- Die russische Kriegspropaganda-Maschine läuft auf Hochtouren.
- Fehlinformationen zielen darauf ab, die Unterstützung daheim für die Invasion zu stärken und die Entschlossenheit der Ukrainer zur Verteidigung zu schwächen.
- Experten meinen: Trotz allem gewinnt die Ukraine den Propagandakrieg
New York – Russlands Staatsmedien verbreiten Falschinformationen über den Aufenthaltsort des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – Beobachtern zufolge ein Versuch, den Widerstand gegen die russischen Invasoren zu brechen und die Unterstützung für die Ukraine rund um die Welt auszuhöhlen.
Ein kürzlich von der russischen Nachrichtenagentur Tass verbreiteter Artikel zitierte einen Moskauer Parlamentarier mit den Worten, Selenskyj habe Kiew „fluchtartig“ in Richtung Lwiw in der westlichen Ukraine verlassen – obwohl Fotos und Videoclips klar zeigen, dass er die Verteidigung seines Landes weiter von der Hauptstadt aus leitet.
Bildmaterial entlarvt Falschinformationen
Die falsche Behauptung ist eine von vielen Fehlinformationen der russischen Kriegspropaganda-Maschine, die darauf abzielt, die Unterstützung daheim für die Invasion zu stärken und die Entschlossenheit der Ukrainer zur Verteidigung zu schwächen. Es sind die gleichen Taktiken, die russische Propaganda-Kampagnen in der Vergangenheit genährt haben. Aber inzwischen gibt es die sozialen Medien, die Fehlinformationen postwendend und glaubwürdig mit Gegenbeweisen widerlegen können.
Videos und Fotos von Selenskyj in Kiew zählen zu den prägenden Bildern der Invasion, haben daheim und im Ausland einen Zusammenschluss gegen die Aggressoren gefördert und Russlands Versuch erschwert, die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen. Russland habe gehofft, mit den Meldungen über Selenskyjs Flucht seinen Status als ukrainischer Held zu untergraben, sagt Sarah Oates, eine Professorin an der University of Maryland in den USA, die auf das Studium russischer Propaganda spezialisiert ist.
Expertin: Ukrainer gewinnen den Propagandakrieg
Zugleich solle der Eindruck erweckt werden, dass – legitimen – Quellen von Nachrichten und Information nicht zu trauen sei. Aber die russische Propagandamaschine könne nicht mit den viralen Bildern des ukrainischen Widerstandes konkurrieren, sagt die Expertin. „Sie (Russland) strampeln sich ab. Sie haben das seit Jahrzehnten gemacht, und sie haben eine sehr gut geöltes Auslieferungssystem, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt funktionieren ihre Inhalte einfach nicht. Die Ukrainer mögen völlig unterlegen sein, was das traditionelle Militär betrifft, aber sie gewinnen den Propagandakrieg.“
Manche der populärsten Postings über Selenskyjs angebliche Flucht zielen klar auf ein internationales Publikum ab. Das Nachrichtenportal Sputnik hat übersetzte Versionen der Fluchtgeschichte verbreitet, nicht nur auf Englisch und Spanisch, sondern auch auf Portugiesisch und Vietnamesisch. Ein von Sputnik geschaffenes spanischsprachiges TikTok-Video ist mehr als 2,3 Millionen Mal aufgerufen worden. Trotz der Beweise für den anhaltenden Aufenthalt des Präsidenten in Kiew haben weder Sputnik noch Tass ihre Fehlinformation entfernt, zurückgezogen oder mit einer Korrektur versehen.
Informationskrieg auf verschiedenen sozialen Medien
Sie begann sich am vergangenen Freitag auf Twitter zu verbreiten, als George Papadopoulous, ein früherer Mitarbeiter des seinerzeitigen US-Präsidenten Donald Trump, in einer italienischen Publikation einen Link zu der falschen Behauptung postete. „Eil: Selenskyj ist, nachdem er gesagt hat, dass er die Ukraine nicht im Stich lassen werde, aus dem Land geflohen“, twitterte Papadopoulous, der wegen Lügen gegenüber dem FBI im Zuge der Ermittlungen in Sachen russische Einmischung in die Wahl 2016 eine Gefängnisstrafe verbüßt hat.
Dass Selenskyj sich abgesetzt habe sei nicht das einzige Narrativ, das Russland zu benutzen versuche, um den Kampfgeist der Ukrainer zu schwächen, sagt Roman Osadchuk, ein in der Ukraine ansässiger Experte für digitale forensische Forschung der US-Denkfabrik Atlantic Council. So hätten russische Militärangehörige versucht, die Behauptung zu verbreiten, dass die Ukrainer kapituliert hätten. Und in den ersten Tagen der Invasion veröffentlichte die Plattform Telegram einen angeblichen Aufruf von Selenskyj an das Volk, sich den Invasoren zu ergeben. Die Kampfmoral anzugreifen scheine für die Russen wirklich wichtig zu sein, sagt Osadchuk.
Russisches Staatsmedium RT in EU verboten
In der EU ist die Verbreitung der russischen Staatsmedien RT und Sputnik mittlerweile verboten, und auch eine Reihe von Unternehmen haben sie auf ihren Plattformen innerhalb der Staatengemeinschaft blockiert, so Meta, der Eigentümer von Facebook und Instagram, sowie TikTok und Google, der Besitzer von YouTube.
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TikTok, das mehr als eine Milliarde Nutzer weltweit aufweist, hat sich bislang im bisherigen Informationskrieg, der sich parallel zur Invasion abspielt, vielleicht zur führenden Front entwickelt, wie Ciarán O'Connor vom Londoner Institute for Strategic Dialogue sagt. TikToks lockerer Kurs bei der Content-Moderation im Vergleich zu Facebook oder YouTube habe es zu einem wirksameren Mittel zur Verbreitung von Fehlinformationen und Propaganda gemacht, sagt O'Connor, ein Experte, der Online-Desinformationen erforscht.
TikTok zieht in Russland Konsequenzen
TikTok hat indes mittlerweile eine Einschränkung seines Angebotes in Russland bekanntgegeben. Nutzer können demnach keine neuen Videos mehr hochladen und keine Livestreams mehr zeigen. Tiktok reagierte damit auf Änderungen am russischen Mediengesetz, denen zufolge Gefängnisstrafen für Äußerungen drohen, die von der offiziellen Darstellung des Krieges in der Ukraine abweichen. Man wolle weder russischen Beschäftigten noch Nutzer dem Risiko hoher Strafen aussetzen, teilte das Unternehmen, das einem chinesischen Konzern gehört, am Sonntag mit.
Kürzlich hat die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti einen TikTok-Videoclip mit Trumps jüngstem Lob für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hochgeladen. Der Ex-Präsident hatte den Kremlführer im Zusammenhang mit der Invasion als ein Genie bezeichnet. Das Video brachte es auf mehr als vier Millionen Aufrufe. (rnd, ap)