Steckt hinter dem Korruptionsfall im EU-Parlament kriminelle Energie Einzelner oder ein Fehler im System? So oder so: Die Abgeordneten müssen jetzt Aufklärung betreiben und Transparenzlücken schließen, findet Steven Geyer.
Fehler im System?Das EU-Parlament braucht jetzt starke Signale gegen Korruption
Was sich an diesem Wochenende rund um das Europaparlament entfaltet hat, ist kein dünner Anfangsverdacht – eher ein Korruptionskrimi um Geldwäsche, Bestechlichkeit und Auslandskontakte, dessen dickes Ende erst noch kommen dürfte.
Deshalb ist es zwar richtig, auf die Unschuldsvermutung hinzuweisen, wenn es um die Vorwürfe gegen die griechische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Eva Kaili, und vier weitere Verdächtige aus dem EU-Parlament geht, sie hätten sich vom Emirat Katar schmieren lassen. Doch die belgischen Behörden ermitteln seit Monaten und dürften sich nicht leichtfertig für die Festnahme einer so hochrangigen EU-Vertreterin entschieden haben.
Man muss also davon ausgehen, dass ein Golfstaat mit reichlich Geschenken und noch mehr Geld versucht hat, politische und wirtschaftliche Entscheidungen der EU zu beeinflussen. Wie erfolgreich das war, gehört zu den Fragen, die juristisch, aber auch politisch geklärt werden müssen: Das Parlament muss jetzt all seine aktuellen Befassungen mit Katar genau darauf überprüfen.
Etliche Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees mittlerweile der Korruption überführt
Wohlgemerkt, dass sich der umstrittene Gastgeber der laufenden Fußball-WM der Bestechung schuldig gemacht hat, haben die Ermittler offiziell noch nicht einmal als Verdacht geäußert. Überraschend wäre es aber nicht: Allein im Zusammenhang mit der WM wurden etliche Mitglieder jenes Fifa-Exekutivkomitees, das 2010 das Turnier nach Katar vergab, mittlerweile der Korruption überführt.
Ob eine Bestätigung der Berichte vom Wochenende, dass die Scheichs es mit der EU auf dieselbe Art versuchten, dem Image der katarischen Diktatur weiteren Schaden zufügen könnte, ist allerdings fraglich. Schon ihr Plan, die Aufmerksamkeit der Welt auf ihr Fußballfest zu lenken, nicht aber auf Menschenrechtsverletzungen, unterdrückte Meinungsfreiheit und ihre Weltsicht, mit Geld ließe sich alles regeln, ging ja schwer nach hinten los.
Anders verhält es sich beim EU-Parlament. Die Mehrheit der über 700 Abgeordneten gibt sich gern als Kämpfer gegen Korruption – auch in den EU-Mitgliedsstaaten – und hat sich inzwischen vorbildliche Lobbyismus- und Transparenzregeln auferlegt. Auch die WM-Vergabe an Katar haben die Europaparlamentarierinnen und ‑parlamentarier gerade erst wegen der Korruptionsvorwürfe kritisiert.
Europaparlament muss Konsequenzen aus dem Fall ziehen
Umso verheerender für das Ansehen des EU-Parlaments ist die kriminelle Energie von fünf Einzelpersonen, die aber offenbar bis ins Präsidium reichte. Selbstverständlich muss die politische Karriere von Vizepräsidentin Kaili zu Ende sein, sobald sich die Vorwürfe bestätigen. Es ist erstaunlich, dass diese Frage am Wochenende überhaupt noch diskutiert wurde.
Doch auch das Europaparlament insgesamt muss Konsequenzen aus dem Fall ziehen. Es darf sich weder auf der Tatsache ausruhen, dass die infrage stehende Korruption längst strafbar ist und es ja nur um Einzelfälle geht, noch auf seiner vorbildlichen Lobbyismusregulierung. Vielmehr müssen darin bestehende Lücken geschlossen und etwa die Offenlegungspflichten auch auf Drittstaaten ausgeweitet werden, die Einfluss auf die EU-Politik nehmen wollen.
Häme und Spott aus Ungarn
Denn natürlich nahmen die EU-Verächter inner- und außerhalb Europas den Fall Kaili sofort zum Anlass, der EU Heuchelei vorzuwerfen. Besonders hämisch reagierte am Wochenende die ungarische Regierung, die sich gerade einen hitzigen Machtkampf mit der EU-Kommission liefert, in dem es um Korruption und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn geht. Viktor Orban dürfte sich über die Meldungen aus Brüssel ausgelassen gefreut haben.
Schon deshalb muss vom Europaparlament jetzt ein starkes Signal dafür ausgehen, dass es auch in den eigenen Reihen mit Korruption aufräumt. Nur so kann es seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen.