Königliche Hoheit, wir danken Ihnen!
Eine schützenswerte Spezialität
Spargel ist ein Frühlingsgemüse und gehört zur Familie der Spargelgewächse (Asparagaceae). Er liefert u.a. Ballaststoffe, Folatem, Kalium, B-Vitamine und ein umfangreiches Sortiment an bioaktiven Pflanzenstoffen. Die Spargelsaison ist unterschiedlich lang. In diesem Jahr begann sie am 12. April. Sie endet traditionell am 24. Juni, dem Johannistag.
In Nordrhein-Westfalen werden jährlich etwa 17 500 Tonnen Spargel geerntet. Das entspricht rund 20 Prozent der bundesweiten Menge. Jeder Deutsche verspeist pro Kopf 1,5 Kilo Spargel im Jahr. Rund 400 landwirtschaftliche Betriebe in NRW bauen Spargel an – auf insgesamt 4000 Hektar. Seit 2014 stehen der Walbecker und der Bornheimer Spargel unter dem besonderen Schutz der EU. Sie gelten – wie auch der italienische Parmaschinken – als regionale Spezialitäten.Literaturhinweis: Ingrid Haslinger, „Spargel“, Mandelbaum, 60 S., 12 Euro
Rund 140 Spargelbetriebe im Land haben sich unter dem Namen „Spargelstraße NRW“ zusammengetan. Die nebenstehende Grafik zeigt die Betriebe in der Kölner Region, die dieser Gemeinschaft angehören. Darüber hinaus gibt es viele weitere Spargelhöfe.www.spargelstrasse-nrw.de