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Corona-Talk bei WillLaschet irrlichtert umher – Lindner fordert mehr Lockerungen

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Armin Laschet

Armin Laschet

Berlin – Sie muss ihn gemeint haben. Ganz sicher. Angela Merkel muss an Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet gedacht haben, als sie davon sprach, so manche Lockerungsübung nach fünf Wochen Lockdown sei ihr “zu forsch”.

Unangemessen laut im Ton, unsensibel bei der Wahl der Worte, nicht sattelfest in den Fakten: Was Laschet am Sonntagabend in der Corona-Debatte bei Anne Will zur besten Sendezeit von sich gab, war eines möglichen Kanzlerkandidaten der Union unwürdig.

Laschet plädiert für Lockerungen

Will wollte wissen, ob Deutschland mit Beginn der kommenden Woche und dem langsamen Hochfahren von Schulen, Geschäften und Betrieben eine zweite, womöglich wesentlich heftigere Infektionswelle bevorstehe. Einige Äußerungen Laschets könnten diesen Schluss unfreiwillig zulassen.

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Wie kein Zweiter aus der Riege der Ministerpräsidenten hatte der CDU-Politiker in den letzten Wochen für Lockerungen und eine schrittweise Rückkehr zur Normalität getrommelt. Anders als in anderen Ländern durften in NRW sogar große Möbelhäuser wieder öffnen. Mit dieser politischen Agenda lief Laschet zur Hochform auf.

Laschet weist die Verantwortung für Mängel an den Schulen von sich

Einer ungläubigen Moderatorin und Millionen Zuschauern vor den Fernsehgeräten gegenüber musste Laschet dann aber einräumen, zwar den Start von Unterricht an Schulen gefordert, doch erst jetzt erfahren zu haben, dass dafür die notwendigen Voraussetzungen fehlen. Laschet wörtlich: “Ich habe mich auch gewundert. Abiturienten sollen wieder in die Schule kommen, aber die Schulträger haben das nicht vorbereitet.”

Schmutzige Toiletten, kein warmes Wasser, zu wenige Masken: Als ihn Grünen-Chefin Annalena Baerbock mit der Realität konfrontierte und ihm dafür die Verantwortung als Regierungschef seines Bundeslandes zuwies, wiegelte dieser ab: Dafür sei er nicht verantwortlich. Das sei Aufgabe von Städten und Gemeinden. Mit anderen Worten: Laschet musste zugeben, sich für etwas stark gemacht zu haben, für das alle notwendigen Voraussetzungen fehlen. Das nennt man dann wohl Selbstdemontage.

Wenig später sagte er noch, die Öffnung der Schulen sei “gut gelaufen”. Da waren die meisten Worte des Düsseldorfer Regierungschefs längst unter einer Lawine aus Widersprüchen begraben.

Man müsse abwägen, so Laschet, welche Schäden angerichtet würden bei Kindern, die wochenlang nicht in die Kita oder zur Schule gehen dürften. Je länger die Sendung lief, desto mehr verfestigte sich der Eindruck, dass Laschet noch weniger über die Schäden nachgedacht hatte, die verursacht werden, wenn Kinder und Jugendliche konzeptlos einer völlig überforderten Schulbürokratie ausgeliefert sind.

Lauterbach zählt Voraussetzungen für Lockerungen auf

Und so ging es weiter. Unermüdlich zählten SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin der Süddeutschen Zeitung, auf, unter welchen drei Voraussetzungen Lockerungen überhaupt zu verantworten seien: bis zu zwei Millionen Tests pro Woche, eine Tracing-App zum Nachverfolgen von Infektionsketten und medizinisch hochwertige Gesichtsmasken für mindestens 70 Prozent der Bevölkerung. Das vernichtende Fazit: Nichts von alledem ist zurzeit verfügbar.

Lauterbach hielt es so manches Mal nicht mehr im Sessel. Die Lockerungsdebatte sei tödlich. Voraussichtlich erst zwei Prozent der Bevölkerung hätten sich bislang mit dem Coronavirus infiziert. Eindringlich warnte er vor der Gefahr einer zweiten, viel stärkeren Infektionswelle. “Wir hatten in Deutschland das Glück, dass wir die furchtbaren Bilder aus Italien vorher gesehen haben. Wir waren nicht die ersten in der Katastrophe”, sagte der SPD-Politiker. Jetzt müsse man verhindern, dass die zweite Welle kommt. “Wir könnten das Glück, das wir hatten, wieder verspielen. Was wir jetzt machen, ist auf Kante genäht. Wenn die zweite Welle kommt, würde das der Wirtschaft noch mehr schaden.”

Lindner überzeugt die Krisenstrategie nicht mehr

Damit lieferte er das Stichwort für Christian Lindner. Der FDP-Chef brauchte etwas Zeit, ehe er die für ihn ungewohnte Rolle im Schatten des irrlichternden Armin Laschet annahm. Er sei von der Krisenstrategie nicht mehr überzeugt. Deshalb fordere auch er Lockerungen. “Mich überzeugt nicht, dass in Leverkusen ein Hotel geschlossen wird, weil es in Passau einen Corona-Fall gibt.” Natürlich könne es ein neues Infektionsgeschehen geben. Dann könne man aber regional wieder zu Schließungen zurückgehen. Es gehe auch um ausfallende Wertschöpfung. “Wer sich Sorgen macht um seine wirtschaftliche Existenz, nimmt Schaden an seiner Seele.”

Für Baerbock lag der Primat des Handelns nicht auf der Wirtschaft, sondern auf dem Ausgleich sozialer Härten. Man müsse Familien entlasten, die mit drei Kindern auf 50 Quadratmetern lebten, und Jugendliche, die nicht wüssten, wohin mit ihrer Kraft, sagte die Grünen-Politikerin. Mit Blick auf die geplanten Geisterspiele in der Fußball-Bundesliga fügte sie hinzu: “Es gibt so viele Randgruppen, die Lockerungen so viel nötiger hätten als Profi-Fußballer.”

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Was ist nun richtig? Forsch? Zu forsch? Wie ist die Aussicht für die nächsten Wochen und Monate? Hatte Merkel mit ihrer Einschätzung recht? “Ich teile die Ansicht der Kanzlerin”, sagte die studierte Biochemikerin Berndt. “Das ist zu forsch. Wir haben nichts abschließend erreicht.” Klar, die Infektionszahl sei gesunken. “Aber wir haben ja nicht wirklich etwas gewonnen. Wir sind zurzeit in der Bekämpfung Weltspitze. Es ist traurig zu sehen, wie wir das so leichtfertig wieder verspielen.”

Trübe Aussichten also - nicht nur für Armin Laschets politische Ambitionen.