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„Anne Will“Donald Trump – „Eine Ein-Mann-Plage für die USA“

Lesezeit 9 Minuten
Anne Will 1

Bei „Anne Will“ ging es um Rassismus.

  1. „Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus – wie viel Verantwortung trägt Präsident Trump für die Eskalation?“ lautete das Thema bei „Anne Will“.
  2. Zu Gast waren Norbert Röttgen (CDU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Alice Hasters (Autorin), Samira El Ouassil (Autorin), Christoph von Marschall („Tagesspiegel“) und Stefan Simons (Deutsche Welle).

Berlin – Rassismus ist ein schwieriges Thema. So schwierig, dass es nicht einmal eine allgemeine Definition für diesen Begriff gibt. Viele Menschen allerdings verbinden den Begriff mit schmerzlichen Erfahrungen und Ausgrenzung, denn Rassismus beschreibt meistens eine Form der Herabstufung von Menschen mit anderen körperlichen oder kulturellen Merkmalen. Soweit die Theorie. Aber auch, wer dieses komplexe Thema in der Praxis anspricht, der kann in so einige Fettnäpfchen treten.

So auch Talkshow-Gastgeberin Sandra Maischberger bei ihrer letzten Talkrunde. Denn sie wollte über Rassismus gegen schwarze Menschen sprechen - mit ausschließlich weißen Gästen. Die Folge: Ein Shitstorm. Kollegin Anne Will macht es in ihrer Show zu einem ähnlichen Thema besser: Auf ihren Stühlen nehmen diesmal Gäste platz, die ein realistischeres Bild unserer Gesellschaft zeichnen.

Das Thema

Seit mehr als einer Woche brennt die USA buchstäblich: Hunderttausende Menschen demonstrieren gegen Polizeigewalt und Rassismus, teilweise kommt es zu schweren Ausschreitungen. Auslöser der mittlerweile sogar weltweiten Protestwelle ist der Tod des Afroamerikaners George Floyd während eines Polizeieinsatzes in Minneapolis.

Während sich also auf der ganzen Welt Menschen gegen Rassismus positionieren, tritt US-Präsidend Donald Trump alles andere als besänftigend auf - im Gegenteil: Er feuert das Chaos in den Vereinigten Staaten nur noch mehr an, etwa mit dem potenziellen Einsatz des Militärs gegen Demonstranten. Anne Will fragt ihre Gäste deshalb: Wie viel Verantwortung trägt Trump eigentlich für die Eskalation in seinem Land?

Die Gäste

CDU-Politiker Norbert Röttgen sieht im aktuellen Verhalten des US-Präsidenten keine Überraschung. Trump zeige das Verhaltensmuster, mit dem er gewählt wurde: spalten, eskalieren, polarisieren. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag erwartet, dass wir davon in den nächsten Monaten noch mehr sehen werden. Die irrationalen Maßnahmen werden weitergehen“, sagt er. Und trotzdem hält er einen Wahlsieg Trumps im November nicht für ausgeschlossen.

Grünen-Politiker Cem Özdemir hingegen hält nichts von voreiligen Prognosen für den Ausgang der US-Wahl. Denn schon vor vier Jahren hätte sich kaum einer vorstellen können, dass Donald Trump US-Präsident würde, angesichts der vielen vorausgesagten Stimmen von Frauen, Homosexuellen, Afroamerikanern und Menschen für die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Das Ende ist bekannt. Aber selbst die Republikaner würden mittlerweile die Entwicklung unter der Führung Trumps erkennen: „Das ist nicht das Amerika, für das Abraham Lincoln in den Bürgerkrieg gegangen ist. Das ist reiner Machterhalt um den Preis der Zerstörung des Landes.“

Alice Hasters ist Podcastern und hat das Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen… aber wissen sollten“ geschrieben. In Donald Trumps Regime erkenne sie vor allem Versagen - und die Proteste seien ein Zeichen dafür, dass die Menschen eben dieses Versagen des Präsidenten auch erkennen. Sollte er dennoch im November wiedergewählt werden, wäre das ein fatales Zeichen an die Menschen, die gerade auf der Straße für ihre Rechte kämpfen.

Samira El Ouassil schreibt als Kolumnistin und Autorin unter anderem für den Spiegel. Sie findet direkt zum Einstieg deutliche Worte über Donald Trump „Er ist nicht dafür bekannt, das Land vereinen zu wollen, er ist eher der Anti-Präsident der Vereinigten Staaten.“ Besonders der umstrittene Kirchenauftritt des Präsidenten, bei dem er sich vor einer Kirche mit einer Bibel für die Presse in Szene setzte, während die Demonstrationen vor den Toren des Weißen Hauses zu eskalieren drohten, beleuchtet die Kommunikationswissenschaftlern kritisch: „Ich möchte nochmal daran erinnern, wie schön es war, mit anzusehen, wie er offenbar das erste Mal ein Buch in der Hand hält und herausgefunden hat, wo vorne und hinten ist.“

Christoph von Marschall ist Diplomatischer Korrespondent des Tagesspiegel und hat viele Jahre direkt aus den USA berichtet. Und entsprechend erwartungsgemäß beleuchtet er das Geschehen in den USA auch: diplomatisch. Er verurteilt weniger als seine Sitznachbarn, was der US-Präsident so verzwickt, sondern ordnet es vielmehr direkt ein. So sagt er etwa, dass die Konfrontation und Polarisierung, die gerade in den USA stattfindet, Trump am Ende nur nutzen wird. Seine Sorge sei, dass alles was kritisiert wird, am Ende doch nichts daran ändert, dass er wiedergewählt wird. Sein Wahlgegner Joe Biden liege zwar derzeit vorne, aber eben nur knapp.

Die Debatte

In einem Punkt jedenfalls sind sich alle Gäste schnell einig: Donald Trump trägt eine Mitschuld an den Ausschreitungen in den USA. Das schließt Hasters etwa daraus, dass die Proteste, anders als in den vergangenen Jahren, in 2020 deutlich stärker ausfallen - und zwar weltweit. Ob das letztendlich aber auch nachhaltig etwas ändern könne, das sei abzuwarten: „Jetzt kommt es darauf an, wie die Politik darauf reagiert“, sagt die Autorin.

Aber wie genau konnte es eigentlich soweit kommen? El Ouassil bringt es auf den Punkt - und zwar mit einem Zitat, das ursprünglich von Schauspieler Will Smith stammt: „Der Rassismus ist nicht schlimmer geworden, er wird jetzt nur gefilmt.“

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Das, was gerade in den USA zu beobachten ist, ist das Ergebnis von mehreren Unglücksfällen gleichzeitig: Die Corona-Pandemie, die Abertausende von Opfern fordert, der strukturelle Rassismus, der nun durch den tragischen Tod von George Floyd sichtbar wurde und das polarisierende Regime Trumps. Das jedenfalls sehen die Politiker Özdemir und Röttgen so. El Ouassil pflichtet ihnen mit einem weiteren Dreisatz bei: „400 Jahre Rassismus, 4 Jahre Trump und 4 Monate Corona - da ist eine Eskalation vorprogrammiert.“

Der ehemalige US-Korrespondent Marshall lenkt den Fokus - ganz der Diplomat - lieber auf positive Dinge, wie die Solidaritätsbekundungen einiger US-Polizisten, die sich etwa vor Demonstranten knieten. Man solle das Ganze auch einmal aus der anderen Sicht betrachte: Polizisten erleben, dass es im schwarzen Milieu oft mehr Kriminalität gibt.

Eine These, die Hasters nicht ganz so gelassen hinnimmt. Sie kontert sichtlich empört mit einer sachlichen Erklärung: „Solche Probleme entstehen meistens durch strukturellen Rassismus.“ Wenn es an Ressourcen und Bildung fehle, rutschten Menschen schneller in kriminelle Strukturen „Natürlich versuchen Menschen, sich aus diesen Strukturen zu befreien, aber die Versuche werden immer wieder zerstört.“ Es dauert nicht lange, da springt ihr Marschall springt mit einem beschwichtigenden „Es ist ein Kampf“ bei - um dann noch einmal zu betonen, dass sich die Situation für Schwarze in den USA ja grundsätzlich gebessert habe.

Grünen-Politiker Özdemir geht mit der These allerdings auch nicht so ganz Konform. Er sag deutlich, dass Rassismus ein weißes und kein schwarzes Problem sei. Seine Forderung: „Die Weißen müssen ihren angelernten Rassismus aufarbeiten.“ Vorher sei ein friedliches Miteinander sogst wie unmöglich.

Der spannendste Moment

Alles andere als friedlich geht es in den USA gerade zu. Wie prekär die Lage aber wirklich ist, das hat Stefan Simons, US-Korrespondent der deutschen Welle, erzählt. Der Journalist, der seit mehr als 20 Jahren aus den USA berichtet, wurde Live ins Studio geschaltet und hat von der aktuellen Lage erzählt. Erst vor kurzem wurde er bei Demonstrationen von Polizisten bedroht und beschossen. Und das habe System: „Die Polizisten wollen nicht, dass die Presse da ist und dokumentiert, was da alles schief läuft.“

Auch wegen den vielen Aussagen des US-Präsidenten gegen Pressevertreter gebe es an vielen Orten in den USA Polizisten, die bereit sind „draufzuknüppeln“, wenn sie es für richtig halten. Alleine in der letzten Woche habe es 270 Angriffe auf Journalisten gegeben. Im Vergleich: Im ganzen Jahr 2019 gab es 150 entsprechende Vorfälle. Die Lage der Demonstranten fasst Simons wie folgt zusammen: „Es gibt viel Wut hier, viel viel Wut.“

Das Zitat des Abends

Es ist schwer zu verbergen, dass US-Präsident Donald Trump in der Talkrunde nicht der beliebteste ist. Kolumnistin El Ouassil lässt aber wirklich keinen Zweifel daran, dass sie wirklich alles an dem Regierungschef der USA zuwider findet. Sie geht sogar noch einen Schritt weiter und macht ihn für das, was gerade passiert, mitverantwortlich. Sie sagt etwa: „Wir haben hier eine Ein-Mann-Plage für die USA.“

Das Duell des Abends

In der ersten Hälfte der Talkshow gab es trotz des kritischen Themas kaum Diskussionen zwischen den Gästen. Das änderte sich aber mit einem Themenwechsel schlagartig: Moderatorin Anne Will wollte von ihren Gästen wissen: Hat Deutschland auch ein Rassismus-Problem?

Und eigentlich hatte Kanzlerin Angela Merkel in ihrer jüngsten Ansprache zu den Ereignissen in den USA bereits die richtige Antwort gegeben: Ja, auch wir in Deutschland haben ein Rassismus-Problem. Belegt wird die Aussage etwa durch die 8585 Straftaten mit Rassismus-Bezug, die es im vergangenen Jahr in Deutschland gab oder das Attentat auf zwei Shisha-Bars in Hanau.

Anne Will 2

Anne Will mit Cem Özdemir (r.) Alice Hasters (2.v.r.)

Und trotzdem wurde das Offensichtliche nun zum Diskussionsthema. Während Röttgen den Rassismus in Deutschland als deutlich harmloser betrachtet, als das, was in den USA praktiziert wird, sieht Hasters deutlich mehr Parallelen. Konkret sieht die Autorin auch in Deutschland einen strukturellen Rassismus, der auch bei der Polizei stattfindet. Röttgen allerdings empfindet die Polizei als nicht rassistisch. Kleine Randnotiz: Wohl bemerkt diskutiert hier eine schwarze Frau mit einem weißen Mann über Alltagsrassismus.

Und Hasters bekommt schnell Zuspruch von El Ouassil, die gleich Belege für institutionellen Rassismus bringt. Sie nennt zum Beispiel das Hannibal-Netzwerk innerhalb der Polizei oder militante Strukturen innerhalb der Bundeswehr. Röttgen gibt sich schnell geschlagen: „Ich widerspreche da nicht, aber wir haben in diesem Land den gemeinschaftlichen Willen, das anzugehen.“ Auf ein gemeinschaftliches Nicken folgt dann ein ernüchternder Rückblick von Özdemir: „Wir haben den Konsens, aber der Konsens wurde mit Blut geschrieben. Und es wären weniger Menschen gestorben, wenn wir rechtzeitig hingeschaut hätten.“ Der Grünen-Politiker spielt damit etwa auf den Mordfall von Walter Lübcke an oder die vielen Menschen, die der NSU zum Opfer fielen.

…und Trump so?

Dass in einem deutschen Fernsehstudio am Sonntagabend fünf Meinungsträger und eine Moderatorin über seine fragwürdige Regierung debattieren, das juckt den US-Präsidenten zugegebenermaßen recht wenig. Der twittert lieber ungeniert und lässt keine Zweifel an seinem gesunden Selbstbewusstsein. Kurz nach Ende der Sendung schreibt er etwa: „Ich habe die größte Wirtschaft der Welt gebildet, die beste, die die USA je hatte. Und ich werde es wieder tun.“ Nunja, jeder hat eben seine Prioritäten.

Das Fazit

Und Donald Trump legt seine Prioritäten definitiv nicht nach den Wünschen aller US-Amerikaner fest. Auch Marschall sagt, dass Trump nur wichtig sei, dass seine Wähler ihm treu bleiben und an die Wahlurne treten. Was die Menschen angeht, die gerade weltweit demonstrieren, findet Masters deutliche Worte: „Ihnen geht es wirklich um was: Um ihr Leben! Die haben wirklich was zu verlieren, wenn Trump wieder gewählt wird.“ Ob das geschieht, kann allerdings derzeit noch niemand vorhersagen.

Marschall bringt es auf den Punkt: „Letzten Endes entscheiden nur die Wähler, wen sie wählen.“ Und bis November kann sich die Welt noch ein paar Mal in eine andere Richtung drehen. Es bleibt zu hoffen, dass es die Richtige ist. Aber ganz egal, was in den USA passiert: Auch in Deutschland ist Rassismus für viele Menschen Alltag. Und die Talkshow-Besetzung von Anne Will war ein erster Schritt in die Richtige Richtung. Aber eben nur ein kleiner. Am Ende aber kann ein jeder etwas gegen Rassismus tun. (RND)