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„Desaster vor der ganzen Welt“Olympische Skisprung-Farce wird Konsequenzen haben

Lesezeit 4 Minuten
Stefan Horngacher

Die Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher (l) und Maximilian Mechler unterhalten sich nach dem 1. Durchgang.

Peking – Das Telefon hörte bei Andreas Bauer nach der olympischen Skisprung-Farce von Peking gar nicht mehr auf zu klingeln. Zwar ist der Oberstdorfer nach zehn erfolgreichen Aufbaujahren nicht mehr Bundestrainer der deutschen Fliegerinnen, aber als deutsches Mitglied der Materialkommission und des Sprungkomitees beim Internationalen Skiverband FIS wird er bei der Aufarbeitung der olympischen Mixed-Premiere eine entscheidende Rolle spielen.

„Das war ein Imageverlust fürs Skispringen, so etwas habe ich in 50 Jahren in diesem Sport noch nie erlebt. Ein Desaster vor Millionen Zuschauern in der ganzen Welt“, erklärte Bauer im Exklusivgespräch und kündigte ein Nachspiel an: „Das muss aufgearbeitet werden und Konsequenzen haben. Sowohl strukturell als auch personell.“ Diese Aussage zielt auf den olympischen Chef-Materialkontrolleur Mika Jukkara, der für die Disqualifikation von fünf Springerinnen aus den vier Topnationen Deutschland, Österreich, Japan und Norwegen wegen eines zu großen Anzugs verantwortlich gewesen sein soll.

Revanchefoul von Jukkara?

Betroffen davon war auch die olympische Einzel-Silbergewinnerin Katharina Althaus. Nach ihrem Tränen-Aus erklärte sie, dass ihr „Herz gebrochen“ sei: „Der Weltverband hat das Damen-Skispringen zerstört.“ Auch Bauer sieht die Glaubwürdigkeit des gesamten Sports in Frage gestellt, schließlich waren durch die Disqualifikationen „16 von 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern direkt betroffen: Das war ein Affront.“ In der Skisprung-Szene wird vermutet, dass die Aktion ein „Revanchefoul“ des Finnen Jukkara gewesen sein könnte, der wegen seiner Materialkontrollen schon vor Olympia in die Kritik geraten war.

Zum einen warf ihm zum Beispiel das deutsche Team vor, bei technischen Neuentwicklungen wie der Bindung des slowenischen Teams und den innovativen Skisprung-Schuhen der Polen zu lasch vorzugehen. Bei der Olympia-Generalprobe in Willingen wurden zwei polnische Topspringer erst nach einem Protest von Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher disqualifiziert. Zum anderen kritisierten viele Topnationen, dass Jukkara die Anzugkontrollen „härter, aber nicht besser“ (Horngacher) als sein Vorgänger Sepp Gratzer durchführe.

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Das Urgestein hatte sich Ende vergangenen Winters nach fast 30 Jahren verabschiedet und den Posten an den Finnen Jukkara übergeben. „Jeder schätzt an Mika sein internationales Denken und dass er sich immer fair und korrekt verhält“, lobte FIS-Sprungdirektor Sandro Pertile bei seiner Vorstellung.

Ex-Topskispringer Martin Schmitt glaubt, dass Jukkara sich auch bei der olympischen Mixed-Farce dem Papier nach korrekt verhalten hat. Bei Gratzer, so berichtete Schmitt, habe es nach Materialverstößen erstmal Verwarnungen vor einem möglichen Ausschluss gegeben: „Natürlich wurde das ausgenutzt.“ Jukkara dagegen disqualifiziere bei Verstößen sofort. Und beim olympischen Mixedwettbewerb mischte der strenge Männer-Kontrolleuer zumindest mit seinen Vorgaben auch bei den Frauen mit, wo die sonst allein verantwortliche Polin Aga Baczkowska bislang offenbar eine laschere Linie gefahren ist. Schließlich hatte Althaus zwei Tage vor ihrer Mixed-Disqualifikation ohne Beanstandungen an ihrem Sprunganzug Einzel-Silber gewonnen.

„Wie beim Tiroler Zeltverleih“

Ähnlich wie in der Formel 1 ist auch beim Skispringen das Material ein ganz wichtiger Faktor für den sportlichen Erfolg und die strengen Regeln werden bis zur Grenze und manchmal darüber hinaus ausgereizt. Jeder Zentimeter Anzugstoff mehr speziell im Hüftbereich bedeuten wie bei einem Drachen mehr Auflagefläche in der Luft und potenziell eine größere Weite. Dass an den Anzügen der Frauen aus den Topnationen vielleicht nicht alles ganz regelgerecht gewesen sei, räumte selbst Österreichs Sportdirektor Mario Stecher ganz offen ein: "Man kommt sich oft vor wie beim Tiroler Zeltverleih, so groß sind die Anzüge. Und jetzt wird es auf einmal kontrolliert."

Ein Mann bei den Frauen-Kontrollen?

Katharina Althaus berichtete, dass sie 20 Minuten im Kontroll-Container verbracht habe, „so lange bis sie etwas gefunden hatten.“ Auch die ebenfalls disqualifizierte Norwegerin Silje Opseth erzählte, dass sie sich bei der Kontrolle „ganz anders als sonst hinstellen“ musste. Es gab sogar Gerüchte, dass Material-Kontrolleur Jukkara persönlich bei den Kontrollen der Frauen anwesend gewesen sei. Das wäre ein absolutes No-Go, schließlich müssen sich die Skispringerinnen bei den Materialtests bis auf ihre Unterwäsche komplett ausziehen.

„Dass man verdiente Springerinnen wie Althaus, Sara Takanashi oder Daniela Iraschko-Stolz mit dieser Disqualifikation so vorführt, ist unglaublich. Das sind die größten Profis dieser für Frauen so jungen Sportart, sie wurden xmal ohne Beanstandungen getestet. Wenn es ein Problem mit den Anzügen gegeben haben sollte, hätte man das vor dem Wettkampf lösen müssen“, findet Bauer. Spätestens im April wird bei der nächsten FIS-Sitzung über die Konsequenzen der Olympia-Farce geredet werden. Andreas Bauer wird bis dahin sicher noch viele Telefonate führen.