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„Anne Will“Olaf Scholz gibt sich kleinlaut nach Nahles-Rücktritt

Lesezeit 4 Minuten
Anne Will scholz

Olaf Scholz bei „Anne Will“

  1. „Nach Nahles-Rücktritt - wie geht es weiter mit der GroKo?“ fragte Anne Will am Sonntagabend.
  2. Zu Gast waren Olaf Scholz (SPD), Norbert Röttgen (CDU), Luisa Neubauer („Fridays for Future“-Aktivistin), Claudia Kade („Welt“) und Cerstin Gammelin („Süddeutsche Zeitung“).

Es gibt diese Momente an Tagen wie diesen, wenn das politische Berlin mal wieder gebebt zu haben scheint. Dann, wenn eigentlich alles gesagt ist, in der „Tagesschau“, im „Brennpunkt“ oder anderswo. Und plötzlich wird es vorübergehend doch noch einmal spannend. Und so war es denn auch am Sonntagabend, kurz nach 22 Uhr, im Fernsehstudio bei „Anne Will“.

Noch nicht einmal 24 Stunden ist es in diesem Augenblick her, dass Andrea Nahles ihre Rücktrittserklärung hatte verschicken lassen. Und nun sitzt da Olaf Scholz, Vizekanzler, Bundesfinanzminister und auch noch stellvertretender SPD-Vorsitzender. Ein Mann, der sich fast alles zutraut, die Kanzlerkandidatur sowieso. Doch nun gibt sich der 60-Jährige auf einmal kleinlaut.

Ein „trauriger Tag“ sei das. „Die Trauer sitzt uns noch allen in den Kleidern“, setzt Scholz an – gefragt danach, wie es denn jetzt weitergehen solle mit der SPD. Ob er Vorsitzender und damit Nahles-Nachfolger werden wolle? Hanseat Scholz winkt ab – und zwar so kategorisch, dass es schon fast erstaunlich ist.

Finanzminister und SPD-Vorsitzender – das gehe schon zeitlich nicht zusammen. „Es wäre nicht richtig, wenn einer versuchen würde, alle möglichen Ämter an sich zu binden. Das geht schief“, schiebt Scholz noch hinterher.

Scholz windet sich

Es ist der Moment, in der begreifbar wird, wie schlimm es um die älteste Partei Deutschlands bestellt sein muss. Wenn jemand wie Scholz sich windet und lieber auf den Vorsitz verzichtet, dann sagt das schon eine Menge.

„Nach Nahles-Rücktritt - wie geht es weiter mit der Groko?“, war der offizielle, kurzfristig noch abgeänderte Sendungstitel bei „Anne Will“. Eigentlich hatte es monothematisch um Klimaschutz im Allgemeinen, CO2-Steuer, Kohleausstieg und „Fridays for future“-Proteste im Speziellen gehen sollen. Nur: Dann kam Nahles mit ihrer Rückzugsankündigung. Die längst eingeladene Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer hatte bei Twitter sogar angeboten, angesichts der neuen Lage auf den Besuch im Studio zu verzichten.

Doch Anne Will entscheidet sich für eine Sendung, die dann über weite Strecken wirkt wie ein Kessel Buntes – mit Nahles-Drama, CDU-Manöverkritik und einigen Klimaschutz-Details. So kommt es, dass im Studio ein Vizekanzler, der nicht den SPD-Vorsitz übernehmen will, auf Ex-Umweltminister Norbert Röttgen von der CDU trifft, der mit seiner Partei hadert, und auf Aktivistin Neubauer, die meistens nur mit dem Kopf schüttelt.

„Nicht auf der Höhe der Zeit“

Für Röttgen ist klar: Die Groko müsse zeigen, dass sie den Schuss gehört habe. Er bezieht das auf den Klimaschutz. Er bezieht es aber auch auf die Lage insgesamt – jetzt nach dem Rücktritt von Nahles. „Wir sind nicht auf der Höhe der Zeit“, analysiert der frühere Umweltminister und geht hart mit seiner Partei ins Gericht: „Das Thema Klimaschutz haben wir in den letzten Jahren total vernachlässigt.“ Klimawandel und Energiewende seien inzwischen wie „Waisenkinder“ in der Politik der CDU.

Was natürlich harter Tobak ist. Zumal Röttgen selbst Umweltminister war und schließlich von Angela Merkel entlassen wurde. Und zumal die versammelte CDU-Spitze sich gerade in einer Klausurtagung mit dem Ausgang der Europawahl befasst – wobei sich das Thema Klimaschutz und die scharfe Kritik von Youtubern wie Rezo an Versäumnissen in diesem Bereich dabei natürlich nicht ausblenden lässt.

Publikum ist auf Neubauers Seite

Während CDU-Mann Röttgen spricht, verzieht Klimaschützerin Neubauer mehrfach das Gesicht. Es sei zwar ganz „sympathisch“, dass ihr Gegenüber jetzt so rede, sagt die 23-jährige Studentin aus Berlin, verlangt aber Taten statt Worte. Dabei verweist sie auf das nun wieder bekräftigte CDU-Nein zu einer CO2-Steuer. „Es gibt aus Wählerperspektive keinen Grund anzunehmen, dass sich das ändert“, attackiert Neubauer Röttgen. Es ist der Moment, in dem der Applaus im Studio am lautesten ausfällt.

Leider bleibt die Debatte meist an der Oberfläche. Mal geht es um die Grundrente, mal um den Klimaschutz, dann wieder um die Groko und das viele Vertrauen, das sie verloren hat. Die Zahl der Aha-Momente bleibt gering. Der TV-Talk-Abend, mit dem dieser denkwürdige Tag im politischen Berlin ausklingt, plätschert so dahin. Und das obwohl für Union und SPD in den nächsten Tagen soviel auf dem Spiel steht wie lange nicht mehr.

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