Beim Reformgipfel will Karl Lauterbach am Donnerstag seine „Revolution“ in der medizinischen Versorgung vorstellen. Lässt sich das System noch retten?
Die große Krankenhausreform Was Lauterbach plant und wie sich das auswirken wird
Wenn Karl Lauterbach über eigene Projekte spricht, dann oft in Superlativen: Die geplante Krankenhausreform sei nichts weniger als eine Revolution, sagte der Bundesgesundheitsminister Anfang Dezember bei der Vorstellung des Konzeptes der von ihm eingesetzten Regierungskommission. Künftig sollten sich Patientinnen und Patienten wieder darauf verlassen können, dass medizinische und nicht ökonomische Gründe ihre Behandlung bestimmten. „Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben“, so der SPD-Politiker.
Am Donnerstag will Lauterbach erstmals mit den Gesundheitsministern und -ministerinnen der Länder sowie mit Vertretern der Ampelkoalition über die Reform beraten. Ein Überblick über die Lage und die Pläne: Wie ist die aktuelle Lage im Kliniksektor? In Deutschland stehen knapp 1900 Krankenhäuser mit rund 483 600 Betten für die medizinische Versorgung zur Verfügung (Stand 2021). Dort arbeiten 1,4 Millionen Menschen. Wichtige Kennzahlen weisen auf eine Misere hin: Rund 60 Prozent der Kliniken schreiben derzeit rote Zahlen. Die durchschnittliche Bettenauslastung beträgt 68 Prozent – mit anderen Worten: Jedes dritte Bett steht leer.
Wie werden die Krankenhäuser finanziert?
Sie erhalten Geld aus zwei Quellen: Die Kosten für Investitionen in Gebäude oder technische Geräte sollen von den Ländern getragen werden. Die laufenden Betriebskosten, also insbesondere die Gehälter des Personals, übernehmen die Krankenkassen über die viel kritisierten Fallpauschalen. Schon der erste Teil funktioniert jedoch nicht, weil die Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. So betrug der Investitionsbedarf beispielsweise für 2020 nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) mehr als 6 Milliarden Euro.
Die Länder stellten aber nur 3 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Missverhältnis besteht schon seit Jahren. Die Kliniken behelfen sich damit, dass sie die Kassengelder auch für Investitionen „zweckentfremden“. Das ist erlaubt, aber nicht im Sinn der Sache.
Wie funktionieren die Fallpauschalen?
Bis zur Einführung der „diagnosebezogenen Fallgruppen“ – englisch: Diagnosis Related Groups (DRG) – vor etwa 20 Jahren bekamen die Krankenhäuser eine Pauschale für jeden Tag, den eine Patientin oder ein Patient in der Klinik war. Das sorgte regelmäßig dafür, dass Patienten freitags aufgenommen und erst montags wieder entlassen wurden, obwohl es an Wochenenden selten geplante Behandlungen gibt.
Damit gab es in Deutschland sehr lange Liegezeiten – und hohe Kosten. Die Fallpauschalen sollten mehr Effizienz bringen. Sie bilden typische Kosten für einen bestimmten Eingriff ab, wobei zusätzliche Faktoren wie weitere Krankheiten sowie Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. Mit den Pauschalen sind alle Kosten einer Behandlung abgegolten, also auch die Pflege nach einer Operation. Was ist falsch an den Fallpauschalen? Im komplizierten Zusammenspiel mit anderen Faktoren haben sie zu einer Reihe von Fehlentwicklungen geführt, weil die Kliniken aus nachvollziehbaren Gründen ihre Finanzlage optimieren.
Das heißt: Sie akquirieren möglichst viele gut honorierte Fälle – mit möglichst geringen Kosten. Das funktioniert aber insbesondere in der Pä di a trie nicht, weil es bei Kindern im Gegensatz zu Erwachsenen kaum planbare Eingriffe wie Rücken- oder Kniegelenk-OPs gibt, sondern Not- und Akutfälle überwiegen. Die Folge: Die Zahl der Pädiatriebetten ist zwischen 1991 und 2020 um rund 43 Prozent gesunken.
In den Abteilungen für Erwachsene passierte Folgendes: Ärzte zum Operieren wurden eingestellt, gleichzeitig sparten die Kliniken bei den Pflegekräften. Motto: Ärzte bringen Geld, Pfleger kosten nur. Bereits 2020 wurde dieses Pro blem entschärft, indem die Pflegekosten aus den DRGs herausgelöst wurden. Sie werden seitdem extra bezahlt. Das Grundübel blieb jedoch bestehen: Geld können die Kliniken eigentlich nur verdienen, wenn sie ihre Behandlungskapazitäten weitgehend ausnutzen und möglichst viel operieren.
Was ist schlecht daran, wenn viel operiert wird?
Deutschland steht bei vielen Eingriffen im internationalen Vergleich auf vorderen Rängen. 2020 wurden zum Beispiel 294 Implantationen künstlicher Hüftgelenke je 100 000 Einwohner durchgeführt. Das ist weltweit Spitze. Der Durchschnitt in den Industriestaaten ist nur halb so hoch. Das lässt sich weder mit dem Alter noch mit dem Gesundheitszustand der Bevölkerung erklären. Klar ist in jedem Fall: Eine Operation ist kein Allheilmittel und birgt stets zugleich auch Risiken, die bei einer schonenden Behandlung nicht bestehen. Nach Ansicht von Experten ist jede fünfte in Deutschland implantierte Hüftprothese überflüssig.
Welchen Vorschlag hat die von Lauterbach eingesetzte Kommission vorgelegt?
Die Kommission will nicht nur die Finanzierungsgrundlagen ändern, sondern zugleich die gesamte Krankenhauslandschaft in Deutschland umkrempeln. Während heute das Prinzip „Alle machen überall alles“ gilt, soll es bundesweit eine viel klarere Struktur geben, gestaffelt in Versorgungsstufen. Die Spitze bilden als „Maximalversorger“ die Universitätskliniken und umfassend ausgestattete Krankenhäuser, die alle Fachbereiche sowie Intensivmedizin und Notfallversorgung anbieten (Level III). Es folgen Krankenhäuser, die sich auf bestimmte Fachbereiche spezialisiert haben (Level II).
Auf der untersten Ebene sollen zwei Typen entstehen: erstens Kliniken, die eine Basisversorgung in der Chirurgie und der Inneren Medizin anbieten und auch über einige Intensivbetten und eine Notaufnahme verfügen; zweitens Krankenhäuser, bei denen die Allgemeinmedizin und die Pflege im Vordergrund stehen, etwa durch die Bereithaltung von Akutpflegebetten. Zusätzlich soll gesetzlich vorgeschrieben werden, welche personellen und technischen Mindestanforderungen für das Angebot bestimmter medizinischer Leistungen erfüllt werden müssen. Beispiele: Krebspatienten dürfen nur dann behandelt werden, wenn es sich um zertifizierte Krebs zen tren handelt. Wer Schlaganfallpatienten versorgt, muss zwingend mit einer hoch spezialisierten Einrichtung („Stroke-Unit“) ausgestattet sein.
Was soll mit den Fallpauschalen passieren?
Sie sollen bleiben, aber durch eine weitere Komponente ergänzt werden: Die Kliniken sollen neben den Fallpauschalen Geld allein dafür bekommen, dass sie Behandlungskapazitäten bereithalten – unabhängig von der Zahl der behandelten Fälle. Weil das insbesondere in der Notfallmedizin, bei der Geburtshilfe und der Neonatologie notwendig ist, soll hier der fixe Anteil 60 Prozent betragen, ansonsten 40 Prozent. Durch die Vorhaltepauschalen entfällt der Anreiz, die vorgehaltenen Kapazitäten zum Beispiel durch viele Hüft- oder Kniegelenk-OPs auszulasten.
Ist das Konzept schlüssig?
Auffällig ist, dass es von den Akteuren im Gesundheitssystem zwar Kritik an Details gibt, die grundsätzliche Richtung aber begrüßt wird. Das ist eher selten in der Gesundheitspolitik. Tatsächlich werden viele der jetzt vorgelegten Reformvorschläge bereits seit Jahren von Experten diskutiert. Auch international geht der Trend in Richtung klarer Strukturen mit mehr Zen tra li sie rung und Spezialisierung.
Kann Lauterbach das Konzept auch umsetzen?
Ärztepräsident Klaus Reinhardt sagte kürzlich, nicht die Reformvorschläge an sich seien eine Revolution. Die gäbe es erst, wenn Lauterbach sie auch umsetze. Dafür braucht der Minister alle Bundesländer, denn die Krankenhausplanung ist Ländersache. Diese haben Widerstand angekündigt, sollte Lau ter bach in dieses Recht eingreifen. Mit dem Konzept der bundesweit einheitlichen Versorgungsstufen macht er das aber. Allerdings gibt es bei den Ländern durchaus die Bereitschaft für Reformen. So ist etwa der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bereits dabei, eine ähnliche Reform umzusetzen. Wie weit sich Lauterbach wird durchsetzen können, ist trotzdem noch offen.