AboAbonnieren

Scholz im Konflikt mit den GrünenChina will Teil des Hamburger Hafens kaufen

Lesezeit 7 Minuten
China HAfen

Containerschiffe werden am Container Terminal Tollerort im Hamburger Hafen abgefertigt.

  1. Die Staatsreederei Cosco plant den Kauf eines Hafenteils in Hamburg.
  2. Befürworter halten den Deal für wirtschaftliche Normalität, Kritiker fürchten Macht und Einfluss Pekings.
  3. NDR und WDR berichten am Donnerstag, alle sechs beteiligten Ministerien lehnten das Geschäft ab. Das Kanzleramt dränge jedoch auf einen Einstieg der Chinesen.

Hamburg – Der Besuch war sehr ergiebig. Mehr als 50 Kilogramm wogen die Geschenke, die Olaf Scholz, damals noch Erster Bürgermeister von Hamburg, bei seinem Besuch 2015 in China bekommen hat, darunter Tee der Marke Grüner Drachenbrunnen, ein Teeservice mit Bechern, fünf Flugzeug­modelle und zwei Container­schiff­modelle in Glaskästen. Es war so viel, dass Scholz, so berichteten Hamburger Medien damals, gar nicht alles mit nach Hause nehmen konnte.

Wichtiger war aber wohl ohnehin etwas anderes: die freundliche Atmosphäre zwischen ihm und seinen chinesischen Gastgebern. Ein Foto von damals zeigt Scholz mit Li Yunpeng, Vorstandschef der Staatsreederei Cosco, im Hochglanzfoyer der Hauptzentrale, beide einträchtig nebeneinander. Die Geschäfte liefen danach weiter prächtig, die Cosco-Containerschiffe sind bis heute die häufigsten und wichtigsten Gäste im Hamburger Hafen.

Scholz gegen Habeck und Baerbock

Nur dass ein Herzenswunsch von Cosco dem heutigen Bundeskanzler Scholz neben einem Konflikt mit seinem Koalitionspartner, den Grünen, auch noch eine schwierige Grund­satz­debatte eingebracht hat: Wie viel Einfluss wollen wir China auf unsere kritische Infrastruktur gestatten? Sind wir womöglich dabei, uns wirtschaftlich erneut von einem Land abhängig zu machen, dem westliche Werte fremd sind – und das uns im Zweifel dominieren will? Machen wir den gleichen Fehler wie bei der Energie­versorgung aus Russland wieder?

Alles zum Thema Olaf Scholz

Die Außenministerin Annalena Baerbock warnt schon mal genau davor. „Der Hamburger Hafen ist ja nicht irgendein Hafen, sondern einer der Schlüsselhäfen nicht nur für uns als Exportnation, sondern für Europa insgesamt“, sagte sie jetzt der „Süddeutschen Zeitung“. „Wir müssen uns bei jeder Investition in deutsche kritische Infrastruktur fragen, was das in jenem Moment bedeuten könnte, in dem sich China gegen uns als Demokratie und Werte­gemeinschaft stellen würde.“

Dabei ist das Containerterminal Tollerort, benannt nach einer früheren Zollstation, nur eines von vier Terminals im Hamburger Hafen – und dazu noch das kleinste: vier Liegeplätze, gut 1000 Meter Kaimauer, 14 Containerbrücken.

Mit ihrem Wunsch nach einer Beteiligung aber macht die chinesische Staatsreederei Cosco nun ausgerechnet das kleine Tol­lerort, gelegen auf einer Kaizunge zwischen den Elbinseln Stein­werder und Waltershof, zum Symbol der Debatte um Grenzen und Gefahren der deutsch-chinesischen Wirtschafts­beziehungen. 35 Prozent an der Tollerort-Betreiber­gesellschaft will Cosco von der Hamburger Hafen und Logistik AG, kurz HHLA, übernehmen.

Ein Deal, der im vergangenen Jahr schon besiegelt schien, bis jetzt Bedenken des grünen Bundes­wirtschafts­ministers Robert Habeck laut wurden. „Ich tendiere dazu, dass wir das nicht erlauben“, sagte er der Nachrichten­agentur Reuters. China könne Einfluss auf den Handel nehmen – und generell finde er, „dass wir kritischer gegenüber chinesischen Investments in Deutschland sein sollten“.

Im Hafen hält man Baerbock für ahnungslos

Somit sind die Konflikte da: Baerbock und Habeck gegen Scholz, der gerade wieder vor einer wirtschaftlichen „Entkopplung“ von China gewarnt hat. Grüne gegen die Hamburger Wirtschaft, die noch größere Probleme für den Hafen fürchtet, sollte sich Cosco neue Ziele suchen. Und die Grünen in der Bundesregierung gegen die Hamburger Regierungsspitze.

Im Hafen jedenfalls hält man die Außenministerin für in diesen Fragen ahnungslos: „Grob vereinfacht“ habe Baerbock, wirft ihr ein HHLA-Sprecher vor, schließlich gehe es um eine Minderheits­beteiligung der Chinesen, die keinen Zugriff auf die Infrastruktur des Hafens erhielten. Und auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hält Bedenken für abwegig: „Eine Ablehnung der Cosco-Beteiligung durch die Bundesregierung ist im Hinblick auf die nationale Sicherheit und Unabhängigkeit nicht begründbar.“

Alles übertrieben also? Sind die Grünen-Einwände nichts als Signale an die eigene Basis, um deren Wunsch nach ethischer Eindeutigkeit zu befriedigen?

Tatsächlich sieht sich China im Systemkonflikt mit dem Westen – und nutzt gezielt Investitionen in die Infrastruktur vor allem von Schwellenländern, um seinen Einfluss zu vergrößern. Straßen bauen, Betriebe kaufen, das ist weltweit die Strategie, die China unter Xi Jinping offensiv verfolgt. „Der Osten steigt auf und der Westen steigt ab, daran gibt es in ihrem Denken keinen Zweifel“, sagt der frühere China-Analyst der CIA, Christopher K. Johnson.

So warnt auch Jacob Gunter vom Mercator-Institut für Chinastudien gegenüber dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) davor, naiv auf die Beteiligungs­wünsche zu schauen. „Cosco ist kein normales Unternehmen“, betont er. „Cosco wird vom chinesischen Staat kontrolliert, massiv subventioniert und ist auf dem heimischen Markt vor Konkurrenz geschützt.“

Gunter glaubt nicht an Spionage­ambitionen von Cosco; Geheim­dienstler, die vom Containerkran aus den Hafen ausspionieren, seien eine eher naive Vorstellung. Für ihn geht es darum, dass China seiner Reederei mit ungleichen Mitteln den ökonomischen Aufstieg ermöglicht. Derzeit ist Cosco mit 475 Schiffen die viertgrößte Reederei der Welt, die Ambitionen gehen jedoch weiter. Das ökonomische Problem sei die fehlende Gegenseitigkeit: „Chinesische Unternehmen dürfen in Deutschland Dinge tun, die deutsche Unternehmen in China nicht dürfen.“

So werde Cosco vermutlich hierzulande weitere Unternehmen gründen, um zum Beispiel Binnen­schifffahrts­linien zu betreiben – was China deutschen Firmen im Gegenzug nicht gestatten würde. „Deutschland und die EU müssen entscheiden, wie viel von diesem ökonomischen Ungleich­gewicht sie akzeptieren“, sagt Gunter. Die Idee eines freien Marktzugangs sei gut – die Frage sei nur, ob sie auch gegenüber China klug ist.

Jacob Gunters Sympathie ist dabei eindeutig: Es muss nicht gleich der Ausschluss sein – aber die Behörden müssten genauer schauen, mit wem sie es zu tun haben.

Cosco will 100 Millionen Euro für die 35‑Prozent-Beteiligung zahlen

Beim Einstieg von Cosco im Hamburger Hafen könnte es dafür schon zu spät sein. 2,2 Millionen Standard­container sind 2021 aus China in Hamburg gelandet, die China-Dienste sind für Hamburg die mit Abstand wichtigsten. 100 Millionen Euro will Cosco für die 35‑Prozent-Beteiligung zahlen – viel Geld für einen Hafen, der nach der schwierigen Pandemiezeit wieder Anschluss an die Konkurrenten in Rotterdam und Antwerpen sucht.

So sieht Jan Wedemeier vom Hamburgischen Weltwirtschafts­institut in der Cosco-Beteiligung auch eher einen späten Schritt zur Normalisierung. Unternehmen wie die weltgrößte Reederei Maersk seien längst an Terminals beteiligt, auch Cosco hat sich nahezu europaweit in Häfen eingekauft: Neben der Übernahme des griechischen Hafens Piräus, in der Finanzkrise quasi zum Sonderpreis, halten die Chinesen Minderheits­beteiligungen in Rotterdam und Antwerpen; in Valencia, Zeebrügge und Bilbao halten sie die Mehrheit. „Erstaunlich ist eher“, sagt Wedemeier, „dass es in Hamburg erst jetzt zu einer Beteiligung kommt.“

Wer Cosco und die Chinesen aus europäischen Häfen heraushalten will, der kommt jedenfalls zu spät: Sie sind längst da.

Vorteile bietet das Geschäft beiden: Cosco, das sich eine bevorzugte Abfertigung seiner Schiffe sichert. Und dem Hafen, der sich Ladung sichert – und damit Arbeit. Die Bedeutung der Verbindung für Hamburg und den Hafen ist sehr groß. Letztlich gehe es in Tollerort nicht um Infrastruktur, sondern, so Wedemeier, um „Suprastruktur“, also Gebäude und Kräne. „Deshalb sehe ich diese Beteiligung nicht besonders kritisch.“ Folgt man ihm, dann wäre das Container­terminal letztlich der falsche Ort für eine im Grunde richtige und nötige Debatte.

Das Bundeskabinett muss entscheiden

In Duisburg, das sich bis vor Kurzem stolz als China-Stadt und Endstation der „Neuen Seidenstraße“ vermarktete, hat Cosco bereits 30 Prozent an einem Hafenterminal übernommen. In der vom Struktur­wandel noch immer gebeutelten Stadt war das Problem­bewusstsein weit kleiner als in Hamburg – zumal alles vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine geschah.

Über Tollerort und die Chinesen muss nun das Bundes­kabinett entscheiden. Die Position der Grünen ist deutlich. Vom Kanzler heißt es, seine Bedenken seien deutlich kleiner. Zu laufenden Investitions­prüfungs­verfahren äußere sich das Bundes­kanzler­amt nicht, erklärt ein Regierungs­sprecher.

NDR und WDR berichten unterdessen am Donnerstag, alle sechs beteiligten Ministerien lehnten das Geschäft ab. Das Kanzleramt dränge jedoch auf einen Einstieg der Chinesen.

Eine Entscheidung sollte eigentlich spätestens im Oktober fallen. Doch das gilt kaum mehr als realistisch. Cosco selbst, des Hin und Hers allmählich überdrüssig, dringt auf eine Entscheidung bis spätestens Ende Dezember.

Im Hafen hoffen sie jedenfalls auf ihren früheren Ersten Bürgermeister. Für den November plant Scholz eine China-Reise. Dort, so glauben sie im Hafen, werde er wohl kaum mit einer Absage an Cosco anreisen und die Chinesen auf diese Art düpieren – sondern möglicherweise eher ein anderes Geschenk im Gepäck haben. (mit red)