„Problematische Botschaft“Göttingen erlaubt Schwimmen „oben ohne“ nur am Wochenende
Göttingen – Nun ist es offiziell: Nach einer fast einjährigen Debatte hat sich der Göttinger Sportausschuss dazu entschieden, ab dem 1. Mai auch Frauen zu erlauben oberkörperfrei schwimmen zu gehen. Die Regelung gilt zunächst übergangsweise bis zum 31. August und nur am Wochenende.
Hintergrund ist der Fall einer nicht-binären Person, die im vergangenen Jahr in einem Göttinger Schwimmbad Hausverbot bekommen hatte, weil sie zwar als weiblich erschien aber kein Oberteil trug. Sie musste daraufhin das Bad verlassen, weil sie gegen die Badeordnung verstoßen habe. Das ist eine Ungleichbehandlung, argumentierte die Person, schließlich gelte die Regelung für Männer nicht. Unterstützt von dem Bündnis „Gleiche Brust für alle“ engagiert sie sich seither für eine Änderung der Göttinger Badeordnung.
Perspektive auf Frauenkörper ist entscheidend
Ob beim Stillen im Café, als Foto bei Instagram oder eben im Schwimmbad – wann und wie eine weibliche Brust sichtbar sein darf oder nicht, wird immer wieder heftig diskutiert. Laut Sexologin Ann-Marlene Henning liegt das an der Perspektive auf Frauenkörper: „Ob und wie der weibliche Körper sexualisiert wird, ist eine Frage kulturell-geprägten Bewertung. Und die verändert sich immer wieder im Lauf der Zeit“, so die Sexologin. „In den Achtzigern galten Frauen als spießig, die nicht oben-ohne schwimmen wollten. Da war die Bewertung eine ganz andere.“
Dass Frauen nun Hausverbot bekommen, wenn sie ohne Oberteil schwimmen gehen, läge daran, dass es bei der kulturellen Belegung viel um Scham und Unterdrückung der weiblichen Sexualität gehe. „Dass es in Göttingen jetzt zwei Tage gibt, an denen Frauen ohne Oberteil schwimmen gehen dürfen, impliziert ja auch: Die Frauenbrust ist so speziell, dass sie spezielle Tage haben muss. Das ist eine ziemlich problematische Botschaft“, so Henning. Auch werde die weibliche Brust an Wochentagen ja nicht mehr oder weniger sexualisiert.
Debatte über weibliches Selbstbestimmungsrecht
Bei der Debatte über die Sichtbarkeit weiblicher Brüste geht es auch immer um das weibliche Selbstbestimmungsrecht. „Männer haben auch Nippel und Haare auf der Brust – das sind sexuelle Merkmale. Aber sie müssen ihren Oberkörper im Schwimmbad nicht bedecken, Frauen schon. Über Frauen wird einfach bestimmt“, sagt Henning.
Das wird besonders in feministischen Kreisen heftig kritisiert. Unter Hashtags wie #FreeTheNipple oder #gleichebrustfüralle Kämpfen Aktivistinnen und Aktivisten für Gleichbehandlung. Der Tenor: Können wir bitte endlich aufhören weibliche Nippel zu sexualisieren? Die Überzeugung dahinter: Wenn Frauen weniger sexualisiert würden, könnten sie freier leben.
Ann-Marlene Henning erklärt das anhand der Frage um gemeinsame Toiletten. Denn ein häufiges Argument für getrennte Toiletten sei, dass Frauen Schutzräume bräuchten. „Warum können sich Männer nicht benehmen? Warum ist es immer wichtig, Frauen zu schützen? Weil die Gesellschaft darauf ausgelegt ist, dass man sich Frauen ,nehmen kann´. Auch sexuell. Wenn es das nicht gäbe, dann bräuchte man keine Schutzräume mehr“, so Henning.
Normalisierung statt Pornokultur
Dass die weibliche Brust in unserer Kultur eben sexualisiert wird und man nichts dagegen tun könne, greife zu kurz. „Es gibt Völker auf der Welt, die zeigen, dass es auf jeden Fall möglich ist, die weibliche Brust nicht dauerhaft zu sexualisieren. Hier bei uns scheint das durch die Pornokultur ja fast unmöglich zu sein.“
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Dass soviel über die Sexualisierung der weiblichen Brust diskutiert wird, könnte daran liegen, dass sich die Brust in der Pubertät sichtbar entwickle. Viele Mädchen erleben schon bevor sie sich als Frau fühlen, dass ihre Brüste durch Blicke oder Berührungen sexualisiert werden. „Wir leben in einer Zeit, in der alles sexuell ist. Vielen ist es aber zu viel und sie versuchen deshalb alles Mögliche zu tun, um das Sexuelle zu verdecken“, erklärt Henning.
Das passiere einerseits durch Verbote, aber auch individuell. „Durch die Pornokultur, Instagram, Filme und Gesellschaft ist eine neue Keuschheit entstanden, die sich gegen das ganze Zuviel an Sexualisierung richtet. Es gibt mittlerweile zum Beispiel Schülerinnen und Schüler, die nach dem Sport in Unterwäsche duschen“, so Henning. „Durch diesen ganzen Overload an sexuellen Botschaften ziehen sich manche so zurück und sagen: Das ist meine Intimsphäre.“
Wichtig sei es für eine Normalisierung zu sorgen: „Wenn man merkt, es ist ganz normal oben ohne am Strand zu liegen, machen das viele andere auch“, sagt die Sexologin. Immerhin sei es in Saunen auch ganz normal nackt zu sein. „Und ich meine: Nackt schwimmen ist doch der Hammer. Alles kann sich frei bewegen.“