Das große RätselnGroßbritanniens Infektionen sinken derzeit wieder – trotz Delta
Eigentlich könnten sich die Briten einfach freuen. Doch das traut sich noch keiner. Weil keiner das Phänomen ganz versteht: Die Zahl der gemeldeten positiven Corona-Tests ist deutlich gesunken statt wie erwartet gewachsen.
Sogar die Regierung und ihre Berater hatten in der vergangenen Woche die Erwartung geäußert, dass sich die Infektionsrate auf der Insel wegen der vorherrschenden Delta-Variante stetig und bedrohlich erhöht. Gesundheitsminister Sajid Javid war davon ausgegangen, dass die Zahl der gemeldeten täglichen Infektionen von den schon erreichten 50.000 Fällen im August auf über 100.000 steigen würde. Tatsächlich war die Zahl aber am Sonntag auf 29.000 gefallen. Warum?
Professor Paul Hunter, Covid-Experte der Universität von East Anglia, erklärte, es sehe nun „gut aus, zumindest für diesen Sommer“. Allerdings müsse man „noch ein paar Tage abwarten“, um zu sehen, welche Folgen die Aufhebung des Lockdowns zu Beginn der vergangenen Woche für England haben wird. Die Freiheit werde zweifellos für mehr Infektionen sorgen. Andererseits hätten die Schulferien begonnen, was das ausgleichen könne: „Ich bin guter Hoffnung, dass es nicht zu der mächtigen Zunahme an Infektionen kommen wird, die uns alle Welt verheißen hat.“
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Andere Forscher sind skeptischer. Sie verweisen darauf, dass die Zahl der Tests in jüngster Zeit leicht gesunken ist, was womöglich das Bild verzerre. Eine andere Vermutung geht dahin, dass die lange Hitzewelle mit der Verlagerung des Lebens nach draußen Ansteckungen reduziert.
Er befürchte, dass die Zahlen wieder steigen würden, meint der Edinburgher Epidemiologe Mark Woolhouse: „Es gibt bei uns noch immer mindestens acht Millionen Erwachsene, die keine einzige Impfdosis erhalten haben. Und dann sind da natürlich all die Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren.“ Das verschaffe dem Virus ein weites Wirkungsfeld.
Im Lager der Lockdown-Gegner haben die neuen Zahlen wiederum Hoffnungen geweckt, dass sich gegen die Pandemie auch ohne Lockdown, nur auf der Basis massenhafter Impfungen, ankommen lasse. Nach Berechnungen des Statistischen Amtes haben 92 Prozent aller Erwachsenen im Land Antikörper gegen Covid-19 – sei es nach einer Genesung oder durch mindestens eine Impfung.Sorge löst in der Regierung aber aus, dass immer weniger jüngere Leute bereit sind, sich impfen zu lassen. Zudem steigt die Zahl der Krankenhauspatienten weiter. Gegenwärtig werden täglich mehr als 900 Covid-Patienten neu eingeliefert. In manchen Städten stoßen Kliniken schon wieder an die Grenzen ihrer Kapazität.