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RT DE, Telegram, InfraRotSo trifft Russlands Propaganda-Netz den Westen

Lesezeit 7 Minuten
Putin Propaganda Donezk

Pro-Russische Demonstration in Donezk: Ein Demonstrant mit einem stilisierten Putin-Portrait auf einer Weste

  1. Zweifel säen, Bilder inszenieren: Der Kreml setzt nicht nur im Konflikt mit der Ukraine auf ein weltweites Propaganda-Netzwerk.
  2. Staatsmedien und Kreml-treue Kanäle verbreiten Berichte im Sinne Moskaus, Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen.
  3. In Deutschland hat sich seit wenigen Monaten ein neues Medium etabliert, das im Verdacht steht, Teil der russischen Staatsmedien zu sein.

Moskau/Berlin – Es sind Szenen, dafür gemacht, um die Welt zu gehen: Dutzende Waisenkinder stehen am vergangenen Freitag in der Abenddämmerung in Reih und Glied vor einem Kinderheim im ostukrainischen Donezk und warten darauf, nach Russland evakuiert zu werden. Passenderweise sind gleich mehrere Kameraleute anwesend, um diese Szenen einzufangen.

Die Botschaft, die wenig später auch in Deutschland durch die Sozialen Medien und durch Kreml-treue Telegram-Kanäle getragen wird: Das friedliche Russland nimmt flüchtende Frauen und Kinder auf, um sie vor den Aggressionen des ukrainischen Militärs zu schützen.

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Für Lutz Güllner ist das Teil einer großen Inszenierung. Güllner ist Leiter der Abteilung für strategische Kommunikation beim Auswärtigen Dienst der EU in Brüssel. Sein Team beobachtet die Erzählungen, die russische Staatsmedien und Propagandakanäle in Europa verbreiten, seit Jahren ganz genau.

Die Bilder, die seit dem vergangenen Freitag im Donbass entstehen, hätten ein Ziel, erklärt Güllner: „Zu zeigen, dass es dort unsicher ist, dass Krieg herrscht und Russland zurückschlagen muss.“

Evakuierungsanordnungen und in Szene gesetzte Waisenkinder

Am Freitagnachmittag hatten die Anführer der selbsterklärten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk in Videoansprachen die Evakuierung der Zivilbevölkerung ins benachbarte Russland angeordnet. Angeblich stehe ein Einmarsch der ukrainischen Armee in die Separatistengebiete unmittelbar bevor.

Auch diese Videos sind offenbar Teil einer im Voraus geplanten Inszenierung: Wie mehrere US-Journalisten anhand der Metadaten der beiden Videos zeigen konnten, wurden sie bereits zwei Tage zuvor aufgenommen. Einiges deutet daraufhin, dass im Donbass ein Vorwand für eine weitere militärische Intervention Russlands geschaffen werden sollte.

Über russische Staatsmedien, vermeintlich unabhängige Pro-Kreml-Seiten und Social-Media-Kanäle werden die Erzählungen der russischen Staatsführung und der Separatisten in der Ostukraine auch in Deutschland und anderen westlichen Staaten verbreitet.

Artikel im Minutentakt in elf Sprachen

Die auf der annektierten Krim ansässige Seite „News-Front“ etwa präsentiert sich als Nachrichtenagentur und veröffentlicht ihre Artikel teilweise im Minutentakt in elf Sprachen, auch auf Deutsch und Englisch. Die Texte geben ungefiltert die Behauptungen der Separatisten über ukrainische Angriffe und Sabotageversuche wieder und zeichnen das immergleiche Bild: Der Westen und die Ukraine sind die Aggressoren, Russland ist der Retter der friedlichen Unterdrückten.

Laut Angaben der US-Regierung wird „News-Front“ vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB kontrolliert, weshalb die Seite im vergangenen Jahr auf einer Sanktionsliste der USA gelandet ist. Es gehe nicht nur um Desinformation und Propaganda, sagt Lutz Güllner, sondern um staatliche Informationsmanipulation. „Wir haben es mit gezielten und koordinierten Aktivitäten zu tun, die durch staatliche Stellen organisiert oder finanziert sind“, erklärt er.

Das „Ökosystem der Pro-Kreml-Desinformation“

Seiten wie „News-Front“ seien lediglich ein Teil in einem „Ökosystem der Pro-Kreml-Desinformation“. Ein anderer wichtiger Teil seien die offen agierenden russischen Staatsmedien im westlichen Ausland. Besonders der deutschsprachige Ableger des russischen Staatssenders RT (vormals Russia Today) ist in Deutschland von Relevanz: Seit 2014 ist die Webseite von RT DE nicht nur ein Verbreitungskanal für die russische Sicht auf den Ukraine-Konflikt und die Welt, sondern auch für allerlei Verschwörungserzählungen und Falschinformationen.

Kameras Deutsche Welle Büro

Kameras vor dem Deutsche-Welle-Büro in Moskau, Russland entzog dem Sender die Sendeerlaubnis.

Besonders in der Corona-Pandemie erschließt sich RT DE ein neues Publikum, allerdings weiterhin lediglich im Internet: Die Ausstrahlung eines linearen Fernsehprogramms in Deutschland hatte die Rundfunkkommission ZAK kürzlich wegen einer fehlenden Lizenz verboten. Das Kreml-Medium steht fest an der Seite der Demonstranten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und veröffentlicht immer wieder Artikel und Videos, die Zweifel an Nutzen und Wirksamkeit der Corona-Impfungen säen.

Schon seit dem vergangenen Jahr muss RT DE eine weitere Einschränkung in Kauf nehmen: Wegen der Verbreitung von Falschinformationen zum Coronavirus und der anschließenden Umgehung einer Sperre verbannt die Videoplattform Youtube RT DE im Ende September 2021 schließlich von seiner Plattform.

Ein neues Medium tritt auf den Plan

Nur wenige Wochen nach der Löschung des Kanals geht im Oktober 2021 ein neues Medium auf Youtube, Facebook und Twitter, aber auch auf „alternativen Plattformen“ wie Telegram und der Videoplattform Odysee auf Sendung: InfraRot Medien. Hinter dem Projekt steht der ehemalige Chefredakteur von RT DE, Ivan Rodionov.

Noch bis zum Monat des InfraRot-Starts hatte Rodionov laut eigenen Angaben als „Chief Strategy Officer“ des deutschsprachigen Kreml-Mediums gearbeitet. Schon zwei Monate zuvor, am 5. August, hatte er die InfraRot Medien UG gegründet. Laut Eintragung im Handelsregister ist Rodionov der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens, das über Studio- und Büroräume in einem Hinterhof im Berliner Stadtteil Reinickendorf verfügt.

Putin TV

Wladimir Putin bei seiner Ansprache am Montag

Gemeinsam mit den beiden ehemaligen RT-DE-Mitarbeitern Arthur Buchholz und Jens Zimmer produziert Rodionov dort seitdem Videos, die sich in Inhalt und politischer Ausrichtung kaum von dem unterscheiden, was zuvor bereits Jahre lang bei RT DE zu sehen war. Es geht um Corona-Proteste, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, um Politikerinnen und Politiker der Grünen. Die redaktionelle Linie ist klar abgesteckt: Die Corona-Maßnahmen gehören abgeschafft, Russland will Frieden, und der Westen ist der große Aggressor.

In einem Video-Podcast der InfraRot-Mitarbeiter Jens Zimmer und Arthur Buchholz erklärt Zimmer etwa, er glaube, der Ukraine-Konflikt sei eine „ganz große Ablenkung von diesem Covid-Kram“, weil die westlichen Staaten „aus dieser Covid-Nummer jetzt raus“ wollten. Die Verantwortlichen für Corona-Schutzmaßnahmen gehörten vor Gericht gestellt, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in eine Psychiatrie eingewiesen, sagt Zimmer.

Sehnsucht nach dem Regierungs-Sturz

Als das Gespräch auf die Proteste und Blockaden gegen die Corona-Maßnahmen in der kanadischen Hauptstadt Ottawa kommt, bedauert Zimmer, dass die Demonstranten dort nicht das Parlament abgesetzt und die Befehlsgewalt über die Polizei an sich gerissen haben. Auch in Deutschland seien viele der von ihm als „Spaziergänger“ bezeichneten Corona-Demonstranten der Ansicht, dass die Regierung und „dieser Parteienstaat“ gestürzt werden sollten, erklärt Zimmer. Die beiden InfraRot-Mitarbeiter zeigen sich jedoch pessimistisch, dass es in Deutschland wirklich zu einem Sturz der Regierung kommt.

Arthur Buchholz trägt in dem Video außerdem gut sichtbar ein T-Shirt des Black-Metal-Musikprojekts Burzum des norwegischen Rechtsextremisten Varg Vikernes. Vikernes wurde in den 1990er Jahren wegen Mordes an einem früheren Musiker-Freund und Brandstiftung an mehreren Kirchen zu einer Haftstrafe verurteilt.

InfraRot-Geschäftsführer Ivan Rodionov gibt sich dagegen seriöser, ist ein Mann der gewählten Worte. In seinen regelmäßigen Videokommentaren geht es oft um die Ukraine und die Rolle des Westens im Konflikt mit Russland. Russische Aggressionen in der Ukraine bezeichnet Rodionov in einem Video als imaginär, der Grund für den lange andauernden Bürgerkrieg in der Ukraine sei ausgerechnet, dass Russland sich zum großen Leidwesen der Bevölkerung im Donbass heraushalte.

Schützenhilfe von RT DE

„Allen Beteiligten dieser ‚Der-Russe-kommt-Hysterie‘ ist klar: Russland wird, wenn überhaupt, nur zurückschlagen“, erklärt der InfraRot-Chef im Dezember. Auch zur Stellung Deutschlands in der Welt hat Rodionov eine klare Position: Als ihn der sächsische Kabarettist Uwe Steimle in einem aufgezeichneten Gespräch fragt, ob Deutschland ein souveräner Staat sei, antwortet er mit einem klaren „Nein“.

Schützenhilfe bekommt Rodionov zum Start seines neuen Mediums von seinem ehemaligen Arbeitgeber: RT DE bewirbt den InfraRot-Youtube-Kanal bereits Ende Oktober auf Telegram. Bis Anfang Februar teilt RT DE dort insgesamt zwei Dutzend Mal Videos von InfraRot Medien.

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Ist dieses Medium, in dem ein Sturz der Bundesregierung herbeigesehnt wird, ein weiterer Teil im Ökosystem der russischen Staatsmedien? Einiges spricht dafür: Die Werbung durch RT DE, die Übernahme mehrerer ehemaliger RT-Mitarbeiter und außerdem die unklare Finanzierung des Unternehmens. In einem Video-Livestream von einer Corona-Demonstration in Berlin am 14. Februar 2022 spricht InfraRot-Mitarbeiter Jens Zimmer über die Finanzen des Mediums. „Wir haben derzeit noch ein Budget“, sagt Zimmer. Und: „Wir können das ungefähr ein Jahr durchziehen. Und ob wir dann weitermachen können, das hängt dann tatsächlich davon ab, ob wir erfolgreich genug waren.“

Miete für die Büro- und Studioräume, Personalkosten für mindestens drei dauerhafte Mitarbeiter, dazu Reisekosten und sonstige Ausgaben: Die Kosten für den Betrieb des Medienunternehmens dürften die Werbeerlöse durch Videoveröffentlichungen auf Youtube und anderen Plattformen um ein Vielfaches übersteigen.

Twitter stuft InfraRot als „Staatsnahes Medium in Russland“ ein

Auf Fragen des RND nach der Höhe des Jahresbudgets und der Finanzierungsquelle der InfraRot-Aktivitäten reagierte Ivan Rodionov kurz vor Redaktionsschluss und stellte eine Antwort erst am Dienstagabend in Aussicht. Das Soziale Netzwerk Twitter sieht es jedoch offenbar als bewiesen an, dass Rodionovs Unternehmen Teil der „Staatsnahen Medien in Russland“ ist.

Wenige Tage nach einer RND-Anfrage an das Netzwerk stufte Twitter das Medium am vergangenen Freitag als solches ein. Nun sind das Twitter-Profil und jeder Tweet des Unternehmens mit einem entsprechenden Hinweis versehen. Welche Beweise Twitter dafür vorliegen, beantwortete das Netzwerk auf Nachfrage nicht, sondern verwies lediglich auf seine allgemeinen Richtlinien zur Kennzeichnung entsprechender Nutzerkonten.

„Staatsnahe Medien sind Kanäle, bei denen der Staat durch finanzielle Ressourcen, direkten oder indirekten politischen Druck und/oder Kontrolle über Produktion und Vertrieb die Kontrolle über redaktionelle Inhalte ausübt“, heißt es darin. (RND)