Kommentar zum „Super Tuesday“Die Auferstehung des Joe Biden im US-Wahlkampf
- Bei den demokratischen Vorwahlen in 14 Bundesstaaten der USA hat der ehemalige Vizepräsident Joe Biden teils spektakuläre Erfolge erzielt.
- Das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur verengt sich nun auf ein Duell zwischen Biden und dem linken Senator Bernie Sanders.
- Der Elder Statesman Biden wäre der bessere Kontrast zum Wüterich Donald Trump, kommentiert Karl Doemens.
Washington – Erst Favorit, dann Außenseiter, dann Shootingstar – und das alles in wenigen Wochen: Wohl selten hat ein Präsidentschaftsbewerber in den USA eine derart atemberaubende Achterbahnfahrt hingelegt wie Joe Biden.
Mit zweistelligem Vorsprung führte der ehemalige Vizepräsident bei allen Umfragen lange die Kandidatenriege der Demokraten an. Dann stürzte er bei den Vorwahlen in Iowa und New Hampshire ab, hatte kein Geld mehr und schien politisch erledigt. Doch am „Super Tuesday”, dem Mammut-Abstimmungstag in 14 Bundesstaaten, ist dem 77-Jährigen eine fulminante Auferstehung gelungen (lesen Sie hier mehr).
Joe Biden gewinnt Staaten von Bernie Sanders
Noch sind nicht alle Wahlbezirke ausgezählt. Doch die Tendenz ist eindrucksvoll: Biden hat in der Mehrzahl der Staaten gewonnen, er hat überall massiv gegenüber den Prognosen zugelegt, und ihm ist es gelungen, einen Staat wie Minneapolis, der vor vier Jahren noch klar an den linken Senator Bernie Sanders gefallen war, für sich zu gewinnen.
Dass der bei Latinos beliebte Sanders die Mehrheit im bevölkerungsreichen Kalifornien holen würde, war erwartet worden. Eine kleine Sensation ist aber, dass Biden in Texas mit seinem innerparteilichen Rivalen mindestens gleichzog.
Für Mike Bloomberg zahlt sich das Investment nicht aus
Sanders oder Biden, lautet nun die Schicksalsfrage der US-Demokraten. Nachdem mehr als ein Drittel der Delegiertenstimmen vergeben sind, hat sich der einstige Massen-Wettstreit um die Rolle des Trump-Herausforderers auf ein Duell verengt. Das ist sehr schade und auch unfair gegenüber der linken Senatorin Elizabeth Warren, die für die wohl inhaltlichste und ernsthafteste Kampagne am „Super Tuesday” nicht belohnt wurde.
Es ist jedoch ein demokratischer Triumph mit Blick auf den Multimilliardär Michael Bloomberg, dessen beispielloses 500-Millionen-Dollar-Werbebombardements nicht den gewünschten Effekt hatte.
Sanders predigt seit vier Jahrzehnten die gleiche Botschaft
Nun haben nur noch Sanders und Biden eine realistische Chance auf die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten. Ideale Besetzungen sind beide nicht, schon weil sie als Männer in den oberen Siebzigern kaum die Vielfalt der demokratischen Wählerschaft verkörpern. Der griesgrämige Alt-Revoluzzer Sanders predigt seit vier Jahrzehnten die immer gleiche Botschaft gegen soziale Ungleichheit und die Herrschaft der Konzerne.
Seine unbeugsame und rigorose Art kommt bei den Jungen in den USA gut an, die vom kapitalistischen System enttäuscht sind. Doch die revolutionäre Rhetorik dürfte mindestens so viele strukturkonservative Wähler im Mittleren Westen und den Vorstädten verschrecken und die Polarisierung des zerrissenen Landes noch weiter verstärken.
Auch Pete Buttigieg verhalf Biden zu Rückenwind
Als gesellschaftlicher Versöhner nach den Jahren unter Donald Trump scheint Biden deutlich besser geeignet. Doch so beeindruckend die persönliche Lebensgeschichte des einstigen Obama-Vize ist, so nostalgisch und kraftlos fielen lange seine Auftritte auf, bei denen man stets fürchten musste, dass die Sätze im Nirwana enden.
Die massive Unterstützung, die Biden zuletzt auch von ehemaligen Wettbewerbern wie Beto O’Rourke, Amy Klobuchar und Pete Buttigieg erhielt, wirkte daher eher wie der verzweifelte Versuch, aus dem zersplitterten moderaten Kandidatenfeld zumindest einen Bewerber als Bollwerk gegen Sanders zu stabilisieren.
Der bessere Kontrast zu Donald Trump
Doch die Strategie scheint aufgegangen zu sein. Die Nachwahlbefragungen des „Super Tuesday” deuten darauf hin, dass sich ungewöhnlich viele Wähler erst in den letzten Tagen für Biden entschieden haben. Parallel dazu hat der frühere Vizepräsident mächtig an Energie, Kampfesgeist und rhetorischer Disziplin zugelegt. Es wirkt, als habe ihm der Erdrutschsieg von South Carolina einen regelrechten Adrenalinschub verpasst.
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Den wird Biden auch brauchen. Und dazu jüngere Gesichter in seinem Umfeld. Und ein Programm, das über die Obama-Nostalgie hinausgeht. Derzeit ist offen, ob er sich gegen Sanders durchsetzen kann. Mit seiner freundlichen Empathie, der persönlichen Integrität und der Verkörperung bürgerlicher Werte böte der Elder Statesman den besseren Kontrast zum Amtsinhaber Trump.