Kiew – Vom Komiker und Fernsehstar ist Wolodymyr Selenskyj im Mai 2019 quasi über Nacht zum Präsidenten der Ukraine geworden. Nun hält er das Land in Kriegszeiten zusammen, zeigt sich in militärgrünen Shirts und Hemden, betont in kämpferischen Ansprachen die Willenskraft und Geschlossenheit der Ukrainerinnen und Ukrainer.
Vielfach wird er als Held gefeiert, seine Politik wird kaum infrage gestellt. Doch jetzt berichtet das „Handelsblatt“ von schweren Vorwürfen gegen Selenskyj.
Selenskyj gab Kriegswarnungen nicht an Bevölkerung weiter
Der Präsident räumte Mitte August in einem Interview mit der „Washington Post“ ein, dass er Kriegswarnungen aus westlichen Ländern, die es bereits Monate vor Kriegsbeginn gab, nicht an die Öffentlichkeit weitergab. Selenskyj argumentierte, er habe die Bevölkerung nicht in Panik versetzen wollen.
„Wenn wir das kommuniziert hätten – und das wollten einige Leute, die ich nicht nenne –, dann hätte ich seit letztem Oktober monatlich 7 Milliarden Dollar verloren“, betonte er. „Und in dem Moment, wenn die Russen angegriffen hätten, hätten sie uns innerhalb von drei Tagen gefangen genommen.“
Ukrainische Autorin kritisiert Selenskyj scharf
Die bekannte ukrainische Drehbuchautorin und Dramatikerin Kateryna Babkina sieht das offenbar anders und kritisierte Selenskyj scharf. „Das ist kein Versehen, kein Fehler, kein unglückliches Missverständnis, keine strategische Fehleinschätzung – das ist ein Verbrechen“, sagte sie dem „Handelsblatt“.
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Ähnlich äußerte sich die oppositionelle Abgeordnete Iryna Geraschenko in der Zeitung. Sie sagte, Selenskyj habe es versäumt, das Land auf eine Aggression des großen Nachbarn vorzubereiten.
Musajewa macht Selenskyj mitverantwortlich für menschliche Verluste
Und auch Sewgil Musajewa, Chefredakteurin der regierungskritischen „Ukrainska Prawda“, wirft dem Präsidenten im „Handelsblatt“ Desinformation vor. Selenskyj habe die Dramatik der Situation zu Beginn des Jahres verschwiegen und sei wegen mangelnder Kriegsvorbereitungen mitschuldig an „konkreten menschlichen Verlusten“, sagte Musajewa. Früher oder später würden diese Fragen „ehrlich beantwortet werden müssen“.
Russland hatte am 24. Februar 2022 – vor genau sechs Monaten – seinen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen und damit eine weltweite Krise ausgelöst. (rnd)