Mit zunehmender Gleichberechtigung wächst der Hass auf Frauen: Die Autorin und Journalistin Susanne Kaiser beobachtet mit Sorge, wie männliche Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit, im Netz und auch in der Beziehung zunimmt. Im Interview erklärt sie, warum Männer der Misogynie verfallen.
Interview zu Frauenhass„Gewalt gegen Frauen ist eine Reaktion auf zunehmende Gleichberechtigung“
Susanne Kaiser, Frauen erkämpfen sich immer mehr Gleichberechtigung – und trotzdem nehmen Frauenhass und Gewalt gegen Frauen zu. Wie kann das sein?
Susanne Kaiser: Wir erleben einen Backlash: Männliche Gewalt gegen Frauen ist eine Reaktion auf die zunehmende Gleichberechtigung. Auf der einen Seite beobachten wir einen Wahnsinnsaufstieg von Frauen, Mädchen wachsen mit dem Gedanken auf, dass sie alle sein können: Fußballspielerin, Kanzlerin, Chefin. Aber gleichzeitig gibt es seit Jahren eine riesige Gegenbewegung: Trump wird trotz seiner sexistischen Aussagen zum Präsidenten gewählt, in den USA das Recht auf Abtreibung verboten, in Ländern wie Schweden eine feministische Regierung von einer rechten abgelöst. Und das, was in der Politik abläuft, hat großen Einfluss auf die Öffentlichkeit und den häuslichen Bereich: Misogyne Haltungen und Gewalt gegen Frauen nehmen zu.
In Ihrem neuen Buch „Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen“ haben Sie sich mit den vielfältigen und erschreckenden Formen dieser Gewalt beschäftigt. Welche sind für Sie besonders besorgniserregend?
Ich würde vor allem die Onlinegewalt hervorheben: Hasskommentare, Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien finden wir in großer Zahl in allen Social-Media-Plattform. Davon sind vor allem Frauen betroffen, die in ehemaligen Männerdomänen vertreten sind: Politikerinnen und Fußballkommentatorinnen zum Beispiel. Dieser konstante Hass hat dramatische Konsequenzen: Studien zufolge will sich jede zweite Frau nicht mehr online äußern. Schon gar nicht über ihre politische Meinung. In Beziehungen erleben wir zudem, dass häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen zunimmt. Auch das zeigt: Die feministischen Errungenschaften in der Gesellschaft werden von Männern oft als Kontrollverlust wahrgenommen – und folglich versuchen sie, das zu Hause rückgängig zu machen.
Gleichberechtigung ist doch für eine Gesellschaft sehr erstrebenswert. Warum nehmen das so viele Männer als Kontrollverlust wahr?
Weil viele der althergebrachten Männlichkeitskonzepte so stark an Kontrolle gebunden sind. Viele Männer haben schon von klein auf gelernt, dass sie die Entscheidungen treffen und anderen – vor allem Frauen – überlegen sein müssen. Wir haben das Patriarchat zwar de facto auch noch nicht überwunden, aber Männer verlieren zunehmend ihre Privilegien und ihre führende Rolle. Und das geht für viele folglich mit einem gesellschaftlichen Kontrollverlust einher. Und gleichzeitig werden Männlichkeitsideale, mit denen viele Männer aufgewachsen sind, zunehmend infrage gestellt.
Darunter vor allem die toxische Männlichkeit.
Genau. Immer mehr Jungs lernen, dass sie die Grenzen von Mädchen und Frauen akzeptieren müssen und dass es okay ist, zu weinen, rosa zu mögen oder Ballett zu tanzen. Das steht alles natürlich stark im Kontrast zur toxischen Männlichkeit, die Männern dieses starre Korsett aus Muskeln, Härte, niemals weinen und keinen Zugang zu den eigenen Gefühlen haben aufzwingt. Aber auf der anderen Seite lebt unsere Kultur – Fußballvereine, Deutschrap, Filme und Serien – immer wieder Alphamännlichkeitstypen als Ideal vor, die genau diese Werte verkörpern. Jungs wachsen somit mit sehr ambivalenten Erwartungen an Männlichkeit auf.
Was macht das mit Jungen?
Das kann zu einer großen Verunsicherung führen. Die Welt ist ohnehin schon so komplex und wir alle müssen unsere Rolle darin finden. Ich stelle es mir sehr schwierig vor, als Junge mit so vielen verschiedenen Männlichkeitsbildern konfrontiert zu sein und dabei eine Wahl treffen zu müssen. Das Problem ist, dass die Vertreter der toxischen Alphamännlichkeit – zum Beispiel der Frauenhasser Andrew Tate – jungen Männern im Netz eine einfache Lösung für dieses Dilemma bieten: Männer müssten Kontrolle über Frauen haben, immer stark sein und könnten dann weiterhin die Privilegien genießen, die auch schon ihre Großväter und Väter hatten. Das ist für verunsicherte Männer mitunter einfacher und attraktiver, als alte Männlichkeitsideale zu hinterfragen.
Und das wirkt sich auch auf ihr Frauenbild aus: Auf Tiktok teilten einige Jungs und junge Männer 2021 in der sogenannten „Femizid Challenge“ Videos, in denen sie grauenhafte Tötungsfantasien an Frauen äußerten. Die Videos bekamen teils Hunderttausende Likes, vorwiegend von männlichen Usern.
Ich glaube, dass das interessanterweise nicht unbedingt absichtlich und böse gemeint war, sondern vor allem eine unbewusste Haltung ist. Einige finden diese Videos sogar lustig – und das zeigt, wie Gewalt gegen Frauen in unserer Kultur normalisiert und verharmlost wird. Genau das wird uns auch immer wieder medial vermittelt: Die allermeisten Pornos zeigen keinen einvernehmlichen Sex, Frauen werden darin gedemütigt und unterworfen. Die Filme des Regisseurs Quentin Tarantino sind für ihre brutale Darstellung Gewalt gegen Frauen bekannt. Und in Serien wie „You“ wird Stalking als etwas romantisches dargestellt.
Gewalt gegen Frauen erleben wir also quasi überall – und doch mangelt es an Konsequenzen. Verschließen wir unsere Augen davor?
Ja, auch was vergewaltigte Frauen angeht. Wir reden nicht darüber, dass der Sex in Pornos nicht einvernehmlich ist – und das, obwohl Kinder und Jugendliche schon früh damit in Berührung kommen und mit etwa 15 Jahren zu regelmäßigen Konsumenten werden. Auch die stark unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männern werden nicht ausreichend aufgearbeitet. Im Club würde sich ein Mann wahrscheinlich wenig Gedanken um sein offenes Getränk machen, aber eine Frau muss Angst haben, dass ihr jemand K.O.-Tropfen reinmischt. Frauen sind ständig damit beschäftigt, sich vor Gefahren wie Vergewaltigung zu schützen. Das ist auch der Grund, warum so viele Frauen True-Crime-Filme schauen: Sie erhoffen sich damit, zu lernen, wie sie sich in Gefahrensituationen verhalten können.
Die Anzeigebereitschaft bei häuslicher und sexueller Gewalt nimmt bei Frauen zu, prominente Frauenhasser wie Andrew Tate müssen sich wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung vor Gericht verantworten. Sehen Sie darin schon erste Erfolge bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen?
Ich bin da ehrlich gesagt noch zögerlich. Gerade die Corona-Pandemie hat einige der Probleme noch verstärkt, zum Beispiel haben die Fälle häuslicher Gewalt noch weiter zugenommen. Die Anzeigebereitschaft wächst, aber leider auch die Dunkelziffer an Fällen, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Andrew Tate wurde zwar erst von vielen Social-Media-Plattformen gebannt, jedoch auf Twitter vor einiger Zeit wieder entsperrt – und seine Anhänger teilen seine Inhalte immer noch auf sämtlichen Plattformen. Selbst im Gefängnis schreibt er immer noch regelmäßig Newsletter. Und Männer wie Cristiano Ronaldo und Johnny Depp, denen Misshandlung und Vergewaltigung vorgeworfen wird, werden immer noch von vielen Männern als Alphamänner und Helden gefeiert. Diese Entwicklungen stimmen mich nicht optimistisch.
Was muss also passieren, damit Frauenhass und Gewalt gegen Frauen endlich abnimmt?
Das ist gar nicht leicht zu beantworten, denn wir haben diese fiese Dynamik, dass bei zunehmender Gleichberechtigung auch die Gewalt gegen Frauen wächst. Klar ist: Wenn immer mehr Frauen traumatisiert sind und sich nicht mehr politisch beteiligen wollen oder können, ist das für eine Gesellschaft und Demokratie sehr schlecht. Wir brauchen also zunächst mehr repressive Maßnahmen, denn Gewalt gegen Frauen und Frauenhass werden viel zu oft nicht geahndet – sei es in der Öffentlichkeit auf der Straße, im Internet oder in den eigenen vier Wänden. Und gleichzeitig sind präventive Maßnahmen wichtig. Am besten setzt man hier schon in Kitas und Schulen, also so früh wie möglich an. Gewalt in Beziehungen, Frauenhass, Toxische Männlichkeit: Diese Themen müssen einfach zu einem Bildungsinhalt werden, damit Kinder und Jugendliche nicht mehr mit diesen misogynen Haltungen aufwachsen.