AboAbonnieren

Praktisch in russischer HandGeisterstadt Bachmut in der Ukraine steht vor dem Fall

Lesezeit 4 Minuten
Ukraine, Bachmut: Rauch steigt aus Gebäuden in Bachmut in der Region Donezk auf.

Von Bachmut ist kaum mehr etwas übrig. Mittlerweile ist die Stadt fast vollständig unter russischer Kontrolle.

Die Bilder der zerstörten Stadt Bachmut sind apokalyptischen Ausmaßes. Ihre Eroberung wird für Russland lediglich symbolische Bedeutung haben.

Von Bachmut ist kaum mehr etwas übrig. Neue Satellitenbilder zeigen eine Stadt, die nur noch aus geisterhaften Ruinen besteht, in der kein Baum mehr grün und keine Straße mehr als solche erkennbar ist. Schulen, Kirchen und Wohnblöcke wurden durch schweren Artilleriebeschuss dem Erdboden gleichgemacht. Es sind Bilder apokalyptischen Ausmaßes aus der seit Monaten umkämpften Kleinstadt im Osten der Ukraine. Russische Kräfte haben Bachmut praktisch vollständig besetzt.

Videos aus Bachmut zeigen, dass nur noch um die letzten Häuserblocks gekämpft wird. „Im Grunde sind zwischen 98 und 99 Prozent von Bachmut in russischer Hand“, sagt Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer. „Es gibt nur noch einige Kämpfe am westlichen Stadtrand um vier Hochhauskomplexe“, so Reisner im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Von diesen Hochhäusern aus könnten die letzten verbliebenen ukrainischen Soldaten die Angriffe etwas leichter abwehren.

Bachmut praktisch vollständig von den Rusen eingenommen

András Rácz, Experte für Russlands Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), bestätigt gegenüber dem RND: „In der Praxis ist die Stadt jetzt von den Russen vollständig eingenommen.“ Die in Bachmut kämpfenden, russischen Wagner-Söldner gehen von einer zeitnahen Eroberung der letzten Quadratmeter aus. „Wir machen weiter Druck und dann müssen sie sich entweder zurückziehen oder sie werden alle sterben“, sagte einer der Kämpfer in einem von Wagner verbreiteten Video am Freitag.

Angeblich werde nur noch weniger als ein Quadratkilometer der Stadt von der Ukraine kontrolliert, etwa 700 bis 800 Meter. „Wenn es keine Überraschung gibt, also einen massiven ukrainischen Gegenangriff oder Durchbruch an den Flanken, wird die Stadt Bachmut tatsächlich in den nächsten Tagen fallen“, bestätigt Reisner die russischen Geländegewinne. „Erste Bilder zeigen, dass ukrainische Soldaten versuchen, sich in kleinen Trupps nach Westen zurückzuziehen.“

Letzte ukrainische Kräfte werden aus Bachmut verdrängt

Gleichzeitig verkündet die Regierung in Kiew beinahe täglich, dass ukrainische Truppen bei Bachmut vorrücken würden. Diese ukrainischen Angriffe an den Flanken der Frontlinie finden aber einige Kilometer nördlich und südlich von Bachmut statt, nicht am Stadtrand oder gar im Zentrum. „Bedeutende Gewinne, wie einen Vorstoß bis zur Stadtgrenze, konnten die ukrainischen Truppen an den Flanken noch nicht erzielen“, macht Reisner deutlich.

Die letzten ukrainischen Kräfte, die noch am Stadtrand von Bachmut kämpfen, werden unterdessen weiter zurückgedrängt. Mit den Angriffen an den Flanken versucht die Ukraine offenbar zwei Zufahrtsstraßen nach Bachmut freizukämpfen, die der Versorgung ihrer verbliebenen Streitkräfte dienen. „Die letzte Straße nach Bachmut war bereits unter russischem Beschuss, sodass eine Versorgung der ukrainischen Truppen schwierig wurde“, erklärt Rácz.

Ukrainer mit Gegenangriffen an den Flanken

Die Ukrainer versuchen mit den Angriffen an den Flanken außerdem ein Einkesseln ihrer verbliebenen Truppen am Stadtrand zu verhindern. Diese Einschätzung teilt auch Oberst Reisner. Die ukrainischen Soldaten in den Häuserblocks sollen sich offenbar sicher zurückziehen können, so Reisner, wenn auch die letzten Gebäude von den Russen erobert wurden. Längst schicke die Ukraine nur noch Soldaten nach Bachmut, die sich freiwillig melden. Das Gelände rund um Bachmut ist sehr flach, zwischen den Feldern liegen kleine Waldstücke.

Etwas weiter westlich befinden sich zwei Anhöhen, die von der Ukraine kontrolliert werden und die zu starken Verteidigungsstellungen ausgebaut wurden. „Dorthin müssen sich die ukrainischen Soldaten wohl bald zurückziehen“, sagt Reisner. Konkret bedeutet das: Die Soldaten müssen vom Stadtrand über offenes Gelände unter ständiger Feuergefahr von Waldstück zu Waldstück laufen, bis sie die ukrainischen Stellungen erreichen. „Ich gehe davon aus, dass sie sich nachts in kleinen Gruppen von zwei bis drei Mann zurückziehen werden“, sagt Reisner.

Offensivkapazitäten der Russen sind vollständig erschöpft

Auch Rácz hält einen Rückzug nachts oder bei schlechtem Wetter für realistisch – und möglich. Die nächste kleinere Verteidigungslinie der ukrainischen Armee befindet sich bei Tschassiw Jar. Über Monate hat die Ukraine diese Linie als mögliche Rückfallposition ausgebaut, wenn sie Bachmut aufgeben muss. Doch kaum ein Beobachter glaubt, dass die Russen nach Bachmut tatsächlich als nächstes Tschassiw Jar angreifen werden.

DGAP-Experte Rácz rechnet damit, dass sich Russland vollständig auf die Verteidigung der Frontabschnitte konzentrieren wird. „Die Offensivkapazitäten der Russen sind vollständig erschöpft und Russland ist nicht in der Lage, in nächster Zeit neue Offensive zu starten.“ Tausende russische und ukrainische Kämpfer sind in den monatelangen Kämpfen um Bachmut ums Leben gekommen.

Wenn Bachmut nun vollständig an die Russen fällt, haben sie laut Rácz aber nicht mehr als einen symbolischen Sieg erreicht. Und dann? „Wenn Bachmut vollständig in russischen Händen ist, wird die Stadt in der Bedeutungslosigkeit verschwinden“, glaubt Rácz. Ähnlich wie die Stadt Sjewjerodonezk, über die heute auch keiner mehr spricht. (rnd)