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Corona-Talk bei Anne WillDie unerfüllte Hoffnung des Markus Söder

Lesezeit 4 Minuten

Markus Söder (CSU) nimmt an einer Pressekonferenz teil.

Berlin – Raus aus dem Corona-Stillstand – hat die Regierung hierfür den richtigen Plan?“ Der Titel der Anne-Will-Sendung vom Sonntagabend klingt ein bisschen nach dem, was die Kanzlerin gemeint haben könnte, als sie in den CDU-Gremien hinter verschlossenen Türen vor „Öffnungsdiskussionsorgien“ warnte. Eine Orgie ist bekanntlich ein zügelloses, ausschweifendes Fest. Etwas, wogegen der vor Anne Will gesendet Krimi langweilig aussähe.

Die Konstellation

Es diskutieren: „Die drei ???“.

Vize-Kanzler Olaf Scholz ist bekannt dafür, dass er sich selbst für einen sehr fähigen Regierungschef hielte. Ob seine eigene Partei das auch so sieht, ist eine andere Frage.

Grünen-Chef Robert Habeck galt lange Zeit vielen als wahrscheinlicher Kanzlerkandidat der Grünen. Jetzt ist – durch den Absturz der Grünen in der Corona-Krise – völlig unklar, ob seine Partei einen Kanzlerkandidaten braucht.

Nicht im Studio in Berlin, sondern aus Bayern zugeschaltet ist CSU-Chef Markus Söder. Er hat in der Corona-Krise bundesweit an Beliebtheit hinzugewonnen. Er weiß aber auch nicht, wer eigentlich Chef der größeren Schwesterpartei CDU wird.

Das Motto

„Wir müssen vieles gleichzeitig richtig machen, aber es wird schwierig bleiben“, sagt Vize-Kanzler Olaf Scholz. Er bringt damit etwas auf den Punkt, das unterm Strich auch Söder und Habeck so sehen. Die Diskussion verläuft sachlich und erinnert nicht mal in Hinsicht auf die Bereitschaft zum Streit an eine Orgie.

Keine Frage: Scholz und Söder ist naturgemäß mehr als Habeck daran gelegen, an diesem Abend herauszustellen, dass Deutschland im internationalen Vergleich bislang gut durch die Krise gekommen sei. Habeck dringt stattdessen darauf, dass es schneller gehen müsse mit der Corona-App. Sie soll ein besseres Nachverfolgen von Infektionsketten und damit mehr Freiheiten ermöglichen.

Einen Grundkonsens gibt es darüber, dass gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Folgen der Krise differenziert abgewogen werden müssen. In dieser Grundfrage lautet das Motto: Drei Stühle, eine Meinung.

Die unangenehme Frage – gut gemeistert

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, ein Grüner, hat in Sachen Corona-Krise gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Grünen-Chef Robert Habeck findet, von Anne Will mit dem Satz konfrontiert, deutliche Worte: „Der Satz von Boris war falsch, herzlos und kann den Eindruck erweckt haben – vielleicht war es auch so gemeint –, dass es sich nicht lohnt um Menschenleben zu kämpfen.“

Palmer spreche weder für die Partei noch für Habeck. „Ich glaube, er spricht für niemanden außer für sich selbst.“ Der Grünen-Chef sagt, seine Geduld mit Palmer sei erschöpft.

Die unangenehme Frage – schlecht gemeistert

Hildegard Müller ist Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Müssen Unternehmen, die Staatshilfen beziehen, darauf verzichten, Dividenden auszuschütten und Manager-Boni auszuzahlen?

Müller sagt, „dass die Aufregung sozusagen nicht hergibt, wie komplex die Situation ist“. Das ist Herumeiern – und es dürfte kaum einen Zuschauer überzeugt haben. Im Übrigen spricht Müller davon, dass Boni wichtige Gehaltsbestandteile seien. Eine bedenkenswerte Aussage in Zeiten, in denen viele Menschen wichtige Gehaltsbestandteile wegen Kurzarbeit verlieren. Oder sogar arbeitslos werden.

Die unerfüllte Hoffnung

„Das Allerwichtigste wäre, dass wir vom Robert-Koch-Institut eine verlässliche Zahl bekommen, ab wann, wie es gefährlich wäre“, sagt Söder. Die verschiedenen Zahlen sorgten manchmal für etwas Verwirrung.

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), entgegnet: Das sei für die Wissenschaft nicht so einfach. Auch die Virologen dürften die Sicht der Soziologin teilen. Allein schon, weil sich das Wissen über die Corona-Pandemie laufend weiterentwickelt.

Die große Befürchtung

Sind die Lasten gerecht verteilt? Zahlen die Frauen den Preis für die Krise, weil vor allem sie sich im Homeoffice neben der Arbeit um die Kinder kümmern müssen? „Die Frauen werden eine entsetzliche Retraditionalisierung weiter erfahren“, sagt die Soziologin Allmendinger. Sie glaube nicht, „dass man das einfach so wieder aufholen kann und dass wir von daher bestimmt drei Jahrzehnte verlieren“.

Will fragt nach: „Drei Jahrzehnte, glauben Sie?“ Diese Prognose mag übertrieben wirken. Es fällt aber schwer Allmendiger zu widersprechen, wenn sie sagt, sie glaube nicht daran, dass die oft von Frauen ausgeübten Berufe in der Pflege künftig wirklich besser bezahlt würden. Dieses Versprechen hat es schon zu oft gegeben.

Das Ausrufezeichen

Wer von den „Drei ???“ kommt am besten durch die Sendung? Söder macht, wie zuletzt fast immer, eine gute Figur. Er leider aber ein bisschen darunter, dass er nicht selbst im Studio sitzt.

Habeck kommt in einer nicht ganz einfachen Lage für seine Partei unaufgeregt rüber und setzt dabei dennoch – wie bei der App – eigene Punkte.

Den besten Auftritt des Abends erwischt Olaf Scholz. Er verkörpert den seriösen Regierungspolitiker so gut, dass man ihm auch seine etwas technokratische Ausdrucksweise nachsieht.

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Man kann ihm nicht mal die bedrückende Aussage übel nehmen, es könne zwei Jahre lang schwierig bleiben, „je nachdem, wann das mit dem Impfstoff gelingt.“ Scholz setzt mit dem Auftritt ein Ausrufezeichen hinter die Ambition, dass mit seiner Niederlage im Kampf um den SPD-Vorsitz im vergangenen Jahr seine Karriere lange nicht vorbei sein soll.