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Weißes GoldPauline Wißbrock ist die Spargelkönigin von NRW

Lesezeit 6 Minuten

Auf dem Feld mit NRW-Landwirtschaftsminister Remmel (rechts)

  1. Es gibt viele Spargel-Königinnen, aber nur Pauline Wißbrock aus Bielefeld-Senne wurde vom NRW-Landwirtschaftsminister gekrönt.
  2. Die junge Frau ist jetzt zwei Jahre lang als Werbebotschafterin unterwegs.

Die Königin trägt an diesem Morgen zivil statt Diadem und Schärpe:  Jeans,  feste Schuhe,   Sweatshirt. Vier Piercings im linken Ohr, eines im rechten. Die  Haare glatt, doch das war bei ihrer Inthronisation    nicht anders.

Eiskalter  Regen fällt herunter auf das flache Land hinter   Bielefeld, wo  ihre Hoheit vor 20 Jahren als Pauline Wißbrock, zweites von drei Kindern des Landwirts  Siegfried Wißbrock, geboren wurde.  Es riecht nach Stall und feuchter Erde.  Hühner gackern, die beiden  Hunde sind  weggesperrt. Im Hofladen, der eigentlich  die Diele der Familie Wißbrock ist, stehen  Kisten mit frischem Spargel:  erste, zweite und dritte Klasse, Bruchspargel, geschälter und  ungeschälter Spargel.

Stolz auf die Tochter: Landwirt Siegfried Wißbrock

Seit 1853 ist der Hof Wißbrock in Bielefeld-Senne in Familienbesitz: 4,5 Hektar Spargel. Erdbeeren, Mais, Getreide. Siegfried Wißbrock züchtet außerdem Schweine und betreibt auf dem Gelände eine Abfallentsorgungsanlage für Speisereste. Der älteste Sohn, der den Betrieb übernehmen soll, setzt auf Puten, Gänse, Enten. Üppige Blumenbouquets schmücken die Vitrine neben dem Eingang, in der gekochter Schinken aus der Region, Eier vom Nachbarn und selbst gemachtes Bärlauch-Pesto angeboten werden.

Pauline   hat die  bunten Sträuße  von ihrem ersten offiziellen Auftritt   in Herten mitgebracht. Dazwischen liegt ein Stapel   Autogrammkarten mit ihrem Konterfei, druckfrisch und mit dem Umriss von Nordrhein-Westfalen auf der Rückseite: „Spargelkönigin NRW 2016/2017  Pauline I.“ steht darauf.

„Gratulation“, sagt ein betagter Nachbar, der gekommen ist, um ein paar Eier zu kaufen. Er deutet auf die Königin. „Die  hat früher auf meinem Schoß gesessen.“  Tja, und jetzt so was.  Ganz schön aufregend sei das alles, sagt die Königin.

Sat1, WDR Lokalzeit und Google-Einträge

Der plötzliche Medienrummel.  Die Fototermine. Die Begeisterung  in der Grundschule, in der sie gerade ein Praktikum macht, als ihr Bild in der Lokalpresse erschien.  Vater Siegfried nickt.  Eben  hat er stoisch, das grüne Käppi fest auf den Kopf gedrückt, mit der Tochter für ein Foto vor dem roten Traktor im Hof posiert.

„Mit der Presse  hatten wir ja nie was zu tun. Das sind wir gar nicht gewohnt. Und jetzt ist die Pauline sogar im Fernsehen.“    Sat 1, WDR Lokalzeit,  148 Google-Einträge in 0,47 Sekunden  für   „Pauline Wiß-brock Spargelkönigin“  . Artikel  in  „Fokus“, im  „Westfalen-Blatt“ und wer weiß, wo  sonst noch.

„Sie wird auf jeden Fall viel Lebenserfahrung sammeln in dieser Zeit“, sagt  die Mutter. Hastig deckt sie  in der Küche den Tisch: große Teller,  Salatteller, Wasser und Saft in Flaschen. Zeit zum Kochen bleibt  nicht, sobald  der Spargel schießt. Auch  polnische Saisonarbeiter sitzen  mit am Familientisch. Bis zu 30 Leute  sind  auf dem Hof beschäftigt, wenn sich Spargel- und Erdbeerernte überschneiden.    

Zwei Jahre wird Pauline I., Lehramtsstudentin im zweiten Semester,  amtieren. Ihr Job als Königin?  „Spargel, Spargel, Spargel.“ Sie ist bereits die Sechste, der die „Spargelstraße NRW“, ein Zusammenschluss  von 140 Betrieben,  zu  royalen  Ehren verhalf.  2006, ein Jahr nach der Gründung der Initiative, bestieg als erste Katharina   aus Olfen bei Coesfeld den Thron von NRW, um zwei Jahre lang   für Deutschlands begehrtestes Feldgemüse zu werben. Rund 114.000 Tonnen verspeisen die Deutschen Jahr für Jahr – mit Schinken und  Lachs, Butter  und Sauce Béarnaise, die Köpfchen am liebsten sahnig weiß statt giftig violett, wie es  die Franzosen bevorzugen.

Spargelkönigin Pauline I. nach ihrer Ernennung auf dem Beller Hof in Köln-Marsdorf

„Die Spargelkönigin ist unsere sympathische Botschafterin“, definiert    Christiane James von der „Spargelstraße NRW“ die Aufgabe  der Repräsentantin.   „Wir brauchen  jemanden, der unser Produkt  in Politik und Medien  mit einem frischen, freundlichen Gesicht präsentiert. Dazu ist eine junge Frau wesentlich besser geeignet als ein Mann.“ 

Grundvoraussetzung für die  Lobbyarbeit auf Bauernhöfen, Volksfesten und im NRW-Landwirtschaftsministerium:  „Fachfrau. Keine Angst vor  Kameras und großen Tieren.“ Sprich: Die  Königin müsse etwas vom Spargelgeschäft verstehen, die entsprechenden „Basics“ draufhaben und   generell  Menschen mögen.

Neu ist die Vermarktungsidee der Spargelstraßler  nicht. Mindestens drei lokale Spargelköniginnen amtieren  in  NRW, muss Christiane James  zugeben. „Allerdings  vertreten sie immer nur einen Ort, nicht ganz NRW wie Pauline.“        Bundesweit mögen es sogar mehr als ein Dutzend Hoheiten im Dienste des Spargels sein. 

Auf Pauline fiel der Blick der NRW-Juroren erstmals vor zwei Jahren. Da war die Bauerntochter aus Bielefeld-Senne   18 Jahre alt und steckte mitten im Abiturstress.  Dankend lehnte sie  ab.  Stattdessen ging Helene I. mit Krönchen und Gemüsekorb  auf  Werbetour.  In diesem Jahr sprachen die Juroren  erneut  auf dem Wißbrock’schen  Hof vor. Und Pauline sagte „Ja“ zu Titel, Schärpe und  Leihwagen. Ob es auch eine Apanage gibt für die Zeit ihrer Regentschaft, darüber möchte sie  nicht reden.  NRW-Landwirtschaftsminister Johannes  Remmel jedenfalls  steckte ihr zur Eröffnung der Spargelsaison –  am Rande eines Kölner  Spargelfelds –  das Diadem ins  Haar, sprach nette Worte und stach vier Stangen Spargel mit der  Königin. 

Pauline hat vor ihrem Amtsantritt       noch einmal mit ihrem Bruder geübt.   „Erde beiseite räumen,  gucken, dass nichts herunter fällt.    Spargelmesser  bis zur Markierung an der Stange entlangführen, Stange abstechen. Nachhebeln. Rausziehen.“ Nicht, dass der  Testlauf auf dem elterlichen Feld nötig gewesen wäre.  Im Familienbetrieb der Wißbrocks musste jedes  Kind von klein auf    mit ran. 

„Es ist selbstverständlich, dass alle mitarbeiten“, sagt Pauline. „Nicht nur neben der Schule und an den Wochenenden.  Freitagabend feiern, das geht einfach nicht während  der Saison. Um halb sieben muss man  wieder auf der Matte stehen.“  Mit acht oder neun hat sie ihren ersten Spargel verkauft, im vergangenen Jahr zusammen  mit einer Freundin „Fulltime“ an der Spargelschälmaschine gestanden. „Die Saison ist kurz, da zählt jede Bestellung.“  

Wir sitzen inzwischen im Wohnzimmer. An  der Wand ein  Foto der Urgroßeltern, ein  Kinderbild des Vaters  mit  den Geschwistern. An der Anrichte hängt  eines der drei Königinnenkleider, die Pauline sich   im Internet bestellt hat: das blaue mit den Strasssteinen.   Das beige, das sie  bei der Krönung trug, ist bereits  in der Wäsche.

Jedes Wochenende bis zum  Saisonende wird Pauline I. im Einsatz sein. Sie freue sich schon darauf, sagt sie.  „Man kommt mit so vielen interessanten Menschen in Kontakt.“ Und verrät zum Schluss ihr Lieblingsrezept: gebratener grüner Spargel mit Spaghetti und Bärlauch-Pesto. „Spargel   in etwa drei Zentimeter lange Stücke schneiden, Pflanzenöl in der  Pfanne erhitzen, den Spargel rund zehn Minuten braten,   am Ende mit  Pfeffer, Salz und Zucker würzen.“ Königliche Hoheit, wir danken Ihnen!

Eine schützenswerte Spezialität

Spargel ist ein    Frühlingsgemüse und gehört zur  Familie der Spargelgewächse (Asparagaceae). Er liefert u.a. Ballaststoffe, Folatem, Kalium, B-Vitamine und ein umfangreiches Sortiment an bioaktiven Pflanzenstoffen. Die Spargelsaison ist unterschiedlich lang. In diesem Jahr  begann sie  am     12. April. Sie endet traditionell am  24. Juni, dem Johannistag.

In Nordrhein-Westfalen werden jährlich etwa 17 500 Tonnen Spargel geerntet. Das entspricht rund 20 Prozent der bundesweiten Menge. Jeder Deutsche verspeist pro Kopf 1,5 Kilo Spargel im Jahr. Rund 400 landwirtschaftliche Betriebe in NRW bauen Spargel an – auf insgesamt 4000 Hektar. Seit 2014 stehen der Walbecker und der Bornheimer Spargel unter dem besonderen Schutz der EU. Sie gelten – wie auch der italienische Parmaschinken – als regionale Spezialitäten.Literaturhinweis: Ingrid Haslinger, „Spargel“, Mandelbaum, 60 S., 12 Euro

Rund 140 Spargelbetriebe im Land haben sich unter dem Namen „Spargelstraße NRW“ zusammengetan. Die nebenstehende Grafik zeigt die Betriebe in der Kölner Region, die dieser Gemeinschaft angehören. Darüber hinaus gibt es viele weitere Spargelhöfe.www.spargelstrasse-nrw.de