Der Europarat-Gipfel beschließt die systematische Auflistung von russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Und Kanzler Scholz thematisiert überraschend auch die Frage des Friedens mit Russland.
Systematische Auflistung der SchädenRussische Schuld und ukrainisches Register der Zerstörung – Olaf Scholz beim Europarat-Gipfel
Es ist ein harmloses Wort für ein monströses Verbrechen, aber es steht für Wiederaufbau und Zukunft der Ukraine: Schadensregister. Es werden die Ruinen darin aufgelistet, zu denen russische Truppen Häuser, Brücken, Fabriken in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 machen. Die bombardierten Wohnviertel und Bahnhöfe.
Und die Fälle, die nie wieder gutzumachen sind: die toten Männer, die vergewaltigten Frauen, die nach Russland verschleppten ukrainischen Kinder. Erschossen, gefoltert, hingerichtet, entführt. Kriegsverbrechen. Welche Summe soll man dafür ansetzen?
Es wird nicht nur um Geld, sehr viel Geld, sondern auch um Gerechtigkeit und russische Verantwortung gehen bei diesem Schadensregister. Ihm liegt eine Resolution der Vereinten Nationen zugrunde, der Europarat mit seinem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gilt als prädestiniert für die Verwirklichung. Beim Gipfel des Europarates am Mittwoch in Reykjavik bringen die angereisten Staats- und Regierungschefs eine Vereinbarung dazu auf den Weg.
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Schadensregister: die systematische Erfassung der „furchtbaren Kriegsschäden“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagt, mit dem Schadensregister würden „die furchtbaren Kriegsschäden“ systematisch erfasst. Es werde einen Beitrag dazu leisten, „Russland für sein brutales Handeln zur Rechenschaft zu ziehen“. Staaten sollen dem Register beitreten – und sich auch zu Geberländern erklären. Auch Privatinvestoren werden dringend gesucht. Denn es dürfte lange dauern, bis Russland zahlen wird. Die Kriegsschäden werden auf 400 Milliarden bis eine Billion US-Dollar geschätzt – je nachdem, wie lange russische Truppen die Ukraine weiter zerstören.
Scholz betont: „Die ganze Weltgemeinschaft – und wir als Teil – wird dabei helfen müssen, dass die Ukraine wieder aufgebaut werden kann.“ Das werde eine „Marshallplan-Dimension“ haben. Es gilt als sehr unsicher, dass eingefrorene Milliarden der russischen Zentralbank und von Oligarchen dafür eingesetzt werden können.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird per Video nach Island zugeschaltet. „Russland bemüht sich sehr, seine Fähigkeit zu töten zu verbessern. Wir bemühen uns sehr, den Schutz unserer Bevölkerung zu verbessern“, sagt er. In seinem Bemühen um eine „Kampfjet-Allianz“, der Deutschland bisher nicht angeschlossen hat, bittet er auch hier, die Luftverteidigung der Ukraine stärker zu unterstützen. „Wir zeigen“, sagte er, „was die Macht der freien Welt bedeutet“.
Europarat laut Scholz „heute so wichtig wie wohl niemals zuvor“
Eigentlich ist nicht so richtig bekannt, was der Europarat überhaupt macht. Er wurde 1949 als einer der ersten politischen Organisationen in Europa gegründet, hat seinen Sitz in Straßburg – und ist kein Organ der Europäischen Union. Ihm gehören neben allen 27 EU-Mitgliedsstaaten auch Großbritannien, die Türkei, die Ukraine, Aserbaidschan und weitere Länder an. Russland wurde wegen des Kriegs ausgeschlossen, Belarus wegen seiner Solidarität mit Moskau suspendiert.
Die Kernanliegen des Europarates sind die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat. Scholz sagt, angesichts des russischen Krieges ist das Gremium „heute so wichtig wie wohl niemals zuvor“. Der russische Überfall auf die Ukraine sei auch ein Angriff auf die europäische Friedensordnung, für die der Europarat stehe. Der Gipfel in Reykjavik ist erst der vierte in der Geschichte des Europarates.
Allerdings steht es nicht zum Besten um das Gremium. Scholz mahnt, alle Mitgliedsstaaten des Europarates müssten ihren Pflichten ohne Abstriche nachkommen. „Dazu zählt, dass wir alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte konsequent umsetzen.“ Der EGMR hat in jüngster Zeit die Türkei wegen Eingriffen in die Unabhängigkeit der Justiz, Großbritannien wegen unrechtmäßiger Abschiebungen verurteilt. Aber Ankara und London beeindruckt das nicht groß.
Heute noch „nahezu unvorstellbar“: Scholz spricht auch über den Frieden mit Russland
Scholz macht aber noch etwas anderes in Reykjavik, was aufhorchen lässt. Er formuliert etwas, das nicht nur in seinen eigenen Ohren heute noch „nahezu unvorstellbar“ klingt. Es geht um Frieden mit Russland. Um ferne Zukunft.
Der Kanzler betont: „Schließlich muss der Europarat alles daransetzen, dass Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit irgendwann tatsächlich überall in Europa Fuß fassen. Mit Blick auf Russland und Belarus mag das heute nahezu unvorstellbar klingen. Doch irgendwann wird Russlands Krieg gegen die Ukraine enden.“
Und bis dahin müsse der Europarat „Brücken aufrechterhalten“ zu dem „anderen Russland“. Denn: „Russland hat die Demokratie gewonnen und wieder verloren. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Kontakt zu den Anhängern von Demokratie und Rechtsstaat nicht aufgeben.“ Die Perspektive einer demokratischen, friedlichen Zukunft müsse offengehalten werden. „So unwahrscheinlich sie uns heute auch erscheinen mag.“