Fake News zu Astrid LindgrenWie Russland in Schweden Misstrauen schürt
Sie hängen an verschiedenen Stellen in Moskau, eine Ausgabe an einer Bushaltestelle vor der schwedischen Botschaft. Plakate, auf denen schwarz-weiße Bilder von Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, Filmemacher Ingmar Bergman und manchmal auch von dem einstigen König Gustav VI. Adolf zu sehen sind, daneben steht geschrieben: „Wir sind gegen Nazismus, die sind es nicht.“ Das „Wir“ ist in russischen Farben gefärbt, das „die“ in schwedischen. Inzwischen ist auf Schwedisch darüber gemalt: „Falsch“ und „Entschuldigung“.
Die Organisation „Unser Sieg“ hat die Plakate verteilen lassen. „Zuerst dachten wir alle: Das ist ein Witz, oder?“, sagt der schwedische Journalist Benjamin Ekroth, der für „Aftonbladet“ arbeitet, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Zuerst waren wir nicht verärgert, wir sind die Desinformationen und Propaganda aus Russland gewohnt“, sagt er, „aber dann wich dieses Gefühl der Unsicherheit.“
Russische Anti-Schweden-Propaganda wegen Nato-Beitritt
Seit Jahren versucht Russland, die nordischen Länder auf Abstand zu Nato und EU zu halten, was bisweilen auch gelang. Doch nun, nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, stehen Finnland und Schweden kurz vor dem Beitritt in die Nato. „Russland hat schon mehrere Drohungen ausgesprochen, ohne die Konsequenzen zu benennen. Aber nach dieser Schmierkampagne haben nun viele Schweden das Gefühl, nicht zu wissen, wie weit Russland gehen würde.“
Da viele Expertinnen und Experten sowie viele Menschen in Schweden einen Zusammenhang zwischen den Plakaten und den Beitrittsbemühungen zur Nato sehen, hat die Propaganda auch eine politische Dimension. Eine Sprecherin des schwedischen Außenministeriums sagte dem öffentlich-rechtlichen SVT: „In Russland wird der Vorwurf des Nazismus immer wieder gegen Länder und Einzelpersonen erhoben, die berechtigte Kritik an Russlands Handeln üben.“
Schwedens Regierung sieht Gefahr von ausländischer Beeinflussung
Ministerpräsidentin Magdalena Andersson sprach von einer „völlig inakzeptablen Vorgehensweise“. Ihr Volk müsse sich bewusst sein, dass es „Zielscheibe für Beeinflussungsaktionen ausländischer Mächte“ sein könne. „Die Gefahr besteht, dass ausländische Mächte versuchen, das schwedische Diskussionsklima zu beeinflussen“, zitiert „Expressen“ die Ministerpräsidentin.
Die Debatte um die Drohungen und Gefahren von Russland sei nach der Plakatierung in Moskau intensiviert worden. „Die Leute hier in Schweden wissen, dass Russland fast jeden, der gegen Russland ist, mit Nazi-Beschuldigungen belegt, und dass es vor und während der Invasion in der Ukraine auch diese Nazi-Beschuldigungen gegenüber der Ukraine gegeben hat“, sagt Journalist Ekroth. Gerade weil der illegale Einmarsch in der Ukraine von Russland mit einer angeblichen Entnazifizierung der Ukraine rechtfertigt wird, nimmt man die Aktion nun doch eher mit Sorge als Lachen wahr.
Russland will durch Fake News Misstrauen in der eigenen Bevölkerung schüren
Schweden und Russland haben seit Jahren kein gutes Verhältnis. Ein Forscherteam der Führungsakademie der Schwedischen Gesamtverteidigung hatte bereits 2020 herausgefunden, dass Schweden vor allem im Vergleich zu den Nachbarstaaten Dänemark, Norwegen und Finnland in russischen Medien schlecht abschneidet. „Schweden wird deutlich negativer abgebildet als die Nachbarn, während Finnland als positivstes Land beschrieben wird, gefolgt von Norwegen“, sagt Wissenschaftler Edward Deverell in einer Mitteilung der Universität.
Nun schürt Russland offenbar innerhalb der eigenen Bevölkerung Misstrauen gegenüber Schweden – die Plakate richteten sich nicht primär ans Ausland, sondern an die Menschen vor Ort. Zu lesen ist auf dem Plakat ein Zitat von Astrid Lindgren: „Ich würde lieber für den Rest meines Lebens ‚Heil Hitler!‘ rufen, als Russen hier in Schweden zu haben.“
Astrid-Lindgren-Zitat aus dem Kontext gerissen
Das Zitat ist korrekt, allerdings ohne Kontext wiedergegeben. Lindgren hatte an anderer Stelle geschrieben, dass sie es bedauere, dass niemand Hitler erschieße. Vollständig liest sich das Zitat aus dem Jahr 1940 so: „Ein geschwächtes Deutschland könnte für uns im Norden nur eins bedeuten – dass wir die Russen auf den Hals kriegen. Und dann, glaube ich, sage ich lieber den Rest meines Lebens ‚Heil Hitler‘, als den Rest meines Lebens die Russen bei uns zu haben.“
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Lindgrens Enkel Olle Nyman sagte gegenüber Sveriges Radio: „Die Plakate sind Teil einer absichtlichen Desinformationskampagne und haben nichts mit der Wahrheit zu tun.“ Christiane Lahusen vom Goethe-Institut in Stockholm sagte dem Deutschlandfunk, dass die Sowjetunion zu dieser Zeit vom schwedischen Bürgertum „als die größte Bedrohung gegen die liberale Gesellschaft gesehen“ wurde.
Bergman und Kamprad waren im Gegensatz zu Lindgren einst tatsächlich nicht abgeneigt von Nazi-Deutschland. Beide seien Hitler-Sympathisanten gewesen, erzählten sie jeweils in Interviews. Zu dem Bild von Bergman ist geschrieben, er habe ein Foto von Hitler über dem Bett hängen gehabt. Sowohl Bergman als auch Kamprad gaben an, gegen Kriegsende geläutert worden zu sein, als sie von den Konzentrationslagern erfuhren, schreibt der „Merkur“. Später sagte Bergman einmal: „Ich kann nicht begreifen, wie man heute noch mit Nazis sympathisieren kann.“
Schweden erwartet weitere und intensivere Kampagnen aus Russland
Wie die Propaganda zu werten ist, darüber ist man sich in Schweden aber noch nicht einig. Reine Provokation oder doch Drohung? Gegenüber „Aftonbladet“ sagten mehrere Sicherheitsexpertinnen und -experten, dass die Kampagne unbedenklich sei, aber nur der Auftakt sei von dem, was aus Russland im Zuge des Nato-Beitritts zu erwarten sei. Wilhelm Agrell, Professor für Geheimdienstanalyse, sagte etwa, dass Schweden noch eine deutlich „qualifiziertere Form der Einflussnahme“ erwarten müsse. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wie Sveriges Radio hingegen glaubt, dass allein das Aufgreifen der Propaganda durch zahlreiche Medien im In- und Ausland russischen Erfolg bedeute. In einem Kommentar ist von „maximaler Verbreitung minimaler russischer Propaganda“ zu lesen.
Immerhin: Die Volksheldinnen und -helden zweifelt man in Schweden nicht an. „Das Bild, das die Schweden von Astrid Lindgren haben, hat sich nicht geändert“, sagte Lisa Källström, die zu Lindgren geforscht hat, der Universität Malmö. „Aber wir müssen wachsam sein und weiterhin gegen die Unwahrheiten, die verbreitet werden, vorgehen. Aller Voraussicht nach wird es in Zukunft noch mehr Propaganda aus Russland geben.