Oben-ohne-Schwimmen auch für Frauen„Vermute, dass jemand ersten Schritt wagen muss“
Göttingen – Normalerweise ist es nur männlichen Badegästen erlaubt, in Badeanstalten mit freiem Oberkörper schwimmen zu gehen. In Göttingen ist das nun zumindest an den Wochenenden etwas anders: Ab Sonntag, 1. Mai, dürfen auch Frauen und queere Menschen mit blanken Brüsten baden gehen.
Testphaste bis zum 31. August
Im Badeparadies Eiswiese, in den Freibädern Brauweg, Weende und Grone können die Bikinioberteile ab sofort zu Hause bleiben. Die neue Regelung gilt für die Wochenenden. Bis zum 31. August will der Betreiber – die Göttinger Sport- und Freizeit GmbH – das neue Angebot testen und den Bedarf sowie die Reaktionen der Gäste beobachten.
Die Diskussion darum, welche Körper Brust zeigen dürfen und welche nicht, schlägt sogar international große Wellen. Wie nehmen die Badbesucherinnen und Badbesucher diese neue Freiheit an?
Im Badeparadies Eiswiese in Göttingen scheint am Sonntagvormittag alles wie gewohnt: Eltern und Großeltern planschen mit ihren Kindern im Kinder- und Kommunikationsbecken, während Senioren und junge Erwachsene im Sportbecken ihre Bahnen ziehen.
Alles wie immer also – wäre da nicht die Testphase. Doch auch wenn es theoretisch allen Geschlechtern erlaubt ist, das Schwimmbad mit freiem Oberkörper zu besuchen, sieht man am Vormittag des Maifeiertags nur männliche nackte Brüste.
Das sagen die Badegäste zur neuen Oben-ohne-Regel
„Wir wussten gar nicht, dass es ab heute gestattet ist“, sagt eine Frau, die zusammen mit ihrer Enkelin das Schwimmbad besucht und anonym bleiben möchte. Sie habe davon auf dem Weg zum Bad von einer Bekannten erfahren und sei etwas überrascht gewesen, habe aber nichts dagegen.
„Es muss jeder selbst entscheiden“, sagt sie. Sie selbst habe kein Interesse daran mitzumachen, aber sie sei die Freikörperkultur (FKK) vom jahrelangen Camping gewohnt. „Da war das immer locker vom Hocker“, sagt sie. Fahre man jetzt an die Ostsee, sei es auch ganz normal, dort blanke weibliche Busen zu sehen. Für sie mache es keinen Unterschied, ob die Brüste draußen am Strand oder drinnen in einem Schwimmbad zu sehen seien. Ihre Enkelin sei ebenfalls froh, dass man es sich aussuchen könne und dass Oben-ohne kein Muss sei.
Kritik an Oben-ohne-Erlaubnis: „Intimzone nicht zur Schau stellen“
Nicht begeistert ist Esther Hofmann: „Ich finde es nicht so toll, dass hier jetzt jeder oben ohne baden darf“, sagt sie. Sie ist der Meinung, dass es sich bei weiblichen Brüsten um eine Intimzone handele, die nicht zur Schau gestellt werden sollte.
„Ich verstehe nicht, warum da bei weiblichen Brüsten so ein Unterschied gemacht wird“, sagt Christian von Moltke, der an diesem Vormittag mit seinem kleinen Sohn zum Schwimmen geht. Ihn persönlich würde es nicht stören, denn er finde, dass diese Entscheidung jedem Menschen selbst überlassen sein sollte.
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„Es gibt auch füllige Männer mit etwas Brustansatz, da stört sich auch keiner dran“, sagt er. Heute habe er aber noch keine Frau oben ohne gesehen. Er schätze, dass am ersten Tag die Hemmschwelle noch zu hoch sei. Schließlich habe draußen vor dem Bad ein Kamerateam Besucher befragt. „Ich vermute, dass jemand den ersten Schritt wagen muss, damit sich andere trauen und nachziehen“, sagt von Moltke.
Göttinger Schwimmbäder: „Kein Raum für Belästigung“
Am Nachmittag ist es dann so weit: Sara Fietkau ist extra wegen der Wochenendregelung zum Baden in die Eiswiese gekommen und die Erste, die ihr Oberteil bewusst zu Hause gelassen hat. Die 28-Jährige gehört zum Göttinger Frauenforum, das sich stark für das Thema einsetzt. „Es ist natürlich nicht so schön, dass es nur am Wochenende ist und nur auf Probe, aber es ist ein Anfang, und wir hoffen, dass es auf positive Resonanz trifft und sich ausweitet“, sagt sie.
Fietkau freut sich, dass Göttingen durch die Aktion einen Vorbildcharakter habe. „So gehört sich das von einer linken Studi-Stadt“, sagt sie. Sie wünsche sich, dass das Badepersonal speziell für diese neue Thematik geschult wird.
Bäder sollen ein Safe-Space sein
„Es muss gewährleistet sein, dass die Bäder ein Safe Space sind und keinen Raum für Belästigungen bieten“, sagt Fietkau, die Gender-Studies studiert. Ihr Freund Tobi Bodmann begleitet sie zum Schwimmen: Er findet es gut, dass es nun die Wahlmöglichkeit gibt. „Sollen die Leute doch machen, was sie wollen, es nimmt ja niemand Schaden“, sagt er.
Auslöser für die Debatte war ein Vorfall im vergangenen Sommer als Mina Berger (Name von der Redaktion geändert) sich öffentlich gegen das erteilte Hausverbot des Göttinger Badeparadies Eiswiese wehrte. Die Begründung: Berger habe mit nicht bedeckten Brüsten gegen die aktuelle Badeordnung verstoßen. Über sich selbst sagte Berger, zwar „weiblich sozialisiert“ zu sein, sich selbst aber als „divers“ zu identifizieren.
Die Situation löste eine Diskussion zum Thema Gleichstellung und Sexualisierung von Frauen und weiblich gelesenen Personen aus. Kurz nach dem Vorfall gründete sich das Bündnis Gleiche Brust für alle. Auch das Göttinger Frauenforum sprach sich für diskriminierungsfreie Badebekleidung sowohl für Frauen, als auch für nicht binäre, intersexuelle und trans Menschen aus. Das Personal des Badeparadieses müsse geschult werden, um sexuelle Belästigungen zu verhindern, so Dagmar Freudenberg vom Frauenforum Göttingen. (rnd)