Eine optimale medizinische Behandlung ist in Deutschland längst nicht Standard. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Regierungskommission zur Krankenhausreform.
Experten-BerichtKrankenhausreform – Spezialisierung rettet Leben
Wenn es um Schlaganfälle geht, gilt „Time is brain“ – „Zeit ist Hirn“: Nur durch eine sehr schnelle und angepasste Diagnose und Therapie kann verhindert werden, dass bleibende Schäden im Gehirn entstehen. Ideal sind die Bedingungen dann, wenn die Betroffenen in ein Krankenhaus kommen, das über eine Stroke-Unit verfügt - eine auf akute Schlaganfälle spezialisierte Abteilung.
Doch eine optimale medizinische Behandlung ist in Deutschland längst nicht Standard, auch bei vielen anderen Erkrankungen nicht. Deshalb sterben in Deutschland jedes Jahr Tausende Menschen. Zu diesem Ergebnis kommt einer Untersuchung der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzten Regierungskommission zur Krankenhausreform, die am Donnerstag vorgestellt wurde.
Kämen tatsächlich alle Patienten in ein Krankenhaus mit einer Stroke Unit, könnten jedes Jahr fast 5000 Menschen mehr einen Schlaganfall überleben, rechnet die Kommission vor. In diesen Kliniken überleben den Angaben zufolge 24 Prozent der eingelieferten Patienten das erste Jahr nach dem Schlaganfall nicht.
In Häusern ohne Stroke-Unit sterben 30 Prozent der Betroffenen
In Krankenhäusern ohne Spezialabteilung sterben dagegen binnen eines Jahres knapp über 30 Prozent der Betroffenen. Und diese Kliniken gibt es zu Genüge: Nach den Daten der Kommission existierten 2021 insgesamt 1049 Krankenhäuser, die Schlaganfälle behandeln, aber gar nicht über die Spezialabteilung verfügen. Dagegen stehen 328 Kliniken mit Stroke-Unit.
Die Kommission hat auch die Frage beantwortet, wie sich die Wege für die Bevölkerung verlängern würden, wenn künftig alle Schlaganfall-Patienten ausschließlich in den Spezialabteilungen behandelt würden: Dann erhöhte sich die durchschnittliche Fahrzeit nur geringfügig, und zwar von 21,6 auf 23,4 Minuten.
Wegen der hohen Krankenhausdichte in Deutschland müssten „keine wesentlichen Einschränkungen der Erreichbarkeit in Kauf genommen“ werden, heißt es in der Studie.
Auch bei Krebspatienten sind die Aussichten deutlich besser, wenn die Behandlung in einem spezialisierten Zentrum vorgenommen wird. Derzeit werden der Analyse zufolge je nach Krebsart zwischen 35 Prozent (Bauspeicheldrüsenkrebs) und 84 Prozent (Brustkrebs) der Patienten in den von medizinischen Fachgesellschaften zertifizierten Zentren versorgt. Würde der Wert überall bei 100 Prozent liegen, könnten der Kommission zufolge über 20.000 Lebensjahre jährlich gerettet werden.
Auch hier hat die Kommission die Erreichbarkeit untersucht, wenn ausschließlich spezialisierte Zentren für die Behandlung zugelassen wären: Für Darm-, Brust- und Prostatakrebs würde die Anfahrt im Mittel 20 Minuten betragen, für Hirntumore etwas über 30 Minuten. Dies wäre unverändert exzellent im Vergleich zu europäischen Nachbarländern, so die Autoren.
Lauterbach fordert gute Bezahlung für Kliniken
Der Leiter der Regierungskommission, Tom Bschor, sagte, im gegenwärtigen System würden Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall und Krebs früher sterben als nötig, weil zu viele Krankenhäuser diese Behandlungen durchführten. Deutschland habe mit seiner „einzigartig hohen Dichte an Krankenhäusern“ ideale Voraussetzungen, auch mit einer Konzentration auf erfahrene Kliniken engmaschig eine exzellente Versorgung anzubieten, so der Experte.
„Qualität rettet Leben“, sagte Lauterbach, der sich bei seinen Reformideen bestätigt sieht. „Wir brauchen eine gute und schnell erreichbare Grundversorgung. Aber nicht jedes Haus muss auch jede medizinische Behandlung anbieten.“ Komplizierte Eingriffe sollten ausschließlich in spezialisierten Kliniken durch sehr gut qualifizierte Mediziner vorgenommen werden, forderte der SPD-Politiker. Im Gegenzug müssten die Kliniken gut bezahlt werden.
Lauterbach strebt über den Sommer konkretere Vorschläge für die Reform an. Die auch auf Empfehlungen der Kommission zurückgehenden Gesetzespläne sehen bundeseinheitliche Qualitätskriterien vor. Zudem soll das Vergütungssystem geändert werden, um von den Kliniken den ökonomischen Druck zu nehmen, möglichst viel zu operieren. Allerdings wollen die Länder den sehr weitgehenden Plänen Lauterbachs so nicht zustimmen, weil sie ihre Planungshoheit gefährdet sehen. (RND)