Hubertus Heil im Interview„Lassen Menschen mit geringen Einkommen nicht im Stich“
- Hubertus Heil spricht im Interview über Kurzarbeit in der Wirtschaftskrise, die Bürgergeldreform und das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung.
Herr Heil, der Regelsatz im Bürgergeld für einen Alleinstehenden soll künftig 502 Euro im Monat betragen. Könnten Sie persönlich davon leben?
Heil: Das Bürgergeld ist die neue Grundsicherung. Mit der größten Erhöhung, die es je gab, wird der Regelsatz auf 502 Euro angehoben. Damit sichern wir den Menschen wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben das Existenzminimum, aber eben auch nicht mehr. Ich weiß, dass das nicht viel Geld ist. Aber neben dem Regelsatz werden auch die Miete und, sehr wichtig in diesen Zeiten, die Heizkosten übernommen.
Sind Sie sicher, dass der neue Regelsatz die Menschen in der Grundsicherung über das nächste Jahr trägt – oder müssen Sie gegebenenfalls mit weiteren Hilfen nachsteuern?
Das Bürgergeld wird, anders als Hartz IV, der Inflation nicht mehr hinterherlaufen. Das ist in Zeiten rasanter Preissteigerungen wichtig. Beim Thema Entlastungen nehmen wir knapp 100 Milliarden Euro in die Hand, um den Menschen zu helfen. Diese Entlastungen müssen jetzt ihre Wirkung entfalten. Wenn wir im kommenden Jahr nachsteuern müssen, werden wir das tun. Dabei haben wir immer die gesamte Gesellschaft im Blick: Bedürftige Menschen brauchen unsere Hilfe, genauso wie Geringverdiener, die nicht in der Grundsicherung sind. Wir unterstützen die einen wie die anderen – ohne die Menschen gegeneinander auszuspielen.
Tun Sie für diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, aber nur wenig verdienen, bereits genug in Zeiten der Energiekrise?
Wir lassen Menschen mit geringen Einkommen nicht im Stich. Zum 1. Oktober erhöhen wir den Mindestlohn auf zwölf Euro, das ist für viele die größte Gehaltserhöhung, die sie je bekommen haben. Wir bauen das Wohngeld aus, so dass künftig zwei Millionen Menschen profitieren. Und wir entlasten Geringverdiener von Sozialversicherungsbeiträgen, damit Arbeit sich lohnt. Aber vor allen Dingen werden wir die Wurzel des Übels anpacken, indem wir Strom- und Gaspreise dämpfen, die Putin als Waffe gegen uns einsetzt. Auf Grundlage der europäischen Vorschläge wollen wir es in diesem Winter rasch schaffen, die Strompreise zu deckeln. Beim Gas wollen wir gemeinsam mit Wirtschaft und Gewerkschaften bis Ende Oktober Lösungen finden.
Bei der Konzertierten Aktion mit Wirtschaft und Gewerkschaften im Kanzleramt ging es auch um das Angebot der Bundesregierung, Einmalzahlungen von Unternehmen an die Arbeitgeber steuer- und sozialabgabenfrei zu stellen. Wird dieses Modell ein Erfolg?
Unser Versprechen ist: Wenn Unternehmen ihren Beschäftigten eine Einmalzahlung bis zu 3000 Euro gewähren, werden darauf weder Steuern noch Sozialabgaben fällig. Unternehmen sollten das nutzen, wo immer es geht. Gleichzeitig ist klar: Wir müssen gezielte Wirtschaftshilfen organisieren für die Unternehmen, die wegen gestiegener Produktionskosten oder fehlender Nachfrage in Schieflage geraten.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnt vor einer Rezession. Mit welchen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt rechnen Sie in den kommenden Monaten?
Wir haben den Arbeitsmarkt bis jetzt robust durch die Krise gebracht, in vielen Branchen herrscht sogar Fachkräftemangel. Deshalb führen wirtschaftliche Probleme nicht mehr automatisch zu deutlich höherer Arbeitslosigkeit. Unternehmen tun heute viel, um ihre Beschäftigten auch in einer Krise zu halten. Dabei helfen wir, indem wir den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld verlängern. Kurzarbeit kann und wird einen wichtigen Beitrag leisten, um uns am Arbeitsmarkt auch durch diese Krise zu bringen.
Schon in der Corona-Pandemie sind Milliarden in die Kurzarbeit geflossen. Reicht das Geld der Bundesagentur für Arbeit dafür aus oder wird der Bund unterstützend eingreifen?
Wenn die wirtschaftliche Krise weiter eskalieren sollte, stehen wir mit der Kurzarbeit an der Seite der Beschäftigten und der Unternehmen. In diesem Fall werde ich mit dem Bundesfinanzminister selbstverständlich über Geld reden. Die Bundesagentur für Arbeit wird jederzeit handlungsfähig bleiben. Wenn es darauf ankommt, sind wir da.
Die Schuldenbremse darf dann auch nicht im Weg stehen, oder?
Wir haben als Koalition das Ziel vereinbart, die Schuldenbremse einzuhalten und den Haushalt entsprechend aufgestellt. Die Frage, ob es gelingt, die Schuldenbremse im kommenden Jahr einzuhalten, entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern die wirtschaftliche Lage.
Sie haben das Thema Fachkräftemangel angesprochen. Arbeitgebervertreter warnen, das Bürgergeld lade zur Nicht-Arbeit ein. Was sagen Sie dazu?
Das ist falsch.
Warum?
Das Ziel der Bürgergeldreform ist nicht, Bedürftigkeit zu verwalten. Ganz im Gegenteil. Es geht darum, Menschen dauerhaft aus der Arbeitslosigkeit zu holen und so einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Hartz IV war zu sehr darauf angelegt, sie in Hilfstätigkeiten zu vermitteln – egal in welche. Im Ergebnis sieht das Jobcenter viele dieser Menschen oft einige Monate später wieder. Mit dem Bürgergeld setzen wir mit einem Zuschlag von monatlich 150 Euro einen starken Anreiz, dass die Menschen ihren Berufsabschluss nachholen und so dauerhaft in Arbeit kommen.
Es soll beim Bürgergeld, wie auch bei Hartz IV, Sanktionen geben, wenn Mitwirkungspflichten verletzt werden. Hat sich hier die FDP durchgesetzt?
Man muss sich mit der Lebensrealität von Menschen in der Grundsicherung auseinandersetzen. Mancher hatte einfach Unglück im Leben, mancher hat gesundheitliche Beeinträchtigungen. Alleinerziehende Frauen sind viel zu oft auf Grundsicherung angewiesen, weil es in Deutschland noch immer nicht ausreichend Kinderbetreuung gibt. Es geht um Hilfe und Ermutigung, um Menschen in Arbeit zu bringen. Für die wenigen, die das ausnutzen, gilt: Auch das Bürgergeld kennt Leistungsminderungen. Wenn jemand immer wieder seine Termine versäumt, wird auch die Leistung gekürzt. Gleiches gilt für die, die sich dauerhaft verweigern und keine Arbeit aufnehmen wollen. Und das ist auch richtig so.
Bekommen die Jobcenter die Reform wirklich von Tag eins an umgesetzt – oder braucht es praktisch eine Übergangszeit?
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern machen einen tollen Job. Die Reform wird es ihnen einfacher machen, den Menschen zu helfen. Das Bürgergeld wollen wir definitiv zum 1. Januar 2023 einführen. Schon allein deshalb, weil wir zu diesem Zeitpunkt den neuen Regelsatz brauchen. Bestimmte Teile der Reform, die die Arbeitsweise in den Jobcentern betreffen, werden wir phasenweise umsetzen. Das wird ein halbes bis ein ganzes Jahr dauern.
Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Woche festgestellt, dass Beschäftigte ein Recht auf Erfassung ihrer Arbeitszeit haben. Erfasst der Arbeitsminister, wie viele Stunden er arbeitet?
Nein, aber da kommt schon einiges zusammen. Wir haben im Arbeitsministerium ein System zur Arbeitszeiterfassung, um die körperliche und psychische Gesundheit unserer Beschäftigten zu schützen. Das ist aber nicht für den Minister vorgesehen, der nicht abhängig beschäftigt ist.
Müssen Unternehmen ohne Arbeitszeiterfassung nun zügig nachrüsten, um nicht gegen geltendes Recht zu verstoßen?
Das Bundesarbeitsgericht hat ein Grundsatzurteil gefällt, das sehr weitreichende Folgen hat. Welche Konsequenzen sich daraus im für den Gesetzgeber ergeben, prüfen wir gerade. Danach werde ich Vorschläge für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung machen.
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Es geht darum, zu verhindern, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebeutet werden oder sich selbst ausbeuten und damit ihre Gesundheit gefährden. Aber keine Angst: Wir werden vernünftige Lösungen finden, die in der betrieblichen Wirklichkeit handhabbar sind.
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Bitte gedulden Sie sich ein bisschen. Ich werde Vorschläge machen, die Flexibilität ermöglichen und die praxisnah sind.
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Mobile Arbeit bietet eine Menge Chancen, sie darf aber nicht zur vollständigen Entgrenzung der Arbeit ins Privatleben führen. Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein. Ich werde einen neuen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten im kommenden Jahr vorlegen.