„Die Krim ist ukrainisch und wir werden sie niemals aufgeben“, zeigt sich der ukrianische Präsident Wolodymyr Selenskyj kämpferisch. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel 2014 hatte Russland seinen Einfluss massiv ausgebaut. Doch die Kämpfe um die Krim und die damit verbundenen Ansprüche liegen viel länger zurück.
Seit der Eroberung 1783 durch das Russische Reich war die Krim ein Teil Russlands. Das sollte sich erst mit Nikita Chruschtschow ändern. Als mächtigster Mann der Sowjetunion tat er 1954 etwas, das Putin ihm bis heute nicht verzeiht. Bei der 300-Jahr-Feier anlässlich eines Bündnisses zwischen Russland und der Ukraine schenkte Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik die Krim.Viele Russen fühlen sich heute betrogen. Chruschtschow habe ein Juwel verschenkt, werfen sie ihm vor - auch Putin. Er sprach von einem „historischen Fehler“ und von „Mauscheleien im Hinterzimmer“.
Russland ist von der Krim abhängig
Zu Sowjetzeiten hatte man in der Abtretung der Krim kein Problem gesehen, so der Russland-Experten Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. „Denn die sowjetischen Führung war der Auffassung, dass sich die Sowjetunion niemals auflösen würde“, sagte er unserer Redaktion. Doch mit ihrem Zerfall 1991 und dem Autonomiestreben realisierten die Russen schlagartig, dass die Krim nun de facto der Ukraine gehört.
Warum Chruschtschow der Ukraine die Krim übertragen hatte, ist für Historiker ein Rätsel. Lag es daran, dass Chruschtschow in Donezk (Ukraine) aufgewachsen ist, seine Frau aus der Gegend von Odessa kam und sich beide der Krim verbunden fühlten? Für Mangott kommt ein weiterer Grund in Betracht: Es sei viel einfacher gewesen, die Krim von Kiew aus zu verwalten. „Die Verkehrsinfrastruktur, Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln – alles lief über die ukrainische Sowjetrepublik und nicht über das Territorium Russlands.“
Militärstrategisch war die Krim schon immer von enormer Bedeutung. Wer sie kontrolliert, der beherrscht einen Großteil der Schwarzmeerküste. Russland ist von der Krim abhängig, da in Sewastopol die russische Schwarzmeerkriegsflotte stationiert ist. Bis zum Kriegsbeginn hatte Russland der Ukraine für die Nutzung der Hafenanlage sogar eine jährliche Pacht bezahlt, indem es auf einen Teil der ukrainischen Gasschulden verzichtete.
Historische Abneigung gegen jeden russischen Einfluss
„In der exklusiven Wirtschaftszone der Krim befinden sich Öl- und Gasvorkommen, die für Russland und die Ukraine gleichermaßen von Bedeutung sind“, sagt Mangott dem RND. „Wer die Krim besitzt, kann auch Ansprüche auf diese Vorkommen stellen.“Für Ukrainer gehört die Krim historisch zur Ukraine. Seit Jahrhunderten bewohnen die Krimtataren die Halbinsel.
Zwischenzeitlich versuchten sie, eine Republik zu gründen. Stalin deportierte 1944 Krimtataren nach Asien, erst 1989 durften sie zurück und stellen sich aus dieser historischen Erfahrung grundsätzlich gegen jeden erdenklichen russischen Einfluss auf der Krim. „Kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die Mehrheit der Krim-Bewohner für die Zugehörigkeit zur Ukraine ausgesprochen“, sagt Experte Mangott mit Blick auf das Referendum 1991.
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Nach der Annexion haben sich viele der Krim-Einwohner einen russischen Pass geholt. Das bringt Vorteile, wie zum Beispiel eine kostenlose Krankenversicherung. Heute ist die Krim ein beliebtes Urlaubsziel – vor allem der Russen. Die russische Botschaft in Deutschland wirbt zwar auch mit „Geheimtipps“ für den Krim-Urlaub. Doch die nach 2014 verhängten Sanktionen haben viele Europäer schon vor Jahren abgeschreckt. In diesem Jahr meiden selbst viele Russen das beliebte Urlaubsziel. Die Hotelbuchungen seien in diesem Sommer im Vergleich zum Vorjahr um etwa 30 Prozent zurückgegangen, so die russische Nachrichtenagentur RBC. Hotels seien nur noch zur Hälfte belegt.
Ob Selenskyj die Krim zurückerobern wird, ist ungewiss. Russland werde alles daransetzen, einen Verlust der Krim zu verhindern, glaubt Experte Mangott. Würde er die Krim verlieren, und auch das andere seit Februar eroberte Gebiet, wäre das ein Desaster. Der Verlust der Krim würde Putins Position als Präsident gefährden. „Dass Russland eine Rückeroberung der Krim zulassen wird, halte ich für undenkbar.“