Berlin – In Neuruppin ausgepfiffen, in der internationalen Presse nach wegen des Abbas-Besuchs heftig gescholten, daheim Chef einer Koalition im Dauerstreit - und an diesem Freitag erreicht ihn auch der Cum-Ex-Skandal schon wieder: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) muss sich derzeit durch schwierige Wochen kämpfen. Wenigstens im Kampf gegen Inflation und Energiepreis-Wut will er nun die Flucht nach vorn antreten. Ein Überblick.
Wutwinter und Volkszorn
Wie heiß wird der Herbst, wie wütend der Winter? Dass die Frage den Kanzler umtreibt, wie heftig die Proteste gegen die hohen Lebensmittel-, Sprit- und Heizkosten ausfallen werden, zeigte Scholz oft. Bereits in seiner Sommer-Pressekonferenz am vorigen Freitag hatte er ein drittes Entlastungspaket angekündigt, das Bedürftige, aber auch Mittelschicht vor Härten bewahren soll. Und als er bei einer Veranstaltung mit Bürgern im brandenburgischen Neuruppin auf lautstarke Gegendemonstranten stieß, übertönte er Pfeifkonzert und „Hau ab“-Sprechchöre mit der Ankündigung, in den nächsten Tagen ein weiteres Paket zur Entlastung vorzustellen.
Noch sind die Demonstranten überwiegend dem Kreis der notorischen „Volksverräter“- und „Lügenpresse“-Krakelern zuzurechnen. Doch die Linke hat bereits angekündigt, im Herbst auch Massenprotesten gegen soziale Ungerechtigkeiten der Regierungspolitik zu starten. „Gelbwesten“-Proteste nach französischem Vorbild könnten folgen.
Energiekrise
In einem Punkt trat Scholz bereits an diesem Donnerstag die Flucht nach vorn an: Er verkündete die Senkung der Mehrwertsteuer auf den gesamten Gasverbrauch. Damit soll die gesamte Gasumlage, die bereits für heftigen Protest gesorgt hatte, ausgeglichen werden. Dennoch zählt die Energiekrise zu den Themen, die den Kanzler um den Schlaf bringen dürften: Zwar müssen Privathaushalte keine Angst haben, vom Gas abgeklemmt zu werden.
Es ist gesetzlich klar geregelt, dass zuerst die Industrie dran ist. Aber wenn Teile der Industrie wirklich gestoppt werden müssen, werden danach alle auf Scholz zeigen: Hat er genug getan, das abzuwenden? Eine Verlängerung der Atomkraft kann er deshalb nicht leichtfertig ausschließen - was für neuen Ärger sorgen wird.
Was tun gegen Inflation?
Die Kosten steigen überall - vom Supermarkt bis zu Bus und Bahn. Der Kanzler weiß, dass er gegensteuern muss. Doch woher soll das Geld dafür kommen? Im nächsten Jahr will die FDP die Schuldenbremse einhalten. In diesem Jahr könnte der Staat zusätzliche Kredite aufnehmen - dagegen hat aber FDP-Finanzminister Lindner rechtliche Vorbehalte.
Zudem dürfe man die Deutschen nicht zu einer „Gratismentalität“ erziehen, findet die FDP. Der Staat könne nicht alles ausgleichen. Bei SPD und Grünen hat man aber noch viele Ideen, was der Staat alles ausgleichen soll. Scholz muss das regeln - ohne die Ampel zu gefährden.
Instabile Ampel
Als die Koalition sich zusammentat, verkündete Scholz noch: Es gehe nicht mehr um den kleinsten gemeinsamen Nenner. Jede Partei müsse den anderen auch eigene Erfolge gönnen. Vorbei, vorbei. Spätestens seit dem Umfragehöhenflug der Grünen und den Landtagswahl-Verlusten der FDP geht es wieder ums eigene Profil - vor allem der FDP.
Ob Corona-Politik, Atomkraft, Übergewinnsteuer, 9-Euro-Ticket und auch der Umgang mit dem Ukraine-Krieg: Immer wieder stellen sich die Liberalen gegen die Wünsche von SPD und Grünen. Ob Scholz der FDP inhaltlich näher steht oder ob er weiß, dass seine Kanzlerschaft von deren Gnaden abhängt: Der Kanzler verteidigt sie - und riskiert dafür Fliehkräfte auf der Gegenseite. Ob die Grünen etwa auch noch eine Atom-Verlängerung schlucken würden?
Kommunikation und Auftreten
Eine hausgemachte Krise: Scholz und seine Kommunikation. Dass er der Holocaust-Relativierung von Palästinenserpräsident Abbas nicht sofort widersprach, brachte Scholz im In- wie Ausland schlechte Presse - und warf neues Licht auf seine alte Schwäche: zum richtigen Zeitpunkt das richtige zu sagen.
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Offenbar arbeitet er zwar daran: Bei seiner Sommer-PK war er freundlich, lächelte viel - rutschte aber dennoch in alte Muster ab und quittierte unangenehme Fragen mit Ein-Wort-Antworten und „schlumpfigem Grinsen“ (Markus Söder über Scholz). Schon sein Ukraine-Kurs war davon geprägt, dass ihn die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen konnte. Liefert Deutschland nun gern Waffen oder bewusst langsam? Woran hakt es? Welche Sicherheitsgarantien gibt Deutschland der Ukraine? Er KÖNNTE das erklären, sagt Scholz selbst. (rnd)