Kriegsbilder aus dem AllWie Maxar zeigt, was wirklich in der Ukraine passiert
Maxar liefert Bilder. Der Unternehmensname erinnert dabei irgendwie an Pixar, an die Heimat von Helden wie Clownfisch Nemo und Müllroboter Wall-E. Aber die Firma mit Sitz in Colorado ist keine neue US-Traumfabrik, kein Kino-Fantasia für Zerstreuung. Maxar beschickt die Welt vielmehr mit Satellitenbildern und konfrontiert die Zuschauer und Zuschauerinnen von Nachrichtensendungen und Zeitungsleser und ‑leserinnen derzeit mit Wirklichkeit, die zuweilen kaum zu ertragen ist.
Kriegsbilder aus dem Orbit dienen der Wahrheitsfindung
Die Leichen der Zivilisten auf den Straßen von Butscha, die Zerstörung auf dem Bahnhof von Kramatorsk, die Details über die russische Kriegsführung in der Ukraine, die kaum anders als barbarisch zu nennen ist, können vom All aus festgehalten werden. Und auf beinahe all den Vogelperspektiven des Kriegs ist derzeit das Logo Maxar zu sehen.
Im Vergleich bringen sie Wahrheit auch zweifelsfrei ans Licht. So zeigten Maxar-Satellitenbilder das Theater von Mariupol, in dem nach einem russischen Bombardement am 16. März nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters 300 Zivilisten starben – vor und nach seiner Zerstörung. Zu sehen ist, dass bereits vor dem Angriff auf beiden Vorplätzen des Kulturbaus in riesigen Buchstaben „Kinder“ auf dem Asphalt geschrieben stand – also nicht erst nach den Einschlägen darauf hingewiesen wurde, diese Zuflucht verängstigter Einwohner nicht unter Beschuss zu nehmen.
Vorher-nachher: Maxar-Satellitenfotos zeigen, was wirklich war
Die „New York Times“ etwa verglich Maxar-Bilder, die Mitte März beim Überfliegen von Butscha entstanden waren, mit Videoaufnahmen von Leichen auf der Straße von Anfang April. Die Positionen der dunklen Flecken, die auf den Satellitenaufnahmen nicht eindeutig als menschliche Körper zu erkennen waren, waren deckungsgleich mit denen der Toten des Videos.
Damit wurden russische Behauptungen als Lügen enttarnt, die Körper seien erst nach dem Abzug der Angreifer von Ukrainern ausgelegt worden, um russische Soldaten der Barbarei zu bezichtigen. Auch das zweite zynische russische Narrativ von Tote spielenden ukrainischen „Schauspielern“ war damit widerlegt.
Maxar-Vorgängerfirma schickte ersten Kommerzsatelliten ins All
Maxar Technologies stellt Satelliten und Satellitenbestandteile aller Art her, betreibt derzeit die Satelliten Geoeye 1, Worldview-1, -2 und -3 und bietet diesbezüglich Dienstleistungen für zahlende Kunden an (vornehmlich Militär und Geheimdienste). Unter anderem arbeitet das Unternehmen am Lunar Gateway mit, der für Mitte des Jahrzehnts geplanten Raumstation für bemannte Mondmissionen (später auch für Marsmissionen).
Das Weltraumtechnologieunternehmen Maxar ging aus der Firma Space Imaging hervor, die im September 1999 den allerersten kommerziellen Erdbeobachtungssatelliten Ikonos-2 ins All gebracht hatte. In 680 Kilometern Höhe umkreiste der Hightechklotz mit drei Segeln bis 2015 die Erde 14-mal täglich, um Aufnahmen von ihr zu machen, Graustufen- und Farbbilder mit einer Auflösung von 82 Zentimetern. Man sei „your eyes in the sky“ – so lautet ein Maxar-Slogan: „Ihre Augen am Himmel.“
Die „Augen am Himmel“ sind schärfer geworden
Die sind im Lauf der Zeit schärfer geworden – Worldview-3 hat eine Auflösung von 31 Zentimetern. Und was er sieht und festhält, gelangte nicht erst seit Putins immer bedrohlicher werdender Truppenmassierung an den Grenzen zur Ukraine in die Medien. Die „Himmelsaugen“ dokumentierten beispielsweise die Zerstörung von Dörfern der Rohingya in Myanmar aber auch Sklavenarbeit in der Fischereiindustrie Südostasiens.
2020 gewann die „New York Times“ den Pulitzerpreis für ihre Berichterstattung über den Schattenkrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Syrien, in dem Maxar-Bilder das furchtbare Resultat des Bombardements medizinischer Einrichtungen durch russische Kriegsflugzeuge zeigten.
Das könnte Sie auch interessieren:
Ikonos-2 war 1999 der Pionier – inzwischen gibt es um die 500 kommerzielle Erdbeobachtungssatelliten verschiedener Anbieter, und das ist längst nicht das Ende der Fahnenstange. In den nächsten Jahren soll der Orbit mit den Cube-Spionen geradezu geflutet werden. Gemessen an dem 700-Kilo-Brocken Ikonos-2 (Ikonos-1 ging beim Start im April 1999 verloren) gehen inzwischen Leichtgewichte an den Start, die nur ungefähr einen Zentner wiegen, was ihre kostengünstige gleichzeitige Massenverbringung in den Orbit ermöglicht.
Warum gefühlt allein Maxar-Bilder aus der Ukraine in den Medien zu sehen sind? Zum einen wegen der Bildqualität – da wirbt das Unternehmen auch selbstbewusst für sich: „Mit unübertroffener Genauigkeit, Flexibilität und Erfassungskapazität bietet unsere hochauflösende Konstellation Kunden rund um den Globus einen erschwinglichen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Sicht auf ihre Welt“ ist auf der Maxar-Website zu lesen. In der Tat haben sonst nur Airbus’ Pléiades-Neo-Erdbeobachter eine solche Plastizität, andere Anbieter bieten nur eine Auflösung von etwa einem Meter und schlechter.
Man sieht sich im Dienst der Wahrheitsverbreitung
Wer Aufnahmen aus den Satellitenbildarchiven will, muss in der Regel Hunderte Dollar hinblättern. Der Satellitenbetreiber aus der Kleinstadt Westminster aber stellt – der zweite Grund für das häufige Auftauchen des Maxar-Logos – seine Bilder vom Ukraine-Krieg den Medien kostenlos zur Verfügung. Hier sieht Maxar eine Verpflichtung, „weltraumgestützte Einblicke in globale Ereignisse“ zu liefern, „um die Transparenz und die Verbreitung wichtiger Informationen zu verbessern“. Man sieht sich im Dienst der Wahrheit und ihrer Verbreitung.
Man könne jeden Punkt auf der Welt erreichen. Was aber nicht heißt, dass Bilder all dieser Punkte auch zu jeder Zeit öffentlich gemacht werden dürfen. Russische Konvois auf dem Weg nach Kiew am 1. März – bitte sehr. Das Verbringen russischer Geflüchteter aus Mariupol auf russischen Boden am 27. März – selbstverständlich. Spacefotos von Aktionen der Nato aber würden wohl kaum in die Medien gelangen. Da müsste Maxar die amerikanischen Geheimhaltungsvorschriften beachten und passen: Im Westen nichts Neues, sorry!