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Harvard-Professor über Trump„Das ist die dritte Zutat in diesem Krisencocktail“

Lesezeit 8 Minuten
Proteste_Washington_Militärpolizei

Militärpolizisten fixieren einen Demonstranten auf einer Straße in der US-Hauptstadt Washington. Während der Proteste gegen den Tod von George Floyd hat US-Präsident Donald Trump erwogen, reguläre Truppen gegen demonstrierende Bürger einzusetzen.

  1. Seit Tagen protestieren in den USA Tausende gegen Polizeigewalt, Rassismus und anhaltende Ungleichheit.
  2. Warum die Wut gerade jetzt hervortritt und wieso Donald Trumps Taktik scheitern könnte, im Wahlkampf davon zu profitieren, erklärt Harvard-Politologe Daniel Ziblatt.
  3. Ein Interview mit einem Mann, der sich in seinen düsteren Vorahnungen über Trumps autoritäre Tendenzen bestätigt fühlt.

In seinem international viel beachteten Buch „Wie Demokratien sterben” hat der US-Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt beschrieben, dass demokratische Gesellschaften nicht immer mit einem lauten Knall wie einem Putsch abgeschafft werden. Immer wieder werden sie auch von Extremisten und Populisten ausgehöhlt, denen sich niemand in den Weg stellt.

Die USA als Beispiel einer ausgehöhlten Demokratie

Als aktuelles Beispiel machte der Harvard-Professor, der sich auf „Demokratie und Demokratisierung” sowie die Politik Westeuropas seit dem 19. Jahrhundert spezialisiert hat, den US-Präsidenten Donald Trump aus – und warf dessen republikanischer Partei vor, seinen autoritären Tendenzen nicht entgegenzutreten.

Professor Ziblatt, in dieser Woche waren die USA im Ausnahmezustand: Nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch Polizisten protestierten in fast allen größeren Städten Tausende auf den Straßen, oft kam es zu Ausschreitungen. Was treibt die Demonstranten an – allein der Protest gegen Polizeirassismus?

Der Vorfall in Minneapolis war nur der Auslöser. Es hatte direkt vor dem Tod von George Floyd mehrere rassistische Übergriffe in den USA gegeben, die ein großes Thema waren. Vor allem aber hat sich über Jahre großer Frust aufgebaut über die unverhältnismäßige Gewalt gegenüber Afroamerikanern durch die Polizei. Und es gibt tiefe Unzufriedenheit über die Benachteiligung der Schwarzen, die bis zu den Ursprüngen der USA zurückreicht.

Sowohl Polizeigewalt gegen Schwarze als auch Demonstrationen dagegen gab es auch während Barack Obamas Amtszeit. Warum scheint die Härte der Proteste und Unruhen nun so viel größer?

Das liegt an der Kombination mehrerer Krisen: Zur Rassismusfrage kommt Corona, das sowohl eine Gesundheits- als auch eine Wirtschaftskrise ausgelöst hat. Es gibt Belege dafür, dass Afroamerikaner von beidem überdurchschnittlich stark betroffen sind. Viele Demonstranten haben gar keine parteipolitische Motivation, ihnen geht es nicht nur um Donald Trump, sondern um ihr tägliches Leben und welche Erfahrungen sie darin machen.

Warum konnte die Politik die Lage nicht beruhigen?

Das ist die dritte Zutat in diesem Krisencocktail: Rasse und Politik sind ohnehin hochgradig polarisierte Felder in den USA, vor allem weil die Republikaner eine sehr weiße Partei sind und die Demokraten inzwischen eine sehr bunte. So trifft die Wut über den Rassismus, die Sorge um die Gesundheit und den eigenen Job auf eine hochgradig polarisierte Politik in einem Wahljahr.

Es gehen also doch vor allem Trump-Gegner auf die Straße?

Das schon. Daten zeigen, dass die Proteste am heftigsten sind, wo Covid-19 am heftigsten zugeschlagen hat – was zugleich die am dichtesten bewohnten Großstadtgebiete sind, die traditionell eher für die Demokraten stimmen. Aber – und das ist ein großer Unterschied zu den Rassenunruhen der 60er-Jahre, mit denen die Proteste oft verglichen werden – heute protestiert eine sehr breite Koalition: Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, von Weißen mit hohem Einkommen bis zu abgehängten Afroamerikanern.

Trump

US-Präsident Donald Trump

In Ihrem Buch „Wie Demokratien sterben” beschreiben Sie, dass diese starke Polarisierung schon vor Trump bestand – aber seinen Wahlsieg ermöglichte. Wenn nun vor allem die „Regenbogen-Koalition” demonstriert, die einst Obama zum Präsidenten wählte – heißt das nicht auch: Die andere Hälfte ist nach wie vor entschlossen, Trump wiederzuwählen?

Grundsätzlich schon. Zum dreifachen Krisencocktail kommt durch Trump eine vierte Zutat: sein gezielter Versuch, die Unruhen weiter zu eskalieren und für seinen Wahlkampf auszunutzen. Es ist offensichtlich, dass er sich im Taktikhandbuch von Richard Nixon bedient – Trumps Satz „Ich bin der ‘Law-and-Order-Präsident’” ist direkt von Nixon übernommen. Weil viele Wähler die Krawalle von 1968 ablehnten, gewann damals der Republikaner Nixon, der sich als harter Hund gab. Es ist aber nicht sicher, dass das Trump auch gelingen wird.

Was spricht dagegen?

Erstens ist er der Amtsinhaber, Nixon war 1968 der Herausforderer. Wenn man als Außenseiter antritt und auf den Straßen herrscht Chaos, kann man – wie damals Nixon – versprechen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Aber Trump ist als Amtsinhaber ja bereits dafür verantwortlich. Sicher, seine Rhetorik findet Anklang bei bestimmten Teilen seiner Basis. Er riskiert aber auch, dass die Leute sich fragen: Halten wir das wirklich vier weitere Jahre durch? Wir haben die Corona- und die Wirtschaftskrise, Unruhen auf den Straßen – und Trump wirkt einfach unfähig, all das zu bewältigen. Seine Zustimmungswerte sinken bereits.

Und zweitens?

Die US-Gesellschaft hat sich seit 1968 liberalisiert. Die Amerikaner haben in den letzten 25 Jahren eine inklusivere Sicht auf Rassenfragen entwickelt. In Umfragen hält eine klare Mehrheit die Proteste für gerechtfertigt. Das dürfte sich aber ändern, wenn die Gewalt nicht aufhört. Gewalt und Plündereien führen dazu, dass die Wähler sich auch von den Anliegen der Proteste abwenden. Das würde dann Trump nützen. Wobei man sagen muss, dass ein Teil der Eskalation von der Polizei ausgeht.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Trump vom ersten Tag seiner Kandidatur demokratische Grundwerte ablehnte und Tendenzen zum Autoritären zeigte. In dieser Woche ließ er nun legal und friedlich Protestierende mit Gewalt und Tränengas vertreiben – und drohte damit, das Militär gegen die Demonstranten einzusetzen. Könnte er Ernst damit machen?

Ich habe immer gewarnt, dass es ein Fehler wäre, seine Worte nicht ernst zu nehmen. Die Warnsignale, dass er Verfassung und Demokratie nicht respektiert, waren von Anfang an da – und seit Amtsantritt zeigt sich, dass er oft genauso autoritär war, wie er versprochen hatte. Allerdings wurde er doch immer gezügelt: von der demokratischen Opposition, von Leuten in seinem Kabinett, von Gerichten.

Nur hat er im Lauf der Zeit viele der Zügel abgeschüttelt.

Ja – auch, indem er kritische Berater und Minister rauswarf und sich zunehmend isolierte. So wurde er immer unberechenbarer. Wenn Trump nun ein 200 Jahre altes, nahezu vergessenes Gesetz entdeckt hat, mit dem er das Militär gegen die Bevölkerung einsetzen kann, muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Man kann nur hoffen, sein Umfeld kann ihm klarmachen, dass sich so etwas schlecht auf seinen Wahlkampf auswirken würde.

Sie haben aufgezeigt, dass die republikanische Partei nie ihre Chancen nutzte, den Aufstieg des Demagogen Trump zu verhindern. Erwarten Sie angesichts der neuen Tabubrüche jetzt Widerworte? Könnte die Partei sogar seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten überdenken?

Dafür gibt es keine Anzeichen. Wenn man mit Trump-kritischen Republikanern spricht, hört man nur Resignation – und die Hoffnung, dass Trump im November verliert und die Partei sich für 2024 ganz neu aufstellen kann.

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Warum erwarten Sie bis dahin keinen Widerstand der Republikaner?

Wie schon im Wahlkampf denkt die Parteiführung noch immer, Trump kontrollieren und für ihre Zwecke einsetzen zu können. Und inzwischen ist sie auch selbst zu tief in die Trump-Regierung verstrickt. Dass es nicht einmal genügen republikanische Stimmen für eine Zeugenanhörung im Amtsenthebungsverfahren gab, zeigte auch, wie zahnlos die parlamentarische Kontrolle des Präsidenten sein kann. Die letzte große Kontrolle hat am Ende nur der Wähler, der ihn ultimativ zügeln könnte: durch Abwahl.

Was, wenn Trump eine Niederlage nicht akzeptiert? Davor warnen inzwischen nicht nur seine linken Gegner, sondern etwa auch die seriöse „Washington Post”. Die These: Fox News würde ihn als Propagandasender stützen, der konservative Oberste Gerichtshof ebenfalls – und die bewaffneten Trump-Fans, die jüngst schon wegen der Corona-Lockdowns in einigen Bundesstaaten die Parlamente stürmten und Politiker bedrohten. Sehen Sie die Gefahr, dass Trump einfach nicht abdankt?

Nicht wirklich. Sicher, die Wahrscheinlichkeit ist bei ihm sicher größer als bei jedem Präsidenten der letzten 100 Jahre vor ihm. Schon im Wahlkampf gegen Hillary 2016 wollte er sich nicht darauf festlegen, dass er auch eine Niederlage anerkennen würde. Wahrscheinlich würde er Zweifel am Wahlergebnis anmelden und mit Fälschungsvorwürfen hantieren – er spricht ja schon jetzt ständig davon.

Klingt beunruhigend.

Trotzdem befürchte ich eher, dass es zu dezentralen, lokalen Übergriffen und Unruhen kommen kann, wenn Trump nicht eindeutig unterliegt. Dass diese bewaffneten Trump-Fans Ärger machen, wenn er von Wahlfälschung spricht. Wegen Corona könnte es einen hohen Anteil Briefwähler geben, sodass das Endergebnis in der Wahlnacht noch nicht feststeht, sodass zwischen November und der Amtseinführung im Januar eine unruhige Zeit auf uns zukommen könnte.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass Trump das Weiße Haus einfach nicht verlässt? Selbst seriöse Politiker wie der demokratische Kongressabgeordnete David Cicilline warnen schon: „Wir waren einer Diktatur nie näher.”

Zwei Gedanken sind beruhigend: Trump war bisher am wichtigsten, den Eindruck des Handelns zu wecken. Er verspricht zum Beispiel, eine Mauer zu Mexiko zu bauen, legt aber nie einen echten Plan für die Umsetzung vor. Es ist also eine gewisse Ebene der autoritären Inkompetenz, die die USA bisher vor Schlimmerem bewahrt hat. Und auch in dieser Woche hat sich etwas Gutes gezeigt.

Im Ernst?

Ja, als Trump damit drohte, das Militär gegen Demonstranten einzusetzen, haben ihm sowohl sein amtierender Verteidigungsminister Mark Esper als auch dessen Vorgänger James Mattis und etliche pensionierte Admirale und Generale widersprochen.

Und das hat immerhin auch einige Republikaner zu Kritik ermutigt.

Eben. Zugleich sagt es viel über unser Land aus, dass nur pensionierte Militärs die Verfassung zu verteidigen bereit sind – ein Muster, das wir aus fragilen Demokratien kennen. Aber, Stand jetzt, wissen wir zumindest: Falls Trump wirklich mit dem Gedanken gespielt hat, seine Macht mithilfe der Armee abzusichern, wird das militärische Establishment dieses Spiel nicht mitspielen.