„Kaltblütig und empathielos“Putins perfider Afrika-Plan mit der Getreideknappheit
Seit mehr als drei Monaten wütet der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Zehntausende Menschen sind Putins Bomben, Raketen und Kugeln bereits zum Opfer gefallen. Millionen anderen droht ebenfalls der Tod – allerdings nicht im Kriegsgebiet, sondern in den ärmsten Regionen der Welt.
Der Grund: Hunger. Die Ukraine gilt als „Kornkammer der Welt“, durch den Krieg kam der Export von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl aber größtenteils zum Erliegen – mit massiven Konsequenzen für die globale Nahrungsmittelversorgung. Für Russland-Experte Gerhard Mangott ist klar: Das ist kein Zufall, sondern die perfide Strategie von Kremlchef Wladimir Putin.
„Russland provoziert Getreideknappheit“
„Russland provoziert Getreideknappheit und hohe Lebensmittelpreise als asymmetrische Antwort auf die Sanktionen des Westens“, sagt der Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Um die Entwicklung weiter anzufeuern, greife Moskau auch bewusst Getreidelager in der Ukraine an. Das große Ziel hinter der Strategie: die Inflation im Westen weiter anzuheizen, um so Unzufriedenheit in der westlichen Bevölkerung zu schüren und die Kriegsmüdigkeit zu verstärken, so Mangott.
Experte: ausgelöstes Leid kümmert Putin nicht
Doch damit nicht genug. „Durch steigenden Nahrungsmittelpreise sollen in armen Staaten soziale Unruhen und damit verbundene politische Instabilität angefacht werden.“ Vor allem in Afrika verfolge der Kreml ein Kalkül: „Neue starke Flüchtlingsströme in Richtung EU“, sagt der Russland-Experte. Davor warnte auch bereits der ehemalige deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch. „Mit Flüchtlingsströmen will er (Putin) Europa destabilisieren und politischen Druck aufbauen, damit westliche Staaten ihre harte Haltung gegen Russland aufgeben“, sagte der Diplomat dem „Tagesspiegel“ im Mai. „Das ist seine neue hybride Kriegsführung.“
Mitgefühl sei beim Kremlchef dabei nicht zu erwarten, betont Mangott. „Wir müssen uns Putin als kaltblütigen und empathielosen Herrscher vorstellen“, sagt er dem RND und wird dabei deutlich: „Das durch die russische Strategie ausgelöste Leid kümmert ihn sicherlich nicht. In manchen Regionen der Welt soll geradezu Leid entstehen.“
Somalia bezieht 85 Prozent aus Russland und der Ukraine
Auch wegen des Krieges in der Ukraine warnen die Vereinten Nationen (UN) vor einer Verschlimmerung der Hungerkrise in Teilen der Welt. In Äthiopien, Nigeria, dem Südsudan, Jemen, Afghanistan und Somalia gilt bereits die höchste Hungerwarnstufe. Vor allem in Somalia, das 50 Prozent seiner Weizenimporte aus der Ukraine und 35 Prozent aus Russland bezieht, macht sich die Nahrungsmittelkrise extrem bemerkbar. Laut UN steht das Land vor einer historischen Hungerkatastrophe.
Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trägt Putin daran eine Schuld. „Lebensmittel sind nun zu einem Teil des Terrorarsenals des Kremls geworden“, sagte sie. In Russland gilt noch bis Ende Juni ein Exportstopp für Getreide. Parallel unterbindet Moskau die Ausfuhr von etwa 22 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine vor allem nach Nordafrika und Asien, indem es die Schwarzmeerhäfen das Landes blockiert.
Streit um Seekorridor für ukrainische Getreideexporte
Der russische Außenminister Sergej Lawrow machte kürzlich bei einem Türkei-Besuch die Ukraine selbst für die Blockade verantwortlich. Ähnlich äußerte sich zuvor Präsident Putin bei einem Treffen mit der Afrikanischen Union (AU). Sowohl der Kremlchef als auch sein Außenminister zeigten sich aber offen für einen sicheren Export ukrainischem Getreides über das Schwarze Meer, etwa über den Hafen von Odessa. Bedingung: Die Ukraine muss die Seeminen vor der Küste entfernen. Kiew traut den Moskauer Zusagen allerdings nicht.
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Zurecht, wie Russland-Experte Mangott betont. „Den Worten Putins und Lawrows ist nicht zu trauen“, sagt er dem RND. „Wenn die Ukraine die Minen entfernt, steigt das Risiko einer russischen maritimen Militäroperation gegen Odessa.“ Weiter seien auch die daraus für Kiew folgenden Einnahmen durch den Getreideverkauf ein „unerwünschter Nebeneffekt“ für den Kreml.
Agrarexpertin fordert „Getreide-Nato“
Um die Ausfuhr des ukrainischen Getreides auch unabhängig von einem Seekorridor sicherstellen zu können, fordert Agrarexpertin Bettina Rudloff von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) die internationale Staatengemeinschaft zum Handeln auf. Es müssten „dringend und schnell“ alle Alternativen ausgeschöpft werden, um auch die Lagerung und den Transport der neuen Ernte zu fördern, sagt sie dem RND. „Man könnte die Ukraine etwa mit zusätzlichen Waggonkapazitäten unterstützen, Grenzübertritte beschleunigen und mobile Lagersilos für die Felder bereitstellen.“
Rudloff bringt zudem die Gründung einer „Getreide-Nato“ ins Spiel, in der große Agrarakteure kooperieren. Diese könnte sich etwa durch den Verzicht von Exportrestriktionen sowie durch Nahrungs- und Düngemittelhilfen auszeichnen, in der die Mitglieder „eine eigene Versorgungslösung unabhängig von Russland verfolgen“. (rnd)