Robert Habeck im InterviewRezession bei Gas-Stopp würde „heftig“
Berlin – Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht bei Büroräumen und öffentlichen Gebäuden Möglichkeiten zum Energiesparen - zum Beispiel durch Betriebsferien an Weihnachten und Ostern. Private Haushalte seien bei der Gasversorgung besonders geschützt, versichert er. Und wie es dem Vizekanzler mit seiner Corona-Erkrankung geht, verrät er auch im RND-Interview.
Herr Habeck, Sie sind an Corona erkrankt, wir erreichen Sie zu Hause. Wie geht es Ihnen?
Robert Habeck: Corona ist nicht ohne, diese Erfahrung mache ich wie so viele Menschen in diesen Tagen. Wichtige Rücksprachen, Vorlagen lesen, Telefonate gehen aber, und das Interview auch.
Wir wissen das zu schätzen. In der Vorbereitung ist uns aufgefallen, dass Sie zuletzt häufig als Überbringer schlechter Nachrichten in Erscheinung getreten sind. Braucht es Mut, um unbequeme Wahrheiten auszusprechen?
Das hat mit Mut nichts zu tun. Die Frage ist, ob ich die Menschen im Land ernst nehme – und das tue ich. Dann muss ich aber auch bereit sein, einen ernsten Diskurs mit ihnen zu führen. Ich glaube, dass es uns als Gesellschaft stärkt, wenn wir erwachsen miteinander umgehen.
Sie operieren viel mit düsteren Szenarien, während Bundeskanzler Olaf Scholz immer betont, dass die Regierung alles im Griff habe. Ist das jetzt ihre Rollenverteilung?
In der Analyse der Lage stimmen Kanzleramt und Wirtschaftsministerium völlig überein. Der Bundeskanzler hat genauso Sorgen vor dem, was kommen kann, wie ich. Deshalb arbeiten wir so hart daran, alle nötigen Vorbereitungen zu treffen.
„Das ist für viele eine Erfahrung, die sie noch nie gemacht haben“
Sie haben schon eine Reihe von Vorschlägen zur Einsparung von Energie gemacht - von Duschzeiten bis zum Heizen von Freibädern. Nehmen die Leute das nicht ernst, weil Ihnen die Unterstützung des Kanzlers fehlt?
Ich teile die der Frage zugrunde liegenden These nicht. Auf unsere Kampagne zum Energiewechselerleben wir eine ungeheure Resonanz. Die Leute schicken uns Fotos, Bilder und berichten und diskutieren, was sie alles machen. Und der Gasverbrauch ist in den ersten Monate dieses Jahres um rund 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Ein Teil ist dem wärmeren Wetter geschuldet, ein anderer echte Ersparnis und dafür möchte ich allen, die daran mitarbeiten, ausdrücklich danken. Wir erleben aber aktuell in Deutschland zum ersten Mal seit langer Zeit, dass Energie ein knappes Gut ist. Das ist für viele eine Erfahrung, die sie noch nie oder zuletzt während der Ölkrisen gemacht haben.
Wie hilfreich ist es angesichts der Sorgen, wenn der Bundeswirtschaftsminister die prioritäre Versorgung von Privathaushalten im Krisenfall in Frage stellt?
Das habe ich nicht getan. Natürlich sind private Haushalte und kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser, Altenheime, Pflegeeinrichtungen besonders geschützt, und das wird so bleiben. Aber wir müssen schauen, welche Einsparmöglichkeiten es jenseits der Industrie gibt. Und da sind ja viele Akteure schon dran. Kommunen senken die Wassertemperatur in Frei- und Hallenbädern, öffentliche Einrichtungen drehen die Klimaanlagen etwas weniger runter als bislang. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob es nicht Sinn macht, über Weihnachten oder Ostern dort, wo es geht und wo nicht die Produktion weiterläuft, Betriebsferien zu organisieren, um Heizungsanlagen herunterzufahren, wenn ohnehin die meisten im Urlaub sind. Ganze Bürotürme auf über 20 Grad zu heizen, wenn nur drei Menschen drinsitzen, werden wir uns nicht leisten können. Anderes Beispiel: In vielen öffentlichen Gebäuden wird von 6 Uhr morgens bis 23 Uhr abends die volle Raumtemperatur bereitgestellt. Ein bisschen weniger wäre in den Randzeiten auch tolerabel. Mein Eindruck ist, von der Wirtschaft über Städte, Länder und Bundesregierung bis hin zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern ist der Erst der Lage angekommen und alle überlegen fieberhaft, wie sie sparen, damit wir den Winter einigermaßen überstehen.
Bürotürme gehören für die meisten Menschen nicht zum privaten Bereich. Sie haben aber ausdrücklich über einen Anteil geredet, den private Haushalte leisten müssen. Was an der Reihenfolge der Notfallversorgung wollen Sie ändern?
Private Haushalte sind besonders geschützt und werden weiter Energie bekommen. Worauf ich hingewiesen habe, ist die Leichtfertigkeit, mit der manchmal gesagt wird, na dann schalten wir halt die Industrie ab. Dabei wird übersehen, dass die Wirtschaft Arbeitsplätze, Einkommen und Güter des täglichen Lebens bereitstellt. Es wäre doch fatal, Büros bis 23 Uhr zu heizen und gleichzeitig ganze Industriezweige zu zerstören. Genau das darf nicht das Ergebnis sein.
„Ich hätte ein Problem damit, wenn jemand in einer Gasmangellage seine Villa und den Pool davor auf 26 Grad heizt“
Hat die Politik Möglichkeiten, regulierend in den privaten Bereich einzugreifen? Das Leben und die Bedürfnisse der Menschen sind sehr individuell. Ein staatlicher Eingriff in das private Heizverhalten ist aus guten Gründen sehr schwierig.
Ich hätte ein Problem damit, wenn jemand in einer Gasmangellage seine Villa und den Pool davor auf 26 Grad heizt, einfach weil er es bezahlen kann und sich nicht drum schert, was das für andere, fürs Land bedeutet.
Noch gibt es Hoffnung, dass die Mangellage gar nicht entsteht und Russland nach dem Ender der Nord Stream-Wartung wieder Gas liefert. Auf welches Szenario richten Sie sich ein?
Auf alle.
Die bisherige Drosselung der Lieferung hat Russland mit einer fehlenden Turbine begründet, die wegen eines kanadischen Ausfuhrstopps nicht geliefert werden konnte. Sie persönlich haben bei der kanadischen Regierung um eine Genehmigung gebeten. Ist die Turbine jetzt unterwegs?
Hier stehen Sicherheitsfragen im Raum, daher kann ich keine Details nennen. Aber die notwendige kanadische Ausnahmegenehmigung ist erteilt, und Siemens tut alles, damit die Turbine schnellst möglich über Deutschland zum Einsatzort nach Russland gelangt. Mir ist aber wichtig, dass das fehlende Bauteil nach Auffassung aller Experten nichts als ein Vorwand war, der der russischen Propaganda dient. Gazprom hat einsatzfähige Turbinen. Russland hätte die Kapazität von Nord Stream 1 auch ohne diese eine Turbine zu nahezu 100 Prozent ausnutzen können. Mit Hilfe der kanadischen Regierung konnten wir Russland einen Vorwand nehmen. Ob das am Ende hilft, werden wir sehen.
Falls Russland kein Gas mehr liefert, steht uns nach Meinung aller Ökonomen eine Rezession bevor. Wie schwer würde die?
Das ist schwer vorherzusagen, aber es würde heftig. Zu Anfang des Krieges wurde von einigen Wirtschaftsexperten noch einen Gasboykott gefordert und als eher verkraftbar dargestellt. Das fand ich damals schon nicht plausibel.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, rechnet mit einer Verdreifachung des Gaspreises – mindestens. Fürchten Sie angesichts dieser Dimensionen um den sozialen Frieden in Deutschland?
Selbst Gutverdiener schlucken, wenn sie statt 1500 plötzlich 4500 Euro im Jahr fürs Heizen bezahlen müssen. Für Menschen mit mittleren oder geringen Einkommen sind diese Summen schlicht nicht darstellbar. Hier muss die Bundesregierung Entlastungen organisieren und zwar auch 2023. Ich bin mir sicher, dass das Finanzministerium dafür noch Vorsorge schaffen wird. Wir haben da eine politische Aufgabe.
Ist angesichts dieser Preise die Erhöhung der CO2-Abgabe Anfang 2023 überhaupt noch vermittelbar? Auch dadurch werden Gas und Mineralöl ja teurer.
Ja, aber das Geld geben wir ja an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurück, zum Beispiel durch die Abschaffung der EEG-Umlage. Beim Tankrabatt haben wir ja gesehen, dass die steuerliche Reduktion nachdem, was wir aktuell wissen, jedenfalls nicht vollständig weiter gegeben wurde. Zielgerichteter erscheint es mir, Menschen direkt zu unterstützen.
Würden Sie sagen, der Tankrabatt war ein Rohrkrepierer?
Er hat zumindest nicht so funktioniert, wie er sollte.
„Ich vermisse Objektivität in der Diskussion“
Die Idee hatten Ihre Koalitionspartner von der FDP, die nun eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei Kernkraftwerke fordern. Schließen Sie die aus?
Erst einmal ist die Atomkraft eine Hochrisikotechnologie und einige Äußerungen sind mir da einfach zu spielerisch. Und ich vermisse Objektivität in der Diskussion. Ich habe immer gesagt, dass ich die Debatte entlang der Fakten führe. Fakt ist: Wir haben aktuell ein Gasproblem, kein Stromproblem. Dieses „Wir lassen die mal weiterlaufen, dann wird schon alles gut“ steht weder im Verhältnis zu den Abstrichen bei den Sicherheitsstandards, die wir dafür in Kauf nehmen müssten, noch ist es der Situation angemessen.
Mit Robert Habeck wird es keine Laufzeitverlängerung geben?
Für mich ist die Risiko-Nutzen-Abwägung die entscheidende. Aber es fällt ja auf, dass ausgerechnet diejenigen am lautesten für eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke trommeln, die vorher den Ausbau von Stromnetzen und Windkraft über viele Jahre verschleppt haben.
Wir fragten, ob Sie die Laufzeitverlängerung ausschließen.
Und ich antworte ein drittes Mal, dass ich in der Risiko-Nutzen-Abwägung zu einem anderen Ergebnis komme als Markus Söder. Markus Söders Position bei der Atomkraft wäre übrigens deutlich glaubwürdiger, wenn er sich gleichzeitig dazu bereit erklären würde, dass wir überall in Deutschland - auch in Bayern - nach einem Endlager für den Atommüll suchen.
„Der Krieg hat die Grundfesten ins Wanken gebracht“
Sie haben die für die grüne Partei schwere Entscheidung getroffen, Kohlekraftwerke wieder hochzufahren, um Gaskraftwerke zu ersetzen. Macht es aus Gründen des Klimaschutzes nicht Sinn, auch über das Thema CCS – also die Abspaltung und Einlagerung von CO2 – neu nachzudenken?
CCS wurde lange Zeit als scheinbar bequeme Alternative zum Kohleausstieg gehandelt, das ist es aber nicht. Wenn es aber bei industriellen Prozessen - anders als bei der Kohleverstromung - keine Alternative zum CO2-Ausstoß gibt, etwa in der Zementindustrie, müssen wir etwa über CCU nachdenken, also die Abscheidung und den Gebrauch von CO2. Aber Sie haben Recht mit der Aussage, dass die Entscheidung für das Anfahren der Kohlekraftwerke für meine Partei extrem schmerzhaft, aber notwendig war. Ich würde mich freuen, wenn all jene, die die unter der Phrase „ideologiefrei“ etwas von uns fordern, sich selbst einmal mit der Wirklichkeit auseinandersetzen würden. Es würde ihre eigene Glaubwürdigkeit in der Debatte stärken.
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Wen meinen Sie?
Alle, die uns Ideologie unterstellen. Der Krieg hat die Grundfesten ins Wanken gebracht, und nicht immer halten Partei- und Wahlprogramme die richtigen Antworten für eine solche veränderte Wirklichkeit bereit. Ich glaube, wir alle sollten die Bereitschaft haben, alte Gewissheiten in Frage zu stellen und vom Notwendigkeiten her zu denken.
Sie sind jetzt 52. Was hätte eigentlich der 26-jährige Robert Habeck zu Ihrer heutigen Politik gesagt?
Der war junger Vater, und er hätte wahrscheinlich gesagt, dass alles, was dem zukünftigen Leben seiner Kinder dient, eine gute Sache ist. Dazu hätte aus seiner Sicht gehört, einen Tyrannen, der ein Land überfällt und mehrere 10.000 Menschen umbringt, nicht gewähren zu lassen. Der Sinn von Politik ist die Freiheit. Und wenn man die Freiheit schützen will, muss man bereit sein, die nötigen Schritte zu gehen. Der 26-Jährige Robert Habeck würde also dem 52-Jährigen sagen: passt schon.
Vielen Dank für das Gespräch und gute Besserung!